RPLND – offenbar wirksame Alternative zur Chemo

DGU 2025 Lara Sommer

Wachsende Evidenz zeigt, dass eine Lymphknotenresektion Langzeitfolgen intensiver Chemotherapie vermeiden kann.
Wachsende Evidenz zeigt, dass eine Lymphknotenresektion Langzeitfolgen intensiver Chemotherapie vermeiden kann. © NanSan – stock.adobe.com

Wachsende Evidenz stützt, dass eine ausgedehnte Lymphknotenresektion Erkrankten mit Stadium-II-Seminomen die Langzeitfolgen einer intensiven Chemotherapie ersparen kann. Mehrere Expert:innen berichten übereinstimmend, dass die meisten Betroffenen nach der Operation jahrelang keine weitere Behandlung benötigen und sich eventuelle Rezidive auch später erfolgreich einfangen lassen.

Die leitliniengerechte systemische Chemotherapie geht bei Keimzelltumoren im klinischen Stadium II mit zahlreichen Langzeitfolgen und sogar einer Übersterblichkeit einher, erinnerte Prof. Dr. Axel Heidenreich vom Universitätsklinikum Köln.1 „Sie führt zu einer Sterberate bedingt durch die Behandlung, die wir den Patient:innen gegeben haben.“ Er präsentierte finale Ergebnisse der COTRIMS-Studie, in der Ärzt:innen nach einer retroperitonealen Lymphadenektomie (RPLND) mit erweitertem Template auf eine systemische Chemotherapie verzichteten (s. Kasten). 

Zum Zeitpunkt der RPLND wiesen zwei Drittel der 34 auswertbaren Teilnehmenden ein klinisches Stadium IIA auf, der Rest ein Stadium IIB. Median waren 1–2 von knapp 20 entfernten Lymphknoten positiv, die Metastasenlast demzufolge eher gering. Bei 85 % bestätigte sich die Diagnose eines Seminoms, gut ein Viertel davon zeigte bereits eine extrakapsuläre Extension. Drei Personen hatten eine benigne Histologie und zwei ein embryonales Karzinom – gemäß dem Experten „fünf Erkrankte, die typischerweise, zum Beispiel durch eine Radiotherapie, nicht adäquat behandelt worden wären.“ 

11,7 % der Operierten entwickelten Komplikationen vom Clavien-Dindo-Grad IIIa–IV (Lymphozele, chylöser Aszites, paralytischer Ileus). Eine anterograde Ejakulation konnten die Chirurg:innen bei 88,2 % erhalten.

Nach einem medianen Follow-up von 48,2 Monaten lebten noch sämtliche Teilnehmenden, alle bis auf vier behandlungsfrei. Die Rezidive traten nach vier, sechs, neun und zwölf Monaten auf und ließen sich durch eine BEP*-Chemotherapie beziehungsweise eine erneute RPLND beherrschen.

Wie Prof. Heidenreich betonte, lagen alle Rezidive außerhalb des Resektionsgebietes. Er führt die niedrigen Rezidivraten u. a. auf das erweiterte Template zurück. Zusammenfassend lasse sich eine nervenschonende RPLND beim markernegativen Seminom im Stadium IIA/B onkologisch sicher umsetzen und gehe mit geringer Morbidität einher. 80 % der Patient:innen erspare dieses Vorgehen eine Übertherapie, 10–15 % eine vermutlich wirkungslose Behandlung. Final mahnte er, dass die Operation aufgrund der Seltenheit der Erkrankung zentrumsbasiert erfolgen sollte.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Dr. Marieke Vermeulen-Spohn, Universitätsklinikum Düsseldorf, in einer Kohorte von 33 Personen mit seminomatösen Keimzelltumoren (Stadium IIA/B) aus der einarmigen Phase-2-Studie PRIMETEST.2 Nach mehr als fünf Jahren Beobachtungszeit blieben 70 % der Teilnehmenden (23/33 Personen) durch die alleinige RPLND langfristig rezidivfrei. Die Übrigen konnten die Kolleg:innen mit einer Chemotherapie (3 x BEP) erfolgreich behandeln, sodass sie kein erneutes Rezidiv entwickelten. Auch hier sind sämtliche Behandelten noch am Leben.

Mehr zu COTRIMS

An der unizentrischen Phase-2-Studie nahmen Erkrankte mit einem markernegativen, reinen testikulären Seminom im Stadium IIA/B teil. Sie durften nach der Entfernung des betroffenen Hodens kein adjuvantes Carboplatin erhalten haben.
Im Rahmen der Studie bekamen die Teilnehmenden eine nervschonende retroperitoneale Lymphadenektomie mit einem modifizierten, unilateralen Template. Dabei resezierten Chirurg:innen:

  • immer retrocaval/-aortal
  • immer A. iliacis communis bis zur Bifurkation
  • immer lateral des Ureters
  • immer V. testicularis und Vas deferens

Auf eine anschließende adjuvante Chemotherapie wurde hingegen verzichtet. Die Nachsorge erfolgte entsprechend der EAU-Leitlinien, im Rezidivfall gaben die Ärzt:innen bevorzugt 3–4 Zyklen BEP.

Chemotherapie kritisch hinterfragt

Im Vergleich zwischen rezidivfreien Teilnehmenden und jenen, die wegen eines Rückfalls Zytostatika erhielten, zeigten sich noch keine signifikanten Veränderungen in der Lebensqualität, gemessen am EORTC QLQ-C30. Die zusätzliche Chemotherapie ging gegenüber der RPLND aber tendenziell vermehrt mit Fatigue, Schmerzen und Schlafstörungen einher. Die Referentin merkte an, dass es noch zu früh sei: „Signifikante Veränderungen der Lebensqualität treten erst nach mindestens 30 Jahren auf. Dann kommt es zu dem Knick und zum Auftreten von Langzeittoxizitäten.“ Auch sie plädiert daher dafür, eine Chemotherapie, sofern möglich, zu vermeiden.

Alles in allem blieben sieben von zehn Erkrankten durch die Lymphknotendissektion für sich rezidivfrei. Die Frage, welche Subgruppen besonders von einer solchen Deeskalation profitieren, möchte das Team der Expertin in PRIMETEST-II klären.

Julian Heidenreich von der Uniklinik Köln beschäftigte sich wiederum im Speziellen mit Stadium-IIB-Tumoren.3 Er wertete retrospektiv Daten von 40 Betroffenen aus zwei großen Zentren aus, die eine primäre RPLND erhielten. Alle hatten ein bestätigtes Seminom im Orchiektomiepräparat, waren negativ für Tumormarker und wiesen zum Zeitpunkt der Ablatio oder während des Follow-ups ein Stadium IIB auf. Sie durften keine Chemotherapie nach der Lymphknotendissektion erhalten haben.

Behandelte waren durchschnittlich 38,5 Jahre alt und wurden 32,5 Monate nachbeobachtet. Postoperativ fand sich bei fast allen (33/40) ein pN2-Stadium. Fünf hatten eine pN3-Erkrankung, entsprechend Stadium IIC. Eine extrakapsuläre Extension kam in 16 Fällen vor. 17,5 % erlitten Komplikationen vom Clavien-Dindo-Grad ≥ 3a, Grad 4 oder 5 gab es nicht.

22,5 % der Teilnehmenden entwickelten nach im Mittel 11,1 Monaten ein Rezidiv. Davon befand sich etwa die Hälfte innerhalb des Behandlungsgebietes. Als wichtigster Prädiktor entpuppte sich in diesem Kollektiv die Lymphknotengröße: „Von neun Erkrankten, die rezidiviert sind, waren vier dabei, die ein klinisches Stadium IIC, also eine Lymphknotengröße über 5 cm hatten.“ Auch für den Anteil positiver an allen entfernten Lymphknoten zeigte sich eine Tendenz. 

Zusammenfassend hält der Referent die primäre RPLND für eine leitliniengerechte Alternative zu Chemo- oder Radiotherapie bei seminomatösen Keimzelltumoren im Stadium IIB. In folgenden Fällen würde er diese Strategie hingegen stark hinterfragen: 

  • klinisches Stadium IIC
  • stark erhöhte Tumormarker
  • multiple vergrößerte Lymphknoten in der Bildgebung

Auf die Frage, welche Erkrankten eine adjuvante Chemotherapie erhalten sollen, gebe die Leitlinie bisher keine Antwort.

*Bleomycin, Etoposid, Cisplatin

Quellen:
1. Heidenreich A. 77. DGU-Kongress; Vortrag „Finale Ergebnisse der prospektiven COTRIMS (COlogne Trial of Retroperitoneal Lymphadectomy in Metastastic Seminoma) Studie“
2. Vermeulen-Spohn M. 77. DGU-Kongress; Vortrag „PRIMETEST – Analyse der Langzeit-Follow-up Daten nach primärer retroperitonealer Lymphadenektomie (RPLND) bei Patienten mit Seminom im klinischen Stadium II“
3. Heidenreich J. 77. DGU-Kongress; Vortrag „Primäre retroperitoneale Lymphadenektomie (pRLA) beim seminomatösen Keimzelltumor im klinischen Stadium IIB – eine Kohortenstudie aus zwei Zentren“

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Wachsende Evidenz zeigt, dass eine Lymphknotenresektion Langzeitfolgen intensiver Chemotherapie vermeiden kann.
Wachsende Evidenz zeigt, dass eine Lymphknotenresektion Langzeitfolgen intensiver Chemotherapie vermeiden kann. © NanSan – stock.adobe.com