Expertengespräch Diabetologie Überwachung und Warnung durch CGM-Systeme in der Hausarztpraxis wäre sinnvoll

e-Health , Apps und Internet Autor: Nicole Finkenauer / Prof. Lutz Heinemann

Die kontinuierliche Glukosemessung mit einem Sensor auf dem Arm ist bei Menschen mit Typ-2-Diabetes aufgrund der Vorgaben des G-BA nur eingeschränkt zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich. Die kontinuierliche Glukosemessung mit einem Sensor auf dem Arm ist bei Menschen mit Typ-2-Diabetes aufgrund der Vorgaben des G-BA nur eingeschränkt zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich. © andreswd/gettyimages

Wie weit hat sich digitale Diabetetechnologie in der hausärztlichen Versorgung schon durchgesetzt? Prof. Lutz Heinemann, Host des Podcasts O-Ton Diabetologie Tec-Update im Gespräch mit der Allgemeinärztin Ingrid Dänschel. 

Setzen sich digitale Innovationen und neue Technologien in der hausärztlichen Versorgung von Menschen mit Diabetes durch? Welchen Verbesserungsbedarf gibt es? Darüber sprach Prof. Lutz Heinemann, Host des Podcasts O-Ton Diabetologie Tec-Update, mit der Allgemeinärztin Ingrid Dänschel, die lange im Bundesvorstand des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes aktiv war. Sie wünscht sich einen flotteren Transfer von Wissen in politische Taten.

Welche Rolle spielen die moderne Diabetestechnologie und digitale Tools in der hausärztlichen Praxis? 

Dipl.-Med. Ingrid Dänschel: Wir haben einen G-BA-Beschluss vom 16. Juni 2016, der immer noch greift. Und da muss man sagen: Das ist negativer Lobbyismus. Der Beschluss besagt, dass Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) ausschließlich von diabetologischen Schwerpunktpraxen verordnet werden dürfen. 

Wir haben in Sachsen wie auch in einigen anderen Bundesländern den kleinen Vorteil einer Zusatzvereinbarung zwischen der KVS und der AOK Plus, dass ein CGM-System auch von einer Hausarztpraxis ohne diabetologischen Schwerpunkt verordnet werden darf – und zwar für Menschen mit Typ-2-Diabetes und einer intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) oder nachweisbar häufigen Hypoglykämien. Ansonsten wird Menschen mit Typ-2-Diabetes diese Technologie vorenthalten.

Der G-BA-Beschluss war ein wichtiger Schritt. Seitdem hat sich viel getan. Wann gibt es ein Update?

Wie schon gesagt: Bei uns lässt die AOK Plus die Verordnung zu. Aber juristisch gesehen greift der G-BA-Beschluss. Sollte es zu Regressforderungen kommen, ist man nicht abgesichert. In meinen Augen braucht es inzwischen unbedingt eine Nachbesserung. Ich würde mir wünschen, dass die diabetologischen Schwerpunktpraxen uns helfen, dieses Ziel zu erreichen. Typ-2-Diabetes ist die Domäne der Hausarztpraxis. Oft sind Menschen mit Typ-2-Diabetes multimorbide. Bei den über 65-Jährigen mit Typ-2-Diabetes besteht fast immer zugleich ein Hypertonus oder es hat sich bereits eine Niereninsuffizienz entwickelt. Gerade für die Patientinnen und Patienten mit einer BOT oder auch oralen Therapie, deren Werte entgleist sind oder vermehrt Hypoglykämien auftreten, wäre der zumindest zeitweise Einsatz eines CGM wichtig. Die Datenlage dafür ist unterdessen sehr gut. Mich wundert, dass die Patientenverbände sich dafür nicht stärker einsetzen.

Läuft es denn in anderen Ländern besser, etwa in Dänemark?

Dänemark könnte für vieles ein Beispiel sein. 97 % der Menschen dort nehmen freiwillig an einem Einschreibesystem zur hausarztzentrierten Versorgung teil. Das könnten wir in Deutschland längst auch haben. 

Hoffen wir, dass die Politik jetzt den großen Wurf landet und solche Dinge berücksichtigt. Aber ich glaube, so einfach ist es in Deutschland eben nicht. Das behindert uns und das behindert auch die häusliche Krankenpflege und Pflegeheime, die zunehmend Probleme mit den Ressourcen und vor allem qualifiziertem Personal haben. Wenn wir uns anschauen, wie viele stationäre Einweisungen auf Nachbarn oder Pflegepersonal zurückgehen, wäre eine Überwachung und Warnung durch moderne digitale Systeme sinnvoll. 

CGM-Geräte lassen zu, dass eine andere Person, ein sogenannter Kümmerer, die Daten mitliest und darauf reagieren kann. Ein Problem ist, dass es in Deutschland immer darum geht, was CGM kostet. Dabei kosten bei Typ-2-Diabetes mit ICT die Teststreifen mehr als ein CGM-Gerät – das haben wir mal ausgerechnet. Außerdem: Wenn mehr Menschen CGM nutzen würden, würden auch die Preise sinken.

Muss denn jede Patientin und jeder Patient immerzu wissen, wie der Glukoseverlauf ist?

Man könnte CGM auch für einen begrenzten Zeitraum verordnen, beispielsweise nach einer Entgleisung. Dann bekommt man aussagekräftige Werte, nicht umsonst sprechen wir heute von TiR (Time in Range), und kann die vernünftig auswerten. Aber von einem patientenzentrierten Denken sind wir in den Regelungen weit entfernt. Ich habe genügend Berufspolitik gemacht und weiß natürlich: Das muss alles justiziabel sein. Aber wir behindern uns. Hier muss man einfach mal mutiger sein und vernünftige Entscheidungen treffen.

Thema Schulung: Wie sieht es da aus?

Das ist ein Problem, das wir unbedingt lösen müssen. Bei den Diabetesassistentinnen – die Hausarztpraxen verfügen ja meist über Assistentinnen – und sicher auch bei den Diabetesberaterinnen fehlt der Nachwuchs. Unsere MFA, die diese Ausbildung hatte, haben wird deshalb noch im Rentenalter beschäftigt. Unterdessen konnten wir eine junge Kraft einstellen – da haben wir großes Glück gehabt. 

Wir müssen gewiss digitale Formate einführen, weil diese zur Lebensweise der Menschen passen. Es muss möglich sein, dass man eine Schulung am Abend machen kann und sich vielleicht auch einen Teil der Schulung zu einer beliebigen Zeit herunterlädt. Oder dass man sich zu einer Gruppe dazuschaltet. Das müssen wir in den nächsten zwei Jahren auf den Weg bringen. Die Prävalenz des Typ-2-Diabetes und damit der Schulungsbedarf werden steigen. Auch die Angehörigen, die häusliche Krankenpflege und die stationäre Pflege müssen in die Schulung einbezogen werden.

Wie ist das eigentlich mit den digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Bereich Diabetes?

Die Erwartungshaltung war groß und der Hype am Anfang auch. Die Krankenkassen würden die Anwendung der DiGA gerne befördern, wohl in dem Glauben, dass es preiswerter würde. Aber wir haben gemerkt, dass – wie eigentlich zu erwarten war – eine DiGA ohne Begleitung und ohne Beratung nicht wirklich Erfolg bringt. DiGA können uns unterstützen wie andere digitale Tools auch. Aber es genügt nicht, sie einfach aufzuschreiben, sondern sie müssen z. B. ein Bestandteil der Schulung sein.

Wie kann die KI helfen, um die Patientinnen und Patienten in ihrer Komplexität zu erfassen?

Ich denke, dass Künstliche Intelligenz uns helfen kann, Muster zu erkennen, etwa bei CGM. Dann muss ich oder die Medizinische Fachangestellte keine Kurven mehr auswerten, das kann KI viel besser. Es gibt erste Daten, dass KI aus einem EKG erkennen kann, ob sich z. B. ein Diabetes entwickelt. Das wird uns helfen. Wir brauchen Ressourcenschonung. Wir müssen die Personalkraft für Beratungen und Entscheidungen nutzen, und nicht für Dinge wie Glukosekurven anzuschauen.

Was soll an digitalen Ansätzen in der Hausarztpraxis ankommen?

Mich stört, dass wir in Deutschland alles reglementiert haben. Mir fehlt eine schnellere Umsetzung von Wissen in politische und versorgungswirksame Entscheidungen. Dafür brauchen wir Versorgungsforschung – damit wir aus dieser Forschung heraus schneller reagieren. Das würde ich mir wünschen. Außerdem müssen Struktur und Qualität stimmen. Man muss festlegen, welche Standards gelten und die müssen eingehalten werden. Wer dann die Umsetzung leistet, hängt von den jeweiligen regionalen Gegebenheiten ab.

Die Facharztdichte im ländlichen Raum ist teilweise dünn. Darauf müssen wir reagieren. Wir haben nicht mehr überall Expertise durch einen Menschen vor Ort, aber wir können sie zuschalten. Ich würde mir wünschen, dass das umgesetzt wird. Wir warten ja jetzt darauf, ob eine große Reform aus dem Bundesgesundheitsministerium kommt. 

Redaktionelle Bearbeitung: Nicole Finkenauer

Quelle: Interview – Podcast O-Ton Diabetologie Tec-Update

Neugierig auf mehr?

Im Tec-Update von O-Ton Diabetologie geht es um Diabetestechnologie, Digitalisierung und KI. Die komplette Tec-Update-Folge mit Dipl.-Med. Ingrid Dänschel und Prof. Lutz Heinemann finden Sie auch hier: diabetologie-online.de/o-ton-diabetologie#68  Weitere Schwerpunkte der Reihe sind die Diabetes Technology Society, die diatec-Events und der dt-Report. 
 

Dipl.-Med. Ingrid Dänschel
Fachärztin für Allgemeinmedizin, 
Ehrenmitglied im Hausärztinnen- und Hausärzteverband, Lunzenau Dipl.-Med. Ingrid Dänschel Fachärztin für Allgemeinmedizin, Ehrenmitglied im Hausärztinnen- und Hausärzteverband, Lunzenau © Lopate/axentis.de