Ist die Debatte um Valproat für Männer gerechtfertigt?

Joachim Retzbach

Müssen männliche Patienten mit Kinderwunsch Valproat absetzen? Diese Entscheidung sollte man partizipativ treffen. Müssen männliche Patienten mit Kinderwunsch Valproat absetzen? Diese Entscheidung sollte man partizipativ treffen. © makistock – stock.adobe.com

Die EMA hat 2024 eine Warnung zu Valproat veröffentlicht: Die Einnahme vor der Zeugung könnte das Risiko für Entwicklungsstörungen beim Kind erhöhen. Doch die Datenlage ist widersprüchlich – und Experten sind skeptisch. Was steckt hinter der aktuellen Debatte?

Der Rote-Hand-Brief für Valproat bei Männern mit möglichem Kinderwunsch beruht auf fragwürdigen Daten, kritisiert ein Experte. Das teratogene Risiko bei werdenden Müttern ist dagegen weiterhin eindeutig belegt.

Die Sicherheit von Valproat ist in der Diskussion, nachdem die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Anfang 2024 einen Rote-Hand-Brief zur Substanz verschickt hat. Darin wurde vor einem möglichen Risiko für Entwicklungsstörungen bei Kindern gewarnt, deren Väter in den drei Monaten vor der Zeugung Valproat eingenommen haben. Doch wie belastbar die zugrunde liegenden Daten sind, sei nicht ganz klar, sagte Prof. Dr. Hajo Hamer vom Universitätsklinikum Erlangen.

„Die Studie überhaupt zu finden, hat mich einen Monat meines Lebens gekostet“, scherzte der Referent. Es gebe lediglich einen erweiterten Abstract, der „in den Tiefen der EU-Bürokratie“ versteckt sei, aber keine öffentliche Publikation. Ein Datenanalyse-Dienstleister hatte skandinavische Register ausgewertet und 2.213 Kinder von Valproat-behandelten Vätern mit 3.740 Kindern verglichen, deren Väter vor der Zeugung Lamotrigin oder Levetiracetam eingenommen hatten. Nach Valproat-Exposition war das Risiko für neuronale Entwicklungsstörungen um 50 % erhöht, das galt insbesondere für Autismus-Spektrum-Störungen.

Keine Hinweise in anderen Registerstudien

Die Autorinnen und Autoren weisen selbst darauf hin, dass der Beobachtungszeitraum uneinheitlich war: Kinder in der Valproat-Gruppe wurden im Schnitt 9,2 Jahre nachverfolgt; in der Kontrollgruppe waren es nur 6,6 Jahre. Diagnosen wie Autismus würden oft erst im Schulalter gestellt, so Prof. Hamer. Damit könnte der Effekt auch durch die längere Nachbeobachtung entstanden sein.

Andere Forschende sind ebenfalls skeptisch. Ein Team der Universität Aarhus wertete 2024 das dänische Register mit 1,2 Millionen Kindern aus und konnte kein erhöhtes Risiko für eine Valproatnutzung während der Spermatogenese finden. Auch eine schwedische Registeranalyse aus dem Jahr 2020 und eine Übersichtsarbeit australischer Forschender von 2024 fanden keinen Zusammenhang.

Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) betont in einer Stellungnahme, dass der Effekt bislang nicht gesichert sei. Ihrer Handlungsempfehlung schließt sich Prof. Hamer an: Demnach besteht aktuell kein Anlass, alle männlichen Patienten unter Valproat aktiv zu kontaktieren. Bei anfallsfreien Betroffenen sollte auch keine vorschnelle Umstellung der Therapie erfolgen. Es sei jedoch sinnvoll, auf das mögliche Risiko hinzuweisen und Alternativen zu besprechen, vor allem bei Kinderwunsch. „Aber das tue ich sowieso – bei Männern wie bei Frauen“, so Prof. Hamer. Zwar sei Valproat eines der wirksamsten Antiepileptika, doch das Nebenwirkungsprofil spreche für einen kritischen Umgang und eine partizipative Entscheidung.

Das teratogene Risiko von Valproat bei Frauen ist schon lange bekannt. Eine Exposition im Mutterleib erhöht die Wahrscheinlichkeit für neurologische Entwicklungsstörungen auf das 4- bis 5-Fache; die Rate kognitiver Behinderungen ist ebenfalls erhöht.

Die Umstellung ist jedoch nicht immer einfach, wie eine europäische Multicenter-Studie von 2024 ergab. Bei 33 % der Teilnehmerinnen mit idiopathisch generalisierter Epilepsie traten nach einem Wechsel von Valproat auf Levetiracetam oder Lamotrigin wieder mehr generalisierte tonisch-klonische Anfälle auf. In der Stichprobe waren allerdings viele Frauen mit juveniler myoklonischer Epilepsie, bei der Lamotrigin oft nicht ausreichend wirke, gab Prof. Hamer zu bedenken.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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