
Von Thrombokonzentraten bis zur Antagonisierung

Vor allem in den ersten sechs Stunden nach einer intrazerebralen Blutung (ICB) muss man mit einer Ausbreitung des Hämatoms rechnen, erklärte Prof. Dr. Lars Kellert vom LMU Klinikum Campus Großhadern. Erfahrungsgemäß bluten sehr kleine und sehr große ICB eher nicht nach, aber darauf kann man natürlich nicht bauen. Viele Studien haben sich deshalb damit beschäftigt, verlässliche Prädiktoren für eine Hämatomexpansion (HE) zu ermitteln.
Kombination von Zeichen zeigt erhöhtes Risiko an
Als mittelgut hat sich das „Spot Sign“ erwiesen, die in der CT-Angio sichtbare lokale Ansammlung von kontrastmittelhaltigem Blut im Inneren des Hämatoms. Ist es gemeinsam mit einer Hypodensität in der nativen CT sichtbar („Black & White Sign“), besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine allgemeine HE (Odds Ratio, OR, 7,8) und eine schwere HE (OR 5,7).
Um günstig in die Hämostase einzugreifen, gibt es mehrere Optionen – leider überzeugen nicht alle. So ließ sich mit Thrombozytenkonzentraten bei einer ICB unter Plättchenhemmern kein Vorteil erreichen, im Gegenteil: Die Rate an Todesfällen und krankheitsbedingten Abhängigkeiten lag darunter höher als unter Standardbehandlung. Die Therapie wird daher in der aktuellen Leitlinie nicht empfohlen.
Tranexamsäure zeigte nach spontaner ICB keinen Einfluss auf die HE, reduzierte aber die Frühmortalität und das Risiko von Komplikationen stärker als Placebo. Am funktionellen Outcome nach 90 Tagen änderte die Substanz nichts. Laut Leitlinie kann die Gabe innerhalb von acht Stunden nach Blutungsbeginn erwogen werden. Das wird möglicherweise bei der nächsten Aktualisierung geändert, denn in einer Studie von 2024 zeigten sich keinerlei positive Einflüsse auf Sterblichkeit oder Komplikationen.
Bei einer ICB unter Vitamin-K-Antagonisten mit erhöhter INR (> 1,2) dagegen bestehen bessere Chancen, die HE wirksam zu verhindern. Man setzt den Blutverdünner sofort ab, infundiert 10 mg Vitamin K i . v . und bringt mit PPSB die Gerinnung ins Lot. FFP hat sich weniger wirksam erwiesen als PPSB.
Zur Antagonisierung einer Gerinnungshemmung unter Dabigatran mit Idarucizumab gibt es in puncto ICB keine klinischen Endpunktstudien und keinen Vergleich zum Standard of Care. Da der Antikörper aber generell gut wirkt, sagt die Leitlinie: „Kann erwogen werden.“
Bezüglich der Antagonisierung von Faktor-Xa-Inhibitoren mit Andexanet alfa bei ICB erschien 2024 eine Studie. Darin reduzierte das Antidot die HE besser als die Standardbehandlung – um den Preis beinahe doppelt so vieler thrombembolischer Ereignisse inklusive ischämischer Schlaganfälle. Und diese Ereignisse sind laut Prof. Kellert oft für das Outcome relevanter als eine Hämatomexpansion.
Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft hat daraufhin eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie rät, zunächst das Ausmaß der Antikoagulation mittels Anamnese und Labor zu prüfen und dann Nutzen und Risiko abzuwägen. Für das Thrombembolierisiko fallen ins Gewicht:
- Vorgeschichte (Herzinfarkt, Schlaganfall)
- Indikation zur oralen Antikoagulation
- Vorhofflimmer-Last
Fürs HE-Risiko gilt es, die Faktoren Blutungsgröße, Zeit, aktive Blutungszeichen und Hämostase zu berücksichtigen.
Allerdings liegen inzwischen Daten zur Schwere der thrombembolischen Ereignisse und den Auswirkungen auf das Outcome vor. 17 % der Patientinnen und Patienten mit einer HE erreichten Werte von 0–3 auf der modifizierten Rankin-Skala, also sehr gute Werte. In der Gruppe mit Gefäßverschluss waren es 31 %. Prof. Kellert versah die Therapieoption daher abschließend mit einem „jein … eher ja“.
Als effektiv im Hinblick auf das funktionelle Ergebnis hat sich ein rasch durchgeführtes „Care Bundle“ erwiesen. Es umfasst die Blutdrucksenkung auf unter 140 mmHg, das Herbeiführen von Normothermie und -glykämie sowie den Ausgleich der Blutgerinnung. Prof. Kellert hält dabei die Parameter Hämostase und Blutdruck für entscheidend. Für das Bundle braucht man aber auf jeden Fall eine zweite Person, die mithilft, und Ressourcen, betonte er.
Die Gerinnung steht, der Blutdruck ist im Lot, wie geht es nun weiter? Eine Reha nach überstandener Blutung ist natürlich gut und sinnvoll – aber bitte nicht zu früh. Untersuchungen zu entsprechenden Maßnahmen vor Ablauf von 24 Stunden zeigten eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein schlechtes Outcome, erklärte Prof. Dr. Christian Nolte, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Erste Übungen kann man aber nach 24–48 Stunden erwägen. Generell wird angestrebt, dass die Betroffenen etwa nach drei Monaten wieder zuhause sind.
Ubi sanguis, ibi evacua?
Für Patientinnen oder Patienten mit einer ICB gibt es eine klare zeitliche Abfolge von Maßnahmen: stabilisieren, evakuieren, schützen, rehabilitieren, vorbeugen. Das Evakuieren kommt aber nicht für jeden infrage. Die Entscheidung richtet sich unter anderem nach Größe und Sitz der Blutung. Großzügig sollte man die OP-Indikation bei jeder Kleinhirnblutung stellen, erklärte Neurochirurg Prof. Dr. Niklas Thon von den Knappschaft Kliniken Universitätsklinikum Bochum. Gerechtfertigt ist ein Eingriff bei lobärer Blutung mit relevanter Raumforderung ohne weitere Risikofaktoren. Das gilt nur eingeschränkt bei einer zugrundeliegenden Amyloidangiopathie, da sie mit einem hohen Rezidivrisiko einhergeht. Generell sollte man so schonend wie möglich operieren und eloquente Areale meiden, mahnte der Kollege – also Bereiche, in denen bestimmte Funktionen exklusiv lokalisiert sind, wie der motorische Kortex oder die Sehrinde.
Ernährung und Blutdruck im Auge behalten
Ein gesunder Lebensstil hat noch nie geschadet, also nicht rauchen, nicht trinken, viel Obst, Gemüse und Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen. Das wird auch Patientinnen und Patienten nach ICB geraten, die Datenlage zum Nutzen ist aber dünn. Der Blutdruck sollte unter Kontrolle bleiben, das optimale Ziel und das ideale Medikament hierfür kennt man allerdings nicht.
Eine erneute Therapie mit Plättchenhemmern lässt sich wohl mehreren Studien zufolge bei entsprechender Indikation rechtfertigen, insbesondere nach tiefen, also nicht-lobären Blutungen. Auch der Wiedereinsatz von oralen Antikoagulantien scheint nach Abschätzung des individuellen Blutungsrisikos (Ursache, Risikofaktoren etc.) möglich.
Alternativ kommt ein Vorhofohrverschluss infrage. Für Prof. Nolte gibt es bislang aber nur moderate Evidenz und es ist noch unklar, wie postinterventionell die beste antithrombotische Therapie aussieht. Es laufen aber mehrere Studien zu diesem Verfahren, erste Ergebnisse werden in Kürze erwartet.
Quelle: Arbeitstagung Neurointensivmedizin 2025
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