Lässt sich das Blutungsrisiko bei Zirrhose einschätzen?
Wie hoch die Gefahr für Blutungen im Rahmen von invasiven Eingriffen bei Menschen mit Leberzirrhose ist, hängt vor allem von der Interventionsart und dem Schweregrad der Erkrankung ab.
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Wie hoch die Gefahr für Blutungen im Rahmen von invasiven Eingriffen bei Menschen mit Leberzirrhose ist, hängt vor allem von der Interventionsart und dem Schweregrad der Erkrankung ab. Wünschenswert wären Gerinnungstests, die auf das individuelle Risiko schließen lassen.
Thrombozytenzahl erniedrigt, INR* erhöht – die Blutgerinnungswerte bei Patientinnen und Patienten mit einer Leberzirrhose erwecken den Eindruck, dass Betroffene eine vermehrte Blutungstendenz haben. Doch stattdessen besteht bei ihnen ein neues, rebalanciertes Gleichgewicht zwischen prokoagulatorischen und antikoagulatorischen Faktoren, erklärte Prof. Dr. Beat Müllhaupt vom Universitätsspital Zürich. Doch dieses Gleichgewicht ist labil.
Welche Parameter sollte man also berücksichtigen, um das Blutungsrisiko abzuschätzen, z. B. vor einem invasiven Eingriff? Laut Fachgesellschaften wie der European Association for the Study of the Liver (EASL) oder der American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD) kann in den meisten Fällen auf die Bestimmung von INR, Thrombozytenzahl und Fibrinogenlevel verzichtet werden. Vielmehr beeinflussen der Schweregrad der Lebererkrankung, Komorbiditäten sowie die Eingriffsart (s. Kasten) das Risiko für eine Hämorrhagie.
Eingriffe, die die Wahrscheinlichkeit für Hämorrhagien erhöhen
Interventionen mit einer Blutungswahrscheinlichkeit von mindestens 1,5 % gelten als Hochrisikomaßnahmen. Laut European Association for the Study of the Liver zählen dazu
- perkutane biliäre Interventionen,
- Zahnextraktion,
- transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt,
- Ösophagogastroduodenoskopie mit Varizenligatur,
- Koloskopie mit Polypektomie (> 1 cm),
- endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie mit Sphinkterotomie und
- Endosonografie mit Biopsie.
Doch bei der Differenzierung zwischen Hoch- und Niedrigrisiko herrscht nicht in allen Fällen Konsens. Laut der europäischen Fachgesellschaft sind transjuguläre oder perkutane Leberbiopsien sowie perkutane Tumorablationen mit einem niedrigen Risiko behaftet, die AASLD stuft die Gefahr dieser Interventionen hingegen als hoch ein. Eine Arbeitsgruppe aus Frankreich versuchte Einigkeit zu schaffen und befragte in einer Untersuchung 52 Expertinnen und Experten zu 80 invasiven Eingriffen.1 Konsens gab es für 52 Interventionsarten, bei rund einem Drittel der Fälle waren sich die Fachleute jedoch uneinig.
Neben der Eingriffsart sollten auch der Schweregrad der Leberzirrhose und patientenspezifische Faktoren in die Risikobewertung einfließen. So sind Infektionen, Nierenerkrankungen und ein akut-auf-chronisches Leberversagen mit einer erhöhten Blutungswahrscheinlichkeit assoziiert.
Prädiktoren für Hämorrhagien sind schwer zu finden
In Studien wurde zudem geprüft, ob globale Gerinnungstests bei Menschen mit Leberzirrhose Blutungskomplikationen vorhersagen können. In einer Arbeit aus Italien untersuchten Forschende, ob die mit ROTEM® gemessene Gerinnselbildung und -stabilität als Prädiktor für spontane sowie interventionsbedingte Hämorrhagien bei Betroffenen mit einem akut-auf-chronischen Leberversagen dienen könnte. Die Ergebnisse waren jedoch eher enttäuschend, so der Referent. Die Thromboelastometrie zeigte hämostatische Veränderungen, die auf eine Hypokoagulation hinwiesen, sie hatte aber keine Voraussagekraft, um Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Hämorrhagierisiko zu identifizieren.
Dieselbe Arbeitsgruppe nahm auch das Thrombinbildungsassay genauer unter die Lupe. Sie nutzte für den eigentlich mit plättchenarmem Plasma durchgeführten Test zudem Vollblut. Die Thrombinbildung gilt bei Menschen mit Leberzirrhose i. d. R. als normal bis erhöht. Unter Verwendung von plättchenarmem Plasma ließ sich dies in der Studie auch bestätigen: Für alle Child-Pugh-Stadien zeigte sich eine erhöhte Thrombingenerierung. Beim Einsatz von Vollblut hingegen war die Produktionskapazität zwar für Stadium A bzw. B erhöht bzw. ähnlich der gesunden Kontrollgruppe, aber im Fall von Stadium C erniedrigt – was auf eine Blutungstendenz hindeutet. Den Studienautorinnen und -autoren zufolge müsse das Konzept der rebalancierten Gerinnung daher ggf. überdacht werden, erklärte Prof. Müllhaupt. Eine interessante Fragestellung sei nun, ob sich Blutungskomplikationen mit dem Vollbluttest besser vorhersagen lassen.
Dem ging das Forscherteam in einer weiteren Untersuchung auf den Grund. In ihre Studie schlossen sie Personen mit kompensierter, stabil dekompensierter oder akuter dekompensierter Leberzirrhose ein. Nur bei den Patientinnen und Patienten mit akut dekompensierter Erkrankung traten interventionsbedingte Blutungen auf. Sechs der insgesamt elf Hämorrhagien waren schwer.
Assay lässt Rückschlüsse auf Krankheitsprogression zu
Mit dem Thrombingenerierungsassay im Vollblut konnten Personen mit schweren Blutungen identifiziert werden – ihr endogenes Thrombinpotenzial lag unter 350 nmol/L*min. Die Sensitivität für den Cut-off war hoch. Die Ergebnisse ließen darauf schließen, dass man mit dem Assay eventuell auch die Krankheitsprogression bei Personen mit dekompensierter Zirrhose abschätzen könnte. Die untersuchte Patientenzahl war jedoch sehr klein, merkte Prof. Müllhaupt einschränkend an. Die Ergebnisse müsse man daher in weiteren Studien bestätigen. Das Assay könnte aber ein vielversprechendes Werkzeug werden, resümiert Prof. Müllhaupt.
*International Normalized Ratio
Quelle: 1.Riescher-Tuczkiewicz A et al. JHEP Rep 2023; 6: 100986; doi: 10.1016/j.jhepr.2023.100986
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