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Kasse fordert Mindestmenge für die Aneurysma-Operation der Aorta abdominalis

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Sterblichkeitsrate ist nach drei Jahren in zertifizierten Zentren um zwei Prozentpunkte niedriger. Die Sterblichkeitsrate ist nach drei Jahren in zertifizierten Zentren um zwei Prozentpunkte niedriger. © Fotolia/daria_serdtseva
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Seit Januar haben gesetzlich krankenversicherte Männer ab 65 Jahren Anrecht auf eine Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung eines Bauchaortenaneurysmas. Die Barmer rät ihren Versicherten zur Teilnahme. Sie warnt aber vor Kliniken ohne ausreichend Erfahrung für eine OP.

Rund 200 000 Frauen und Männer haben hierzulande eine erweiterte Bauchschlagader. Das geht aus dem Barmer-Krankenhausreport 2018 hervor, der sich in seinem Schwerpunktthema dem Bauchaortenaneurysma (BAA) widmet. Das ist verglichen mit anderen Erkrankungszahlen nicht viel. Der Vorstandsvorsitzende der Kasse, Professor Dr. Christoph Straub, verweist jedoch als Chirurg auf die Risiken dieser „schweren und tückischen Erkrankung“: „Beim Platzen kommt jede medizinische Versorgung zu spät, außer, man liegt gerade auf dem OP-Tisch.“

Risikosuche per Ultraschallscreening

Helfen allein kann das frühe Erkennen der Gefahr. Laut Kassenärzt­licher Bundesvereinigung dürfen Hausärzte, Urologen, Internisten mit und ohne Schwerpunkt, Chirurgen und Radiologen ein Ultraschallscreening auf Bauchaortenaneurysmen durchführen und abrechnen, vorausgesetzt, sie haben dafür die Genehmigung ihrer Kassenärztlichen Vereinigung.

Einmal im Leben steht jedem gesetzlich Versicherten die Leistung kostenfrei zu. Wie viele Barmer-Versicherte die Früherkennungsuntersuchung bereits genutzt haben, kann Prof. Straub nicht sagen. Er ist aber überzeugt, dass es bei 200 000 Betroffenen in Deutschland letztendlich nicht bleiben wird.

Dies bestätigt der Autor des Krankenhausreports, Professor Dr. Boris Augurzky: „Aufgrund der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft ist mit einer steigenden Zahl an BAA-Patienten zu rechnen, sodass dieses Krankheitsbild im klinischen Alltag an Bedeutung gewinnen wird.“ Seinen Angaben zufolge erhöhte sich von 2006 bis 2016 die Anzahl der BAA-Patienten ohne eine Ruptur und mit operativem Eingriff um rund 25 % von etwa 8300 auf über 10 400 Patienten. In England, den USA und Schweden seien Screening-Programme seit Jahren etabliert und der positive Nutzen habe empirisch nachgewiesen werden können, so der Gesundheitsökonom und Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“ beim RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Der Barmer-Report macht weiterhin deutlich, dass Vorsicht bei der Auswahl der Klinik für einen geplanten BAA-Eingriff das Überlebensrisiko bessert. Gleiches gilt für die Operationsmethode. Hierzu fasst Prof. Augurzky zusammen: „BAA-Patienten ohne Ruptur, die in einem zertifizierten Zentrum behandelt werden, haben nach einem Jahr eine um 1,6 Prozentpunkte geringere Sterblichkeitsrate als solche Patienten, die in nicht-zertifizierten Krankenhäusern behandelt wurden. Nach drei Jahren erhöht sich dieser Unterschied auf zwei Prozentpunkte.“

„Wenig verantwortliche Aufklärungsarbeit“

Von einer „Studie ohne Evidenz“ spricht die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hinsichtlich der Barmer-Untersuchung. „Den Erfolg einer hochkomplexen Bauchaorten­aneurysma-Operation drei Jahre nach der Operation aus den Abrechnungsdaten mit einer absolut unzureichenden Risikoadjustierung messen zu wollen, ist schon gewagt“, meint DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Dann auch noch eine zweiprozentige Differenzrate als statistisch signifikant größeres Sterberisiko einzustufen, sei völlig irreführend. Er verweist zudem auf selbst für Zentren geringe OP-Zahlen und Patienten mit hohem persönlichem Risiko. „Daraus Sterberisiko-Warnungen abzuleiten, ist eine wenig verantwortliche Aufklärungsarbeit einer gesetzlichen Krankenkasse“, so Baum. Bei einem akut auftretenden Aneurysma sei eine lange Verlegezeit in ein Zentrum lebensgefährlich und kontraindiziert.

G-BA soll Richtgrößen für Operateure festlegen

Der Unterschied zeige sich besonders bei Patienten nach endovaskulärem Eingriff (EVAR), während er bei Patienten mit offen-chirurgischem Eingriff nicht signifikant sei. Auch in Bezug auf Komplikations- und Wiederaufnahmeraten aufgrund eines Aortenaneurysmas schnitten zertifizierte Zentren in der Analyse signifikant besser ab als nicht-zertifizierte Krankenhäuser. Maßgebliche Vorteile gab es hier zudem für EVAR-Patienten. Der Barmer-Vorstandsvorsitzende spricht sich deshalb dafür aus, dass BAA-Eingriffe nur noch in zertifizierten Gefäßzentren oder Kliniken mit einer hohen Fallzahl erfolgen sollten. „Dazu wäre die Einführung von Mindestmengen pro Standort und Operateur sinnvoll“, sagt er. 109 Einrichtungen sind inzwischen von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie als Gefäßzentrum zertifiziert worden (Stand Ende 2017). „Der Gemeinsame Bundesausschuss ist gefragt, um für Eingriffe Richtgrößen pro Standort und Operateur auf Bundesebene festzulegen“, erklärt Prof. Straub. Krankenhäuser, die Leistungen erbringen, ohne die festgelegte Mindestmenge zu erreichen, sollten künftig keine Vergütung mehr erhalten. Gesundheitsökonom Prof. Augurzky mahnt zudem, regionale Unterschiede in der Anwendung endovaskulärer Eingriffe auszugleichen, indem Standards und Wissen bei dieser Eingriffsart weiter verbreitet werden. Seine Analyse der Versichertendaten der Jahre 2014 bis 2016 hatte zwischen den Bundesländern deutliche Unterschiede beim EVAR-Anteil ergeben. Die Spannbreite lag zwischen 61 % im Saarland und 86 % in Sachsen.
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