Geht ein Ruck durch Deutschland? GKV in der Krise: Reformdruck ist immens
Den Auftakt am diesjährigen „Tag der Privatmedizin“ in Frankfurt bildete der Vortrag von Gesundheitsökonom Prof. Dr. Andreas Beivers (l.) und die Diskussion mit Vertretern von BÄK, PVS, PKV und PBV.
© Michael Reischmann
Bei der Regierungskommission zur Krankenhausreform hätte der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Andreas Beivers von der Hochschule Fresenius München nach eigenem Bekunden gerne mitgewirkt. 2023 war er wissenschaftlicher Leiter des Modellprojekts „Bürokratieabbau in bayerischen Krankenhäusern“.
Die von Nina Warken eingesetzte Finanzkommission Gesundheit hätte den Volkswirt dagegen wenig gereizt. Diese soll bis März 2026 erste Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV-Beitragssätze ab 2027 vorschlagen und im Dezember 2026 mögliche Strukturreformen aufzeigen. Dann geht es ans Eingemachte. Keine leichte Aufgabe angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen.
Seit Jahren steigen die GKV-Ausgaben stärker als die Einnahmen. Das liegt auch daran, dass die deutsche Wirtschaft 2023 und 2024 geschrumpft ist. Die sog. Wirtschaftsweisen erwarten für 2025 nur ein Mini-Wachstum von 0,2 %. Im nächsten Jahr könnte es ein Plus von 0,9 % sein, was dann wieder auf dem Niveau des Euro-Raums (1 %) wäre.
2024 betrugen die GKV-Ausgaben gut 312 Mrd. Euro. Sie dienen einer aufwendigen Umverteilung. Doch was bringt dieses solidarische System „wirklich für die Versorgung 24/7?“, fragt der Ökonom. Gemessen an den Pro-Kopf-Ausgaben hat Deutschland in der EU das teuerste Gesundheitswesen – und global das drittteuerste nach den USA und der Schweiz.
Der Patientenzugang zur stationären wie zur ambulanten Versorgung ist trotz des Gejammers über Wartezeiten niedrigschwellig. Die Ergebnisse sind aber verbesserungswürdig. Die Lebenserwartung bei der Geburt lag 2023 hierzulande nur noch im Mittel der 27 EU-Staaten. Und sie fällt je nach sozialer Schicht sehr unterschiedlich aus.
Lebenserwartung ist auch eine Frage des Einkommens
Die Benachteiligung der Wohnbevölkerung einer Region wird mit dem Begriff sozioökonomische Deprivation erfasst. Diese drückt sich oft in niedrigen Einkommen, geringer Bildungsbeteiligung und hoher Arbeitslosigkeit aus. In Kreisen mit hoher Deprivation starben 2019 je 100.000 Einwohner z. B. jeweils 28 % mehr Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs als in Kreisen mit niedriger Deprivation. Bei Frauen betrugen die Unterschiede rund 23 % bzw. 15 %.
Die Korrelation von mittlerer Lebenserwartung und vergleichbar gemachtem Nettoeinkommen zeigt: Frauen in Haushalten mit geringem Einkommen dürfen im Schnitt auf 78,4 Jahre Lebenszeit hoffen. In einkommensstarken Haushalten sind es 82,8 Jahre. Für Männer beträgt die Spanne 71 versus 79,5 Jahre.
Bekannt ist auch: Kinder und Jugendliche in der Armutsrisikogruppe sind deutlich häufiger in ihrer Gesundheit beeinträchtigt als Gleichaltrige aus der mittleren und der höheren Einkommensgruppe; ihr Gesundheitsverhalten ist ungünstiger.
Der solidarisch finanzierte Reparaturbetrieb schafft es also nicht, den gesundheitlichen Status in der Bevölkerung anzugleichen. Notwendig sind wirksame Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention, um Erkrankungen zu verhindern.
Über die diskutierte Verdoppelung der Zuzahlungen und den zunächst am Bundesrat gescheiterten Versuch, den Kliniken einmalig 1,8 Mrd. Euro abzuringen, kann der Ökonom nur den Kopf schütteln. „Die aktuellen Diskussionen sind affektiert und keine Reformpolitik.“
GOÄneu zügig umsetzen
„Mit der neuen GOÄ wird die Privatmedizin besser“, ist PKV-Verbandsdirektor Dr. jur. Florian Reuther überzeugt. Das von Bundesärztekammer, PKV-Verband und Beihilfe vereinbarte Gebührenverzeichnis bewirke durch Umbewertungen, neue Leistungen und Abrechnungsregeln eine effiziente Versorgung sowie Transparenz und Rechtssicherheit. Die Signale der Bundesgesundheitsministerin zur Novellierung seien positiv, so Dr. Reuther. Er wünscht sich eine schnelle Umsetzung, „um den Schwung des Deutschen Ärztetages mitzunehmen“.
Auch Ulrich Langenberg, Geschäftsführer Politik der BÄK, ist optimistisch, dass es endlich gelingt, das 30 Jahre alte Gebührenverzeichnis abzulösen. Von den Parteien sei kein relevanter Widerspruch zu vernehmen. Es deute auch nichts darauf hin, dass das BMG das fertige Paket aufschnüre.
Wie die GVK leidet auch die PKV unter rasant steigenden Ausgaben, die zu kräftigen Beitragserhöhungen führen. So kostet die stationäre Versorgung laut Dr. Reuther mittlerweile 30 % mehr als 2019 – und das bei weniger Fällen. Die ambulante Medizin sowie Arzneimittel verteuern sich ebenfalls seit Jahren deutlich. Die Zuwachsraten lassen sich weder mit der Demografie noch mit dem technischen Fortschritt erklären, so der PKV-Verbandsdirektor.
Er brachte die Idee von Voll- und Teilkaskoversicherungen „mit und ohne Werkstattbindung“ ins Spiel – also von Tarifen mit und ohne verbindlicher Patientensteuerung. Bei einem Primärversorgungssystem würde er aus Kapazitätsgründen aber nicht allein auf die Hausärzteschaft setzen. Das Thema Bürgerversicherung ist vom Tisch. Prof. Beivers glaubt auch nicht, dass sich mit der Eingliederung von 9 Mio. privat Vollversicherten die finanziellen Probleme von gut 74 Mio. gesetzlich Versicherten lösen lassen.
Der Ökonom wünscht sich ein politisches Signal, wie es der ehemalige Bundespräsident Prof. Dr. jur. Roman Herzog 1997 aussendete: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen.“ Allerdings weiß er aus der Verhaltensökonomie, dass Menschen tendenziell den Status quo präferieren und ein absoluter Verlust für sie schwerer wiegt als ein gleichhoher Gewinn.
Tag der Privatmedizin 2025