Anzeige

Der (h)eilige Patient

Aus der Redaktion Autor: Tim Förderer

© MT
Anzeige

Rezidivierende Rückenschmerzen, die sich einmal im Jahr verstärken und ständiges Kopfweh, so stellt sich ein betagter Herr, Paketbote, in der Praxis vor. Die Diagnostik ergibt arthrotische Veränderungen des Rückens und des Beckens. Darüber hinaus hat er Verwachsungen am Kopf, die wahrscheinlich die Kopfschmerzen bedingen. Und dann vergehen die Schmerzen wieder, alle Jahre wieder. Eine vorweihnachtliche Kolumne von Tim Förderer.

Der betagte Patient misst 1,67 Meter, Flüchtling aus Patara in der heutigen Türkei, genaues Alter unbekannt. Er leidet schon seit Längerem unter einem tiefsitzenden Rückenschmerz. Darüber hinaus klagt er über chronische Kopfschmerzen. Er sei in der Vergangenheit wegen seines christlichen Glaubens in Gefangenschaft genommen und gefoltert worden. Auch habe er vor Längerem eine kleine Schlägerei in einer Kirche gehabt. Dabei habe er wohl etwas abbekommen. Von Beruf sei er Paketbote. Da habe er es oft recht eilig.

Sein offenkundig hohes Alter halte ihn nicht davon ab, wenngleich es ein echter Knochenjob sei. Der Erkrankte vermutet, dass auch die vornehmlich sitzende Arbeitsweise während der Fahrt ursächlich für den Rückenschmerz sein könnte, sein Zustellfahrzeug sei etwas in die Jahre gekommen. Auf seine Ernährung angesprochen erwidert er, vorwiegend vegetarische Kost zu sich zu nehmen.

Die röntgenologische Untersuchung des Schädels ergibt einen verheilten Bruch des Nasenbeins sowie eine Verdickung am Schädel, möglicherweise durch Folter oder die Schlägerei. Die Verdickung dürfte ein Grund für die chronischen Kopfschmerzen sein. Eine stark ausgebildete Nackenmuskulatur deutet darauf hin, dass der Erkrankte häufig in gebückter Haltung sitzt oder geht und größere Lasten auf Rücken und Schultern trägt. Der radiologische Befund des Rückens ergibt arthrotische Veränderungen des Rückens und des Beckens, vermutlich ebenfalls aufgrund der Tätigkeit als Paketbote. Da hilft nur, die Arbeit einzuschränken oder gar aufzugeben. Der Patient erwidert, das könne er den Kindern nicht antun!

Bei dem Patienten handelt es sich, Sie ahnen es, um Nicholaos von Myra, besser bekannt als heiliger Nikolaus. Laut den Röntgenbildern im Zuge einer Exhumierung in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts müsste er tatsächlich unter den beschriebenen Symptomen gelitten haben. Auch Inhaftierung und Folter durch die Römer im Rahmen der Christenverfolgung sowie eine handgreifliche Auseinandersetzung mit einem Bischof in einer Kirche werden erwähnt. Auf die vorwiegend vegetarische Ernährung deutet der Abnutzungsgrad der Zähne. Heutzutage würde man dem heiligen Herrn wohl kurzfristig zu NSAR raten. Oder vielleicht einfach zu warten – schließlich hat er etwa ein Jahr Zeit, sich zu erholen und den Rücken zu schonen.

Tim Förderer
Redakteur Medizin

Anzeige