Sicher trainieren mit Diabetes Mittlerweile sind bundesweit fünf Fitnessstudios durch die DDG zertifiziert
Nicht jedes Sportstudio ist gleichermaßen gut für Menschen mit Diabetes geeignet.
© Bildwerk - stock.adobe.com
Vor einem Jahr hat die DDG/AG Diabetes, Sport & Bewegung in Zusammenarbeit mit diabetesDE, der IST-Hochschule und der Experten Allianz für Gesundheit e. V. deshalb ein Gütesiegel für Studios entwickelt. Erste Erfahrungen zeigen: Das Konzept überzeugt in der Praxis – auch wenn der große Durchbruch noch aussteht.
Bewegung ist eine tragende Säule der Diabetestherapie, unabhängig vom Diabetestyp. Doch viele Betroffene haben Berührungsängste, fürchten Vorurteile und Diskriminierung. Oder sie sind unsicher, ob man in ihrem Fitnessstudio adäquat auf ihren Gesundheitszustand eingehen kann. In hausärztlichen und Diabetespraxen wiederum gibt es häufig Vorbehalte gegenüber klassischen Fitnessstudios, die oft als „Muckibuden“ gelten. Das DDG Gütesiegel „Fit mit Diabetes“, das im April 2024 auf der weltgrößten Fitnessmesse FIBO vorgestellt wurde, könnte helfen, diese Gräben zu überwinden.
Bis dato haben sich bundesweit allerdings erst fünf Fitnessstudios zertifizieren lassen und so unter Beweis gestellt, dass sie Menschen mit Diabetes ein sicheres Training ermöglichen. Zwei weitere Einrichtungen befinden sich im Zertifizierungsprozess. „Damit sind wir hinter unseren Erwartungen geblieben“, gibt Dr. Meinolf Behrens von der AG Diabetes, Sport & Bewegung der DDG unumwunden zu. Bislang sei es nicht gelungen, das Gütesiegel ausreichend bekannt zu machen.
Für mehr zertifizierte Studios bräuchte es noch mehr Initiative
„Wir in der AG Diabetes, Sport und Bewegung sind engagierte Leute“, sagt der Diabetologe und Sportmediziner, „aber wir sind halt in erster Linie Sportwissenschaftler und Gesundheitsfachkräfte, keine Marketingfachleute.“ Einen weiteren Grund für die bislang eher magere Resonanz sieht er im eng getakteten Alltag der Diabetespraxen: „Die Kolleginnen und Kollegen finden es gut, wenn es in ihrem Umfeld zertifizierte Fitnessstudios gibt. Aber eigeninitiativ Studios ansprechen und von einer Zertifizierung überzeugen? So ein Thema geht im Praxisalltag schnell unter.“
Ähnliches gelte für die Fitnessstudios selbst, wo man –
nach einer Flaute während der Coronapandemie – wieder gut zu tun hat: „Die Fitnessbranche erlebt derzeit einen deutlichen Zuwachs“, weiß Dr. Behrens. Es sei ihnen deshalb nicht leicht zu vermitteln, dass man sich mit dem Thema Diabetes neu aufstellen und neue Kundengruppen erschließen kann.
Siegel als Abgrenzung von „Discounter-Studios“
Genau so erging es dem „Sport-In“ in Brandenburg-Wust, das als erstes Fitnessstudio zertifiziert wurde. Mario Schneider von der Geschäftsleitung hatte seinerzeit bereits eine Kampagne geplant, mit der er Menschen mit Diabetes als Mitglieder gewinnen wollte. „Dann habe ich von dem Gütesiegel erfahren und meine Kampagne erst einmal verschoben, bis wir das Zertifikat haben.“ Weil das Fitnessstudio bereits zuvor eine klare Gesundheitsorientierung hatte, erfüllte es die allermeisten der Kriterien bereits ohne weitere Anpassungen; der Rest war schnell erledigt.
Nun hängt das DDG Zertifikat an der Wand, allerdings fehlte es bis jetzt an Zeit, die zusätzliche Kompetenz aktiv zu vermarkten – zumal die Geschäftsleitung den Effekt auf die Neukundengewinnung als eher marginal einschätzt. Schneider sagt aber auch: „Unter unseren Mitgliedern gibt es ja bereits etliche Menschen mit Diabetes, dafür war die Auffrischung gut. Ich bereue deshalb nicht, dass wir das gemacht haben.“
Auch Gabriela Beckmann, Inhaberin des „Rückgrat Sport und Gesundheit“ im baden-württembergischen Emmendingen, ist zufrieden mit ihrer Entscheidung für die Zertifizierung: „Meine Tochter hat Typ-1-Diabetes, daher bin ich mit dem Thema vertraut. Als ich auf der FIBO von dem Gütesiegel erfahren habe, wollte ich sofort mitmachen.“ Über den Zertifizierungsprozess berichtet sie: „Die vier Stunden Inhouse-Schulung wurden sehr gut angenommen, unsere Trainerinnen und Trainer haben viel gelernt.“ Qualifizierte Fitnesstrainer*innen brächten zwar ein gewisses Vorwissen über verschiedene Krankheitsbilder mit, doch es lohne sich in jedem Fall, dieses zu vertiefen: „Für mich als Gesundheitsanbieter ist es wichtig, dass man sich mit einem Siegel auch von den Discounter-Studios abgrenzen kann.“
Die Hospitation in der ortsansässigen Diabetespraxis empfand Beckmann ebenfalls als spannend: „Der Diabetologe fand das Projekt auch ganz toll und erzählte, dass er schon länger nach einem Studio gesucht hat, mit dem er zusammenarbeiten kann“, erzählt sie. Bislang habe der Arzt zwar noch keine Patient*innen zum Training zu ihr geschickt. Doch das dürfte sich ändern, wenn die Rehasportkurse Diabetes starten, die Beckmann ab Herbst anbieten möchte: „Hierfür gibt es tatsächlich Nachfrage. Rehasport bietet einen guten Zugang für Menschen, die sich ansonsten scheuen, ins Fitnessstudio zu gehen.“
Markus Dörmbach, Geschäftsführer des „Aktivo Alfter“ in der Nähe von Bonn, wurde von einer Diabetespraxis aus Bonn auf das DDG Gütesiegel angesprochen. Diese sei auf der Suche nach Rehasportgruppen gewesen, in die sie ihre Patient*innen überweisen kann. „Nun vermittelt sie uns die Rehasportler“, erzählt Dörmbach. Insbesondere für Menschen mit Typ-2-Diabetes, die bislang noch keine Berührung mit Sport hatten, ist Rehasport aus seiner Sicht ideal: „Wir machen mit ihnen Krafttraining, das einen sehr hohen Wirkungsgrad bei den metabolischen Erkrankungen hat. Das Training in Kleingruppen ist außerdem ein niederschwelliges Angebot.“
Dörmbach hält es auch wirtschaftlich für sinnvoll, Bewegungskonzepte für Menschen mit Diabetes anzubieten. „Den Betroffenen dämmert es ja, dass es mit Insulin allein nicht unbedingt besser wird, sondern man auch noch andere Hebel hat“, meint er. Er rät anderen Fitnessstudios deshalb dazu, sich ebenfalls als zertifiziertes Gesundheitsstudio und damit als Teil der Lösung für ein wachsendes Gesundheitsproblem zu positionieren.
Auch im Präventionsbereich braucht es gute Anleitung
Das TeVita, die Fitnessabteilung des ostwestfälischen Sportvereins TV Lemgo, befindet sich zurzeit im Zertifizierungsprozess. Nico Zickel,
der dort als Fitnessökonom und Sporttherapeut tätig ist, hofft, mit der Zertifizierung im Rücken in den umliegenden Praxen Flyer auslegen und so auf das neue Angebot aufmerksam machen zu können. „Leider sind viele Ärzte immer noch sehr voreingenommen gegenüber Training im Fitnessstudio.“ Dabei habe das Lemgoer Studio bereits vor der Zertifizierung bereits alle zentralen Kriterien in Notfallmanagement, Trainingsbetreuung und Geräteausstattung erfüllt. „Das entscheidende Plus des Gütesiegels ist die zusätzliche Qualifikation des Personals“, findet der Sporttherapeut.
Für ihn war die Hospitation in einer Diabetespraxis ein sehr eindrückliches Erlebnis: „Ich fand es erschreckend zu sehen, wie viele Medikamente zum Teil bereits Menschen in meinem Alter einnehmen. Und dass das Thema Bewegung in der Sprechstunde nur eine sehr untergeordnete Rolle zu spielen scheint.“ Umso größer ist seine persönliche Motivation, einen niederschwelligen Zugang zu Sport zu schaffen. „Viele haben keine guten Erfahrungen mit Sport gemacht oder bereits im Schulsport Diskriminierung erlebt. Das sind Bilder, die fest verankert sind“, weiß Zickel. „Nur wegen des Siegels werden uns die Leute allerdings nicht die Bude einrennen. Man muss einen langen Atem haben und dranbleiben.“
So sieht es auch der Diabetologe Dr. Behrens: „Niemand würde infrage stellen, dass ein leistungsorientierter Sportler einen Trainer braucht. Aber auch im Reha- und Präventionsbereich reicht es nicht zu sagen ‚Geh mal ein bisschen spazieren‘. Hier müssen die Menschen ebenfalls an die Hand genommen werden. Und genau das sollte in zertifizierten Fitnessstudios passieren.“