Nierenversagen: Ehlers-Danlos-Syndrom und diversen Vorerkrankungen

Dr. Niclas Detels

Eine Patientin mit bekanntem EHLERS-DANLOS-SYNDROM kommt zur jährlichen Kontrolle in die nephrologische Ambulanz. Eine Patientin mit bekanntem EHLERS-DANLOS-SYNDROM kommt zur jährlichen Kontrolle in die nephrologische Ambulanz. © quickshooting - stock.adobe.com

Eine Patientin mit bekanntem EHLERS-DANLOS-SYNDROM kommt zur jährlichen Kontrolle in die nephrologische Ambulanz.

Hier zeigen sich eine deutliche Hypertonie und Proteinurie bei ansonsten normwertigen Nierenbefunden. Wenig später erleidet sie nach einer intensiven Sporteinheit plötzlich massive Flankenschmerzen und ein akutes Nierenversagen. Was ist die Ursache

Der Fall

Eine 45 jährige Frau mit Ehlers-Danlos-Syndrom und diversen Vorerkrankungen. Aktuelle Beschwerden: 

  • Schmerzen, HWS-Syndrom, Migräne
  • Leichte Belastungsdyspnoe
  • Peripherer Schwindel
  • Hypertonie, bisher ohne Therapie Familienanamnese: Mutter und Großmutter: Hypertonie

Jährliche Kontrolluntersuchung 

Die 45-jährige Patientin stellt sich zur jährlichen Kontrolle der Nierenfunktion in der nephrologischen Sprechstunde vor.

Grunderkrankung: 

Bei ihr ist ein Ehlers-Danlos-Syndrom vom vaskulären Typ bekannt. Dieses wurde zuvor in der Uniklinik diagnostiziert. In einer genetischen Untersuchung zeigte sich eine Variante unklarer Signifikanz C. 1555G>Ap. (Gly519ARG) (heterozygot) im COL3A1-Gen.

Weitere Vorerkrankungen 

  • Hüft-OP bei Hüftdysplasie in der Jugend
  • Patellaluxation rechts mit 18 Jahren
  • Darmdurchbruch vor 20 Jahren
  • Bauchdeckenhernie vor 15 Jahren
  • Hüft-TEP bds. vor 10 Jahren
  • Cholezystektomie vor 8 Jahren
  • Krampfaderverödung vor 6 Jahren
  • Arthrose Kniegelenk, ED mit 44 Jahren
  • Nierenkoliken vor 18 Jahren, Z.n. passagerer Schienung

Die Patientin befindet sich in rheumatologischer Betreuung. Eine kardiale Mitbeteiligung im Rahmen der Grunderkrankung wurde vor Jahren ausgeschlossen und es finden regelmäßige kardiologische Nachkontrollen statt, ebenso auch ährliche urologische Kontrollen.

Anamnese: 

Der Allgemeinzustand wird aufgrund von Schmerzen als reduziert angegeben. Die Diurese sei in Ordnung, Inkontinenz. Eine Dysurie wird verneint. Die Trinkmenge beläuft sich auf 2 l täglich. Es bestehen keine peripheren Ödeme. Sie gibt eine leichte Belastungsdyspnoe an, welche sich den letzten zwei Jahren verschlechtert hätte. Im Weiteren würde sie an einer Migräne leiden und einem HWS-Syndrom. Hier wird aufgrund der Migräne eine Triptantherapie eingenommen. Zusätzlich erfolgt aufgrund eines peripheren Schwindels eine Therapie mit Betavert.

Aufgrund von Schmerzen erfolgt eine regelmäßige Einnahme von Naproxen. Im Monat werden ca. 25 Tabletten je 500mg Naproxen eingenommen. Alkoholkonsum und Nikotinkonsum werden verneint.

Sie berichtet über erhöhte Blutdruckwerte seit circa zwei Jahren. Im selben Zeitraum hätte sie den Kopfschmerz entwickelt. Die erste Diagnose der arteriellen Hypertonie sei bereits vor zehn Jahren gestellt worden. Bis jetzt fand keine medikamentöse Behandlung statt.

In der Familie wiesen Mutter sowie Großmutter mütterlicherseits ebenfalls einen Bluthochdruck auf. Darüber hinaus sind keine weiteren kardiovaskulären oder renalen Erkrankungen in der Familie bekannt.

Körperlicher Untersuchungsbefund: 

  • Patientin in gutem AZ und adipösem EZ. Größe 175 cm, Gewicht 102,4kg, BMI 33,44kg/m², stammbetonte Adipositas
  • Blutdruck am linken Oberarm gemessen im Sitzen 171/121mmHg, Puls 109/min
  • Blutdruck am rechten Oberarm gemessen im Sitzen 179/117mmHg
  • Blutdruck am rechten Oberarm gemessen im Stehen 168/125mmHg, Puls 122/min
  • SpO₂ ohne Sauerstoff 98%eGFR nach CKD-EPI
  • Herz/Kreislauf: kardiopulmonal kompensiert, Herztöne rein und rhythmisch, keine Halsvenenstauung, Carotiden frei, kein Perikardreiben. Periphere Pulse beidseits kräftig palpabel. Peripherie warm, keine peripheren Ödeme
  • Lunge: Thorax symmetrisch, vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenfeldern, atemabhängig seitengleiche Verschieblichkeit der Lunge
  • Abdomen: weich, indolent, keine Resistenzen, keine palpable Organomegalie. DGs regelrecht in allen vier abdominellen Quadranten
  • Bewegungsapparat: kein Wirbelsäulenklopfschmer
  • Nierenlager: beidseits nicht klopfschmerzhaf
  • Grobneurologisch unauffällig
  • Klinisch keine Hinweise für eine Vaskulitis
KenngrößeMaßeinheitLaborparameterReferenzbereich
Kreatininmg/dl0,5798,2
eGFR nach CKD-EPIml/min98,2 
Immunologische DiagnostikMaßeinheitLaborparameteReferenzbereich
ANA 1:80<1:80
Doppelstrang-DNS-AK <5<5
ANCAs <1:20<1:20
Bence-Jones-Protein im Urin Nicht nachweisbar 
κ-Leichtketten im Serumg/l0,00440,003–0,01
λ-Leichtketten im Uring/l0,0050,006–0,02
PLA-2-Rezeptor-Antikörper (Pospholipase-2-Rezeptor-AntikörperU/ml12<14
HIV 1/2 Neg.Neg.
Hepatits B Neg.Neg.
Komplementfaktoren C3mg/d9088–228
Komplementfaktoren C4mg/dl2016–47
HbA1c%5,8<6
Urinstatus
Ery qual. Pos.Negativ
Leuko qual. Neg.Negativ
Protein qual. Pos.Negativ
Glukose qual. Pos.Negativ
Keton qual. Neg.Negativ
Bili qual. Neg.Negativ
Urobilinogen qual.μmol/3,2<16
ph-Wert 6,6 
Nitrit qual. Neg.Negativ
Dichte 1,010 
24h-Sammelurin
Proteinurie2g/Tag<150mg/Tag
Albuminurie0,5g/Tag<30mg/Tag

Abdominalsonographie: Leber: normal groß, homogene Binnenstruktur und Textur, keine Erweiterung der intrahepatischen Gallengänge, Randwinkel spitz. Gallenblase nicht darstellbar, keine Gallensteine, DHC nicht einsehbar.

Pankreas: nicht einsehbar. 

Milz: unauffällig, normal groß. 

Rechte Niere: orthotop gelegen, normal groß: 10,9 x 5,4 cm, Parenchymbreite 1,7 cm; kein Aufstau, keine Zysten, keine Raumforderung, RI 0,57. 

Linke Niere: orthotop gelegen, normal groß: 10,4 x 6,1 cm, Parenchymbreite 1,8 cm; kein Aufstau, keine Zysten, keine Raumforderung, RI 0,57. 

Harnblase mit glatter Oberfläche, orthotop gelegen, unauffällige Wandverhältnisse, intraluminal keine pathologischen Echostrukturen, normale Organgröße. 

Aorta abdominales unauffällig.

Beurteilung: 

Eingeschränkte Untersuchungsbedingungen bei massiver Adipositas und Darmgasüberlagerung. Altersentsprechende Nieren, keine Zysten, kein Harnaufstau bds. Keine Raumforderung, nach indirekten Kriterien kein Hinweis auf eine Nierenarterienstenose bds. Steatosis hepatis, Z.n. CHE. 

Sonografische Diagnosen: 

  • Nieren Normalbefund  
  • Steatosis hepatis  
  • Z.n. CHE

Gesamtbeurteilung: 

▪ Niere: Normwertige Nierenfunktion mit einer eGFR von 98,2ml/min anhand Cystatin C und Kreatinin. Die Urindiagnostik wies eine signifikante Proteinurie sowie schwer erhöhte Albuminurie auf. Diese bestätigt sich in der anschließend angefertigten 24 Stundensammelurinmessung. Der weitere U-Status zeigt eine Mikrohämaturie. Das Urinsediment wies keine Pathologien auf, insbesondere zeigten sich keine Akanthozyten. Bei bereits stattgefundener urologischer Abklärung und unauffälligem Urinsediment wurde eine Verlaufskontrolle empfohlen. Die Mikrohämaturie könnte im Rahmen der regelmäßigen NSAID-Therapie und somit als Papillenblutung interpretiert werden. Auffällig ist ein Auftreten von Kristallen im Urin. Nierenkoliken hatte die Patientin vor Jahren. Seitdem traten keine derartigen Beschwerden mehr auf. Sonographisch zeigen sich die Nieren altersentsprechend ohne Pathologien.

  • Elektrolyte:Die Elektrolyte und der SäureBasen-Haushalt waren ausgeglichen.
  • Blutbildung:Die Blutbildung zeigte sich suffizient bei begleitender suffizienter Substitution in Form von Vitamin B12, Folsäure und Eisen. ▪
  • HbA1c: Bei HbA1c von 5,5% Ausschluss eines Diabetes mellitus. ▪
  • LDL: Aufgrund einer bestehenden Hypercholesterinämie bei entsprechendem Risiko-Profil wurde der Patientin eine cholesterinsenkende Therapie mit einem Ziel-LDL von unter 70mg/dl empfohlen. ▪
  • Knochenstoffwechsel: Der Knochenstoffwechsel wies keine Pathologien auf, insbesondere keinen sekundären Hyperparathyreoidismus. Bei leichtem Vitamin-D-Mangel wurde der Patientin eine entsprechende Substitution empfohlen

Weiteres Vorgehen: Insgesamt zeigt sich eine normwertige Nierenfunktion bei signifikanter Proteinurie und schwer erhöhter Albuminurie. Dieses wurde im Rahmen der hypertensiven Blutdruckwerte oder DD im Rahmen der Grunderkrankung (Ehlers-Danlos-Syndrom) oder als DD medikamentös induziert bei NSAID-Dauertherapie interpretiert. Die Kopfschmerzen könnten ebenfalls aufgrund der Dauertherapie als medikamentös indiziert angesehen werden. Hinweise für eine akut vaskulitische Glomerulonephritis zeigen sich bei normwertigen Antikörper-Titern nicht. Aufgrund erhöhter Blutdruckwerte wurde eine eine intensive antihypertensive Therapie mit Olmesartan begonnen. 

Im Weiteren sind engmaschige nephrologische Verlaufskontrollen indiziert. Sollte sich eine Persistenz der signifikanten Proteinurie bei adäquaten Blutdruck zeigen, wäre über eine Nierenbiopsie nachzudenken.

Im Weiteren wurde der Patientin empfohlen, auf NSAID zu verzichten und bei Schmerzen unter anderem Paracetamol, Novalgin, Tilidin oder Morphin zu verwenden. Denn die NSAID können den Blutdruck massiv verschlechtern und zu einem akuten oder chronischen Nierenversagen führen. Eine Wiedervorstellung wurde empfohlen.

Aktuelle Medikation:
BETAVERT N 16 mg Tabletten1 - 1 - 1 - 0

AMITRIPTYLIN Micro

Labs 10 mg Filmtabletten

0 - 0 - 0 - 1

NOVAMINSULFON 500-1A

Pharma Filmtabletten

1 - 0 - 1 - 0

NAPROXEN AL 500 Tabletten

Empfehlung: eine Umstellung der Therapie auf PCM oder Novalgin

1 - 0 - 0 -½
OLMESARTAN AbZ 20 mg1 - 0 - 0 - 0
Filmtablettenneu unter Kalium und Kreatininkontrolle

Diagnosen: 

  1. Chronisch funktionelle Nierenerkrankung  
  2. Signifikante Proteinurie, am ehesten bei Hypertonie, DD medikamentös toxisch bei Naproxen-Einnahme, DD in Rahmen des Ehlers-Danlos-Syndroms
  3. Ehlers-Danlos-Syndrom
  4. Hypertonie
  5. Z.n. Hüft-OP bei Hüftdysplasie
  6. Z.n. Patellaluxation rechts mit 18 Jahren
  7. Z.n. Darmdurchbruch  
  8. Z.n. Bauchdeckenhernie
  9. Z.n. Nierenkoliken, Z.n. passagerer Schienung
  10. Z.n. Hüft-TEP bds.
  11. Z.n. Cholezystektomie
  12. Z.n. Krampfaderverödung
  13. Arthrose im Kniegelenk

Weiterer Verlauf

Im weiteren Verlauf entwickelt die Patientin im Anschluss an ein intensives Fitnesstraining plötzlich einsetzende massive rechtsseitige Flankenschmerzen, welche bis ins Epigastrium und in die rechte Leiste ausstrahlten.

Hieraufhin wurde sie bei Persistenz der Symptomatik und begleitenden hypertensiven Blutdruckwerten von 210/120mmHg notfallmäßig ins Krankenhaus gebracht. Hier zeigte sich laborchemisch ein akutes Nierenversagen bei begleitend deutlich erhöhter LDH (Laktatdehydrogenase).

KenngrößeMaßeinheitLaborparameterReferenzbereich
Kreatininmg/dl5,10,67–1,18
eGFR nach CKD-EPIml/min14 
LDHU/I1000<250
  1. Welche Diagnose könnte ursächlich sein für die akut einsetzende klinisch Symptomatik?
  2. Welche Diagnostik würden Sie sofort veranlassen?
  3. Welche Verdachtsdiagnose würden Sie im selben Zusammenhang stellen, wenn ihre Patientin im Anschluss an einen Marathon oder sexuelle Aktivität plötzlich mit einsetzenden rechtseitigen Flankenschmerzen im schockigem Zustand, bleich und kaltschweißig zusammenbrechen würde?

Wie lautet die Verdachtsdiagnose?

Diagnose

  1. Ursächlich ist am ehesten ein renaler Infarkt im Rahmen des Ehlers-Danlos-Syndroms.
  2. Als Diagnostik wäre ein Notfall-CT indiziert.
  3. Differentialdiagnostisch könnte für den akuten Notfall auch eine zwar seltene, aber ebenfalls im Rahmen des Ehlers-Danlos-Syndroms vorkommende Dissektion der Nierenarterie verantwortlich sein.

Erklärung:

Das Ehlers-Danlos-Syndrom ist in seltenen Fällen mit einer renalen Aortendissektion verbunden. Ein renaler Infarkt kommt ebenfalls in seltenen Fällen vor. Dieser wird begünstigt durch Faktoren wie eine Atherosklerose, valvuläre oder ischämische Herzerkrankungen, Vorhofflimmern, Endokarditis oder Hyperkoagullität sowie maligne Grunderkrankungen, Vaskulitis oder Nierentraumata. Ungefähr 30% der renalen Infarkte treten jedoch auch ohne entsprechende Dispositionen auf.

Klinische Symptome sind plötzlich einsetzende Flankenschmerzen, die ausstrahlen zum Epigastrium oder in die Leiste. Laborchemisch werden diese begleitet von einer sehr hohen Laktatdehydrogenase. Zudem können retroperitoneale Blutung auftreten.

Im Weiteren tritt eine hypertensive Entgleisung zusätzlich im Rahmen des renalen Infarktes auf. Meistens treten diese Symptome im Anschluss an anstrengende körperliche oder sexuelle Aktivitäten wie oben beschrieben auf. Außergewöhnlich an diesen Symptomatik ist, dass es vor allem junge Patientinnen und Patienten betrifft.

LITERATUR: Cataldo Emanela, C. Francesco, P.A. Massimiliano et al.: Spontaneous Renal Artery Dissection in Ehlers-Danlos Syndrome, Kidney Int Rep. 2019 4, 1649-1652

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Eine Patientin mit bekanntem EHLERS-DANLOS-SYNDROM kommt zur jährlichen Kontrolle in die nephrologische Ambulanz. Eine Patientin mit bekanntem EHLERS-DANLOS-SYNDROM kommt zur jährlichen Kontrolle in die nephrologische Ambulanz. © quickshooting - stock.adobe.com