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Lieferengpässe „Eine unhaltbare Situation“

Verordnungen Autor: Cornelia Kolbeck

Lieferengpässen soll durch die Arzneimittelreform entgegengetreten werden. Lieferengpässen soll durch die Arzneimittelreform entgegengetreten werden. © benjaminnolte – stock.adobe.com
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Die Arzneimittelreform ist vom Bundestag beschlossen. Damit sind die Weichen gestellt, um Engpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden, sagt der Bundesgesundheits­minister. Fachärzt:innen begrüßen das – aber es wird auch Un­zufriedenheit über spätes Handeln laut.

Seit vielen Jahren beklage man Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung, „insbesondere in dem Bereich, wo die Patente keine Rolle spielen, bei nicht patentgeschützten Arzneimitteln“, sagte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach im Juni vor der Verabschiedung des „Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ (ALBVVG) im Bundestag. Mit Aspirin habe es angefangen, dann hätten andere Schmerzmittel wie Ibuprofen gefehlt, dann Magensäurehemmer. Jetzt fehlten um die 450 Wirkstoffe. „Und das ist mittlerweile eine unhaltbare Situation“, so der Minister.

Kritisch resümierte er, dass die Politik zu lange auf die Selbstverpflichtung der Industrie gesetzt habe und vor einer auch mit Kostenfolgen verbundenen gesetzlichen Regelung immer zurückgescheut sei: „Das ist falsch gewesen; denn die Lage ist mittlerweile so, dass zum Teil Krebsmedikamente (...), aber auch Antibiotika oder Medikamente für Kinder nicht erhältlich sind, obwohl sie zum Teil im Ausland noch erhältlich sind.“ 

Mit den neuen gesetzlichen Regelungen wird das Problem angegangen. Inhalte des ALBVVG sind u.a.: 

  • Pharmazeutischen Unternehmen wird für rabattierte Arzneimittel künftig eine sechsmonatige Lagerhaltung vorgeschrieben, um kurzfristigen Lieferengpässen vorzubeugen und gesteigerte akute Mehrbedarfe auszugleichen. 
  • Wenn bei Krebsarzneimitteln ein Engpass absehbar wird, müssen Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken ihre Vorräte aufstocken. Das gilt auch für Apotheken, die anwendungsfertige Zubereitungen herstellen. 
  • Wer als Hersteller einen Rabattvertrag abschließen will, muss sicherstellen, dass er liefern kann. Eine sechsmonatige Lieferbarkeit muss über Bevorratung garantiert sein. „Somit werden wir dort den größten Teil des Problems mit einer simplen Maßnahme – sechs Monate Vorrat – erschlagen können“, erklärte Prof. Lauterbach.
  • Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der Europäischen Union und im Europäischen Wirtschaftsraum müssen bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden.
  • Zudem wird ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden Lieferengpässen eingerichtet. 

Produktion soll nach Europa zurückgeholt werden

Ein Frühwarnsystem war schon in der letzten Legislatur (2019) von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn vorgesehen. Pharmazeutische Unternehmen und Großhändler sollten verpflichtet werden, zu versorgungsrelevanten Arzneimitteln Informationen zu Lagerbeständen, Warenflüssen und drohenden Liefer­engpässen an die Bundesoberbehörden zu melden. Realisiert wurde das allerdings genauso wenig wie die damals schon erwogene Lagerhaltung gegen Engpässe. 

Immer größere Lieferprobleme zwangen die aktuelle Ampelregierung jetzt zum Handeln. Langfristig soll zudem die Produktion nach Europa zurückgeholt werden, zuerst Antibiotika, später auch Krebsmedikamente betreffend. 

„Fachgesellschaften, die sich mit der Erforschung von Krebskrankheiten und der Krebsversorgung beschäftigen, und die Organisationen der Krebs-Selbsthilfe begrüßen die Maßnahmen“, heißt es in einer Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) zum ALBVVG. Die Fachgesellschaft verweist darauf, dass die Zahl der Liefer- und Versorgungsengpässe bei Krebsmedikamenten im vergangenen Jahr deutlich zugenommen hat. „Vor allem die Engpässe bei dem Brustkrebs­medikament Tamoxifen und bei Calciumfolinat, einem Medikament zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsen- und Darmkrebs, hatten große Unsicherheit ausgelöst.“ 

Zusätzlich hätten Hamsterkäufe die Verfügbarkeit der Medikamente erschwert. Apotheken und Betroffene hätten damit die bereits knappen Reserven weiter reduziert. Bei einer früheren Bevorratung von unverzichtbaren Arzneimitteln über sechs Monate hätte der Versorgungsengpass bei Tamoxifen verhindert werden können, schreiben die Expert:innen. 

Wie Hedy Kerek-Bodden, Vorsitzende des Hauses der Krebs-Selbsthilfe in Bonn, vor dem Bundestag berichtete, haben Krebspatientinnen und -patienten durch die Lieferengpassprobleme große Angst, dass ihr vielleicht lebensrettendes Medikament auf einmal nicht mehr verfügbar ist. Sie hofft, dass das Wissen um einen verlässlichen Vorrat das Gefühl der Sicherheit wiederherstellen wird. 

Prof. Dr. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, begrüßte speziell die neuen Regelungen zu Antibiotika. Infektionen gehörten zu den häufigsten Komplikationen einer intensiven Krebstherapie: „Die sichere Versorgung mit Antibiotika, auch mit Reserveantibiotika für resistente Erreger, ist für die supportive Therapie im ambulanten und im stationären Bereich unverzichtbar.“

Kritisch bemerkte die DGHO, dass nicht alle Vorschläge der Fachgesellschaften Eingang in die Regelungen gefunden hätten. Speziell vermisst wurden nachhaltige Maßnahmen für kurze Lieferketten und die Diversifizierung der Anbieter bei Rabattverträgen über die Antibiotika hinaus. Die nächsten Monate müssten zeigen, ob die jetzt beschlossenen Regelungen ausreichend und wirksam seien, hieß es in diesem Zusammenhang.

Ausschreibungen von Onkologika noch unverändert

Auch die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion begrüßte die Regelungen. Zugleich war aber auch Kritik zu hören. Der Bundestagsabgeordnete Tino Sorge (CDU) verwies darauf, dass in den letzten Jahren erhebliche Probleme gesehen wurden, auch bei Rabattverträgen, weil viele Anbieter, viele Unternehmen am Markt überhaupt nicht mehr tätig gewesen seien. 

Auch dass die Ausschreibungs­bedingungen bisher nur zu Antibiotika, nicht aber zu Krebsmedikamenten modifiziert wurden, monierte der Abgeordnete. „Könnten Sie mal kurz erklären, warum Sie das bei den Antibiotika machen, aber bei den Krebsmedikamenten, auf die viele Krebskranke ja wirklich angewiesen sind, eben nicht?“, fragte er den Minister im Parlament. 
„Wir wollen das ja auf andere Wirkstoffe ausdehnen“, antwortet Prof. Lauterbach. Es mache aber keinen Sinn, jeden einzelnen Wirkstoff und jede einzelne Indikation ins Gesetz zu schreiben. „Wir schreiben eine Indikation und eine Wirkstoffgruppe ins Gesetz und ermächtigen uns, dass wir es für jede andere Gruppe, bei der es in Zukunft notwendig sein wird, per Rechtsverordnung umsetzen.“ Somit könne der Einflussbereich des Gesetzes zu jeder Zeit ausgedehnt werden – auf Antibiotika, Onkologika, Herz-Kreislauf-Medikamente oder wo auch immer nötig. Die Rechtsverordnung werde ohne Zeitverzug vorgelegt. 

Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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