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Alt werden ist nur was für Gesunde

Aus der Redaktion Autor: Birgit Maronde

© MT
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Um sehr alte Patienten adäquat zu versorgen, braucht es neben medizinischem Know-how eine gehörige Portion Empathie und Engagement.

Doch nicht immer ist all das gewährleistet. Allein auf sich gestellt, laufen die Hochbetagten Gefahr, in unserem ach so guten Gesundheitssystem zerrieben zu werden. Ein Beispiel: Seit Monaten bekommt die 92-Jährige beim Laufen immer schlechter Luft. An der Lunge liegt‘s nicht, die seit vielen Jahren bestehende COPD ist so gut wie möglich eingestellt, sagt der betreuende Pneumologe. Auch das aktuell angefertigte Thorax-Röntgenbild zeige keine Überraschungen. Sie sei wohl eher ein Fall für den Kardiologen.

Dort hat die alte Dame vier Tage später einen Termin zur Schrittmacherkontrolle. Die notwendige Überweisung holt sie sich beim Hausarzt. Der auskultiert, macht eine Pulsoximetrie, diagnostiziert flugs eine Pneumonie und drückt der konsternierten Patientin die Einweisung fürs Krankenhaus in die Hand. Doch die will nicht, besteht auf ihrem Termin beim Kardiologen. Dessen Diagnose lautet: Cor pulmonale. Der Pneumologe müsse die COPD-Therapie optimieren und mobilen Sauerstoff verordnen. Der Brief an Hausarzt und Pneumologen gehe sofort raus.

Also einen neuen Termin beim Lungenfacharzt vereinbaren. Aber telefonisch ist die Praxis trotz zig Versuchen nicht zu erreichen (bei voller Praxis geht man nicht ans Telefon!!!). Als nach mehr als einer Woche endlich der Kontakt gelingt, lautet die über die MFA übermittelte Information: „Wir können nichts für Sie tun, Sie müssen in die Klinik.“ Den Einweisungsschein gibt‘s wiederum vom Hausarzt. Seine erneute Diagnose: Pneumonie!

Im Krankenhaus wird schnell klar, dass der Kardiologe mit seiner Einschätzung goldrichtig lag. Nach zwei Tagen ist man mit der Diagnostik und dem Ausschwemmen der mäßigen Beinödeme durch. Die Patientin könnte nach Hause, wenn denn das beantragte Sauerstoffgerät parat stünde. Doch das lässt auf sich warten.

Nach einer Woche heißt es endlich: „Das Gerät ist da! Wir können Sie entlassen.“ Doch weit gefehlt.

Die Klinik hat es nämlich an die Heimatadresse der allein lebenden Patientin liefern lassen, wo es natürlich niemand annehmen konnte. Zudem wurde völlig außer Acht gelassen, dass solch eine Atemhilfe ja auch erklärt werden muss – Chaos perfekt. Nach etlichen Gesprächen bzw. Telefonaten mit Stationsarzt, Sozialdienst und der auswärtigen Lieferfirma gelingt es schließlich den Angehörigen, Entlassung und Gerätelieferung für den nächsten Tag zu koordinieren.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Zwar wird das Sauerstoffgerät (fast) wie vereinbart geliefert. Doch nach dem Diagnose-Hick-Hack und einer Woche vermeidbaren Klinikaufenthalts ist die alte Dame – wen wunderts – nervlich am Ende.

Ein Einzelfall? Ich fürchte nein.

 

Birgit Maronde
Chefredakteurin Medical Tribune

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