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Dialysepraxen „Es ist ein Teufelskreis“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

In Deutschland gibt es zurzeit rund 95.000 Dialysepatienten. In Deutschland gibt es zurzeit rund 95.000 Dialysepatienten. © mailsonpignata – stock.adobe.com
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Ambulante Dialysezentren haben ein gravierendes Problem, wie das Beispiel einer Berliner Praxis zeigt. Steigende Kosten bei Material und Personal lassen sich durch die Dialysepauschalen nicht mehr ausgleichen. Die ­Politik schweigt und Konkurrenten werben Mitarbeiter ab.

„Durch die allgemeine Teuerungsrate sehen wir uns gezwungen, die Preise zu erhöhen“, liest die Berliner Nephrologin Dr. Erika Eger jetzt häufiger. Strom, Heizung, Wartung der Dialysemaschinen, alles wird teurer, hinzu kommen tariflich steigende Gehälter des Pflegepersonals. „Aber die Pauschalen geben es nicht her!“, klagt die Chefin von 52 Mitarbeitern, die am Tag 120 Nierenpatienten versorgen. 120.000 Euro Minus verzeichnete sie im letzten Jahr, ausgeglichen durch private Zuschüsse. „Ich habe das Zentrum wirtschaftlich korrekt geführt, aber es ist ein Teufelskreis“, sagt sie. Personal würde jetzt von den umliegenden kommerziellen Zentren mit hohem Wechselgeld abgeworben. Bei ihr seien schon fünf Dialyseschwestern bzw. -pfleger abgewandert. Sie weiß auch von sechs an Industrie und große Investoren verkaufte Dialysezentren in Berlin.

Die Kassenärztliche Vereinigung der Hauptstadt erklärt auf Nachfrage, ihr sei nicht bekannt, dass es in Berliner Dialysepraxen aufgrund gekürzter Pauschalen zu finanziellen Engpässen gekommen sei. Die Fachärzte für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie seien in der Stadt gut aufgestellt. Ähnlich äußert sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zur bundesweiten Situation: Fälle wie der in Berlin seien (noch) nicht bekannt.

KBV will mit den Kassen über die Sachkosten reden

Allerdings bestätigt die KBV-Spitze den steigenden Kostendruck. Sie kündigt an: „Wir wollen mit dem GKV-Spitzenverband über die weitere Ausgestaltung der Sachkostenpauschale sprechen.“ Man stehe dazu im Kontakt mit den Berufsverbänden, um eine transparente Datensituation herzustellen.

Nachbesserungen hält die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) für dringend erforderlich. „20 Jahre lang gab es keinerlei Anpassung, nicht einmal einen Ausgleich der Inflationsrate.“

Negativ bemerkbar macht sich besonders, dass die Dialysepauschale 2013 gekürzt worden war. Die Kassen hatten diese Kürzung initiiert, nachdem das Institut des Bewertungsausschusses die Pauschale als um ein Drittel zu hoch und die dazugehörigen ärztlichen Betreuungsleistungen als zu gering bewertet sah.

Der in zahlreichen konfliktiven Diskussionen gefundene Kompromiss zwischen KBV und GKV-Spitzenverband mündete letztlich in einer mengenbezogenen Abstufung der Wochen- und Einzelpauschalen sowie einer extrabudgetären Vergütung ärztlicher Betreuungsleistungen ohne Mengenbegrenzung. 100 Millionen Euro jährliche Einsparungen brachten den Kassen die neuen Kostenpauschalen, 20 Millionen Euro davon flossen in die Betreuungsleistungen. Vereinbart wurde allerdings auch die Möglichkeit, die Wochenpauschalen ab 2016 jährlich zu überprüfen, um sie an aktuelle Kostenentwicklungen anpassen zu können. Jedoch kam dies bisher praktisch nicht zum Tragen.

Vor allem die durch Tarifsteigerungen und Bonuszahlungen angehobenen Gehälter für die 26.000 qualifizierten Pflegekräfte bringen die Praxen an ihre Grenzen, wie Dr. Michael Daschner, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Deutsche Nierenzentren (DN), erläutert. Selbst wenn man gut qualifiziertes Personal finde, könne man es nicht bezahlen. Eine Umfrage unter DN-Mitgliedern 2020 hatte ergeben, dass in 79 % der Praxen in den letzten zwölf Monaten eine Pflegekraft abgeworben wurde, meistens von Krankenhäusern (78 %). Laut Dr. Daschner kam einst eine qualifizierte Dialyse-Pflegekraft auf fünf Patienten, jetzt sind es 1:10. „Irgendwann aber sind die Effizienzreserven erschöpft.“

Ambulante Versorgungslandschaft Dialyse, Dezember 2021

Verband Deutsche Nierenzentren (Praxen)

450 Zentren

Kuratorium für Dialyse (KfH) / gemeinnützig

224 Zentren

Patienten-Heimversorgung (PHV) / gemeinnützig

74 Zentren

Konzerne/Großanbieter:

DaVita

56 Zentren

NephroCare

85 Zentren

B. Braun

42 Zentren

Diaverum

17 Zentren

Sanecum

12 Zentren

Quelle: DN e.V.

 

In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach haben die Deutschen Nierenärzte sowie die gemeinnützigen Anbieter Kuratorium für Dialyse und Patienten-Heimversorgung im Dezember auf den Handlungsbedarf aufmerksam gemacht, damit auch in Zukunft die ambulante nephrologische Versorgung, die flächendeckende lebensnotwendige Dialysebehandlung sowie die Vor- und Nachsorge von Nierentransplantierten gewährleistet sind. Eine Antwort steht bis heute aus. Dr. Daschner sieht allerdings auch keine schnelle Lösung kommen. Die Töpfe der Kassen seien coronabedingt leer und die Nephrologen seien – wenn auch mit großen Umsätzen – die kleinste Fachgruppe mit Problemen. 

Zunehmend Sorgen bereiten dem DN-Vorsitzenden die Kaufangebote industrieller Anbieter. Laut Dr. Daschner werden inzwischen Preise geboten, „die man in der Vergangenheit als völlig unrealistisch angesehen hat“. Noch überwiege die Zahl an Praxen und nichtkommerziellen Anbietern, so der DN-Vorstand, aber manche Kollegen sähen sich gezwungen zu verkaufen. 450 ambulante Dialysepraxen von niedergelassenen Nephrologen habe es im Dezember 2021 gegeben, das seien rund 100 weniger als noch vor fünf oder zehn Jahren.

Briefe an Minister, KV und Kassen geschrieben

Auch die Berliner Ärztin Dr. Eger sieht als letzte Lösung nur einen Verkauf. „Wir können nicht mithalten, ich habe es versucht“, sagt sie resigniert. Der damalige KBV-Vorstandschef Dr. Andreas Köhler und der Bewertungsausschuss hätten die Nephrologie 2013 ruiniert, meint sie. Dr. Eger berichtet von Hilfebriefen an die Minister Jens Spahn und Karl Lauterbach, an einzelne Kassen, an den GKV-Spitzenverband, an die KV Berlin und die KBV: „Keine Reaktion!“ Die Internistin verhandelt jetzt zwangsläufig mit Investoren. „Es ist für mich traurig, mein Zentrum, das ich seit 1994 aufgebaut habe und so gern in der Familie weitergegeben hätte, jetzt weggeben zu müssen.“

Medical-Tribune-Bericht

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