
Wirkung auf das Immunsystem berücksichtigen

Eine immunsuppressive Wirkung von Opioiden ist keinesfalls zu vernachlässigen. Denn das kann bedeuten, dass insbesondere Ältere oder Krebskranke ein höheres Risiko haben, eine Infektion zu entwickeln. Opiate nehmen potenziell auf zwei Wegen Einfluss: entweder direkt über Opioidrezeptoren der Immunzellen– über die sie u. a. apoptotische Prozesse einleiten können– oder vermittelt über das Nervensystem und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse.
Die Aktivität von natürlichen Killerzellen wird durch Morphin beispielsweise herunterreguliert, wie Studien zu Ratte, Maus, Affe und Mensch zeigen. Die Aktivierung von T-Zellen, z. B. durch antigenspezifische Reize, fällt sowohl bei akuter als auch bei chronischer Einnahme von Morphin geringer aus. Weiterhin schwächen Opioide über eine beeinträchtigte Genexpression die Aktivität vieler Zytokine, darunter Interleukin-2 und Interferon-γ. Auch B-Zellaktivität und Antikörperproduktion gehen unter Einfluss von Opioiden zurück. Dazu kommt, dass Morphin die Steroidfreisetzung ähnlich wie Stress fördert und im Tiermodell die Pathogenität von Viren steigern konnte. Zu den weiteren Effekten zählen Thymusatrophie, Verminderung der T-Lymphozytenzahl, B-Zell-Aktivität und der Antikörperproduktion.
Die opioidinduzierte Immunsuppression kann zum Problem werden, wenn das Immunsystem schon durch andere Prozesse, beispielsweise eine HIV-Infektion, gefordert ist. Studien an Tiermodellen weisen auch darauf hin, dass sich die induzierte Immunsuppression über Fentanyl oder Morphin negativ auf Krebserkrankungen auswirken kann. Sie begünstigt z. B. die Metastasierung.
Aber nicht alle Opioide wirken gleichermaßen immunsuppressiv. Als relevante Struktur für die Stärke des Effekts vermutet man die funktionelle Gruppe an Position 6 des Opioidgerüsts. Bei Morphin befindet sich an dieser Position eine Hydroxygruppe (-OH). Bei Oxycodon und Hydromorphon ist diese durch eine Sauerstoff-Doppelbindung ersetzt, bei Buprenorphin durch eine Methylgruppe. Alle drei Opioide besitzen eine im Vergleich zu Morphin geringere immunsuppressive Wirkung.
Skala hilft bei der Indikationsstellung
Opioide mit langer Wirkdauer bzw. retardierter Galenik sollten für eine Langzeittherapie immer bevorzugt werden. Mithilfe der DIRE-Skala lässt sich das Risiko vermindern, Opioide bei nicht-tumorbedingten Schmerzen unindiziert einzusetzen. Berücksichtigt werden u. a. Diagnose, insuffizientes Ansprechen, Risiken und Therapierfolg. Nur Patientinnen und Patienten mit einem Punktwert zwischen 14 und 21 kommen für eine Opioidlangzeittherapie in Betracht. Außerdem sollte vorher neben der somatischen auch eine psychische Anamnese erfolgen.
Für ältere Menschen oder Tumorkranke ist Hydromorphon ein gut geeignetes Opioid, das sich auch bei eingeschränker Nierenfunktion eignet. Es weist nur geringe immunsuppressive Effekte und kaum Interaktionen auf und scheint zudem die Metastasierung nicht zu fördern. Morphin bietet sich dagegen beispielsweise bei akuter rheumatoider Arthritis im akuten Schub an, da in diesen Fällen ein immunsuppressiver Effekt sogar wünschenswert wäre. Kommt es vor allem darauf an, die Vigilanz oder auch Fahrtüchtigkeit zu erhalten, sollte man zum Fentanyl-Pflaster greifen.
Mit der richtigen Auswahl Hyperalgesie vermeiden
Bei neuropathischen Schmerzen könnte sich Buprenorphin eignen, weil dieses wohl durch die κ-Rezeptorantagonisierung eine Hyperalgesie vermeidet. Außerdem hat es eine lang anhaltende antihyperalgetische Wirkung und verursacht eine Natriumkanalblockade. Auch Tapentadol kommt hier in Betracht als µ-Agonist und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer. Methadon wirkt durch seine Bindung an NMDA-Rezeptoren einer Herunterregulation von Opioidrezeptoren und damit einer Toleranzentwicklung entgegen. Sein Einsatz erscheint somit sinnvoll bei Personen, die unter Therapie mit anderen Opioiden eine Hyperalgesie entwickelt haben.
Quelle: Binsfeld H. Schmerzmedizin 2024; 40: 26-29; doi: 10.1007/s00940-024-4852-y
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