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Erreicht die Norm das Ziel? Laborwerte verstehen.

Autor: Manuela Arand, Foto: thinkstock

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Sich bei der Therapie an die Normwerte zu halten kann gefährlich sein. Warum das so ist und wie Sie Fallstricke vermeiden.

Laborbefunde können in die Irre führen, wenn nicht sorgfältig zwischen Referenz- oder Normwerten und Zielwerten für die Prävention oder Therapie unterschieden wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die Harnsäure im Serum:

Je nach Messgerät, verwendeten Rea­genzien und Messmethoden wird der Normwert für Männer hier zwischen 3,4 und 7,2 mg/dl (202 und 428 µmol/l) angegeben. Der Zielwert für die harnsäuresenkende Therapie bei Patienten mit symptomatischer Hyperurikämie liegt dagegen bei unter 6 mg/dl (360 µmol/l). Woran liegt das?

Norm- oder Referenzwerte werden auf der Basis von Populationsdaten Gesunder so festgelegt, dass 90 % der Messwerte dieser Population innerhalb dieser Grenzen liegen. Das ist ein Kompromiss, denn es bedeutet, dass es sowohl Gesunde mit „abnormen“ Messwerten als auch Kranke mit scheinbar normalen oder grenzwertigen Laborbefunden gibt.

Normwerte statistisch ermittelt, Zielwerte durch Pathologie bestimmt

Zielwerte orientieren sich dagegen an der Pathophysiologie und an den Ergebnissen klinischer Studien. Im Falle der Hyperurikämie wurde der Zielwert so definiert, dass er sicher unterhalb der Löslichkeitsgrenze der Harnsäure liegt.

Dr. Christian Thode
Fachbereichsleiter LabTesting der amedes, Medizinisches Versorgungszentrum 
wagnerstibbe für Laboratoriumsmedizin und Pathologie, Göttingen
Foto: MT-Archiv


Uratdepots in Gelenken und Geweben werden aufgelöst, wenn die Harnsäure dauerhaft unter 6 mgl/dl gesenkt wird – das bestätigen auch die klinischen Erfahrungen.

Übrigens haben Patienten im Gichtanfall oft keine erhöhten Harnsäurewerte. Es lohnt sich daher, Gelenkergüsse zu punktieren und im Erguss nach Uratkristallen zu suchen oder zumindest die Harnsäurewerte nach einigen Wochen noch einmal zu kontrollieren.

Harnsäure: Therapieziel unter Normwert!

Auf der anderen Seite gibt es Patientengruppen mit erhöhten Harnsäurespiegeln, die keine Gicht haben, z.B. Tumorpatienten unter Chemotherapie, die aufgrund des Zellzerfalls hohe Uratspiegel aufbauen.

Hyperurik­ämie ist nicht gleichbedeutend mit Gicht. Das Dilemma: Ein Gichtpatient mit einem Harnsäure-Messwert von 7 mg/dl (416 µmol/l) würde laut Laborbefund im Normbereich liegen, obwohl gemäß den Leitlinien eine harnsäuresenkende Therapie eingeleitet oder intensiviert werden müsste.

Ohne entsprechende Behandlung drohen weitere Gichtanfälle, die langfristig zu Tophusbildung und irreversiblen Gelenkdestruktionen führen können. Außerdem zeigen Studien, dass erhöhte Harnsäurewerte das Risiko für Nierenschäden und kardiovaskuläre Komplikationen steigern können.

Laborbefunde kritisch lesen, Normwerte hinterfragen

Wichtig ist, sich klarzumachen, dass die beim Laborbefund angegebenen Normwerte zwar für Screening-Untersuchungen und Primärdiagnostik taugen, nicht aber zur Kontrolle, ob mit therapeutischen Maßnahmen der Zielwert erreicht wurde.

Man darf sich also nicht dar­auf beschränken, allein auf die vom Labor als von der Norm abweichend markierten Werte zu schauen, man sollte auch prüfen, ob die Therapieziele erreicht wurden.

Um den Kollegen das zu erleichtern, haben wir für bestimmte Laborwerte – neben der Harnsäure auch für die Blutfette – auf unseren Befundberichten die leitliniengerechten Zielwerte vermerkt. Dieser Service wird zwar nicht von allen Kollegen geschätzt, kann aber nach unserer Auffassung helfen, die Therapie zu optimieren.

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