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Lassen Sie sich von Laborwerten nicht in die Irre führen

Autor: Michael Brendler

Wiederholte Messungen sorgen für mehr Sicherheit. Wiederholte Messungen sorgen für mehr Sicherheit. © iStock/Zinkevych
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Nicht einmal den Ergebnissen modernster Messgeräte darf man blind vertrauen. Häufig ist ein vom Vorbefund abweichender LDL- oder HbA1c-Wert nicht aussagekräftig. Labormediziner erklären, woran das liegt.

Laborwerte werden für gewöhnlich auf mehrere Nachkommastellen genau angegeben. Trotzdem kann ein Abfall des Serum-Cholesterins nur ein Phantom sein. Denn exakte Werte exis­tieren in der Medizin nicht, sagen Professor Dr. James McCormack und Professor Dr. Daniel Holmes vom Institut für pharmazeutische Wissenschaft und der Abteilung für Pathologie und Labormedizin der kanadischen University of British Columbia. Proben werden schon vor der Analyse (auch unbewusst) unterschiedlich behandelt und selbst das beste Labor kann Messungenauigkeiten nicht vermeiden. Sie bewegen sich zwischen < 2 % beim Natrium und bis zu 20 % beim Vit­amin B12.

Therapieeffekt oder biologische Schwankungen?

Den größten Unsicherheitsfaktor liefert jedoch die Biologie selbst, weil Spiegel u.a. durch Nahrungsaufnahme, Wetter oder einfach nur tagesformabhängig schwanken. Beim LDL-Wert führt allein dieses „biologische Rauschen“ dazu, dass der Messwert punktuell 20 % höher oder niedriger liegt. Zählt man die potenzielle Abweichung durch die Messtechnik mit hinzu, ergibt sich eine Ungenauigkeit von ± 21–30 %. So können auch HbA1c-Werte im Grenzbereich durch Messschwankungen von 11–20 % einen gesunden Patienten fälschlicherweise zum Diabetiker erklären. Zuverlässiger sind hingegen Parameter wie Natrium und Kalium im Serum, da diese vom Körper strikt reguliert werden.

Um für mehr Verlässlichkeit zu sorgen, erklären Prof. McCormack und Prof. Holmes, hat die Wissenschaft den Reference Change Value, RCV, definiert, der je Parameter die prozentuale Veränderung angibt, ab der Werte mit 95%iger Sicherheit tatsächlich aussagekräftig sind. Einen korrekten Wert daraus berechnen kann man allerdings nicht.

Ein Beispiel: Um herauszufinden, ob eine Statintherapie anschlägt, müsste das LDL von 3 auf 2,2 mmol/l sinken. Mit einer Sta­tindosis von 10–20 mg erreicht man eine Senkung um 30–35 %. Bei einem RCV der LDL-Messung von ca. 25 % wäre ein erster Therapieerfolg also über einen einzelnen Wert messbar. Eine weitere Dosis­erhöhung auf 40 oder 80 mg kann das LDL aber nur noch um weitere 10 % senken, theoretisch also auf 2,0 mmol/l. Praktisch ließe sich das aber nun nicht mehr von der biologischen Variation unterscheiden, erklären die Experten.

Dichtemessung für die Akten

 Für eine Knochendichtemessung (Oberschenkel) liegt der Reference Change Value bei ± 6–10 %. Eine zwei- bis dreijährige Therapie mit Bisphosphonaten schafft einen durchschnittlichen Zuwachs von 3–5 %. Das erklärt, warum (jährliche) Therapiekontrollen überflüssig sind.

Das Problem auch den Patienten erklären

Wiederholte Messungen sind eine Methode, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Je zwei Messungen vor und nach einer Intervention senken laut den kanadischen Labormedizinern den Reference Change Value um 30 %, je vier Messungen um 50 %. Nur wer die möglichen Abweichungen und die Unsicherheiten bei jedem Wert einigermaßen einschätzen kann, wird ihn wirklich interpretieren können, dies gilt es laut den Autoren für jeden Mediziner zu verinnerlichen. Und angesichts der Tatsache, dass immer mehr Patienten Zugang zu ihren Laborwerten haben, stellt sich die Frage: Wie schafft man es, das auch denen beizubringen?

Quelle: McCormack JP, Holmes DT. BMJ 2020; 368: m149; DOI: 10.1136/bmj.m149