Anzeige

Sture Esel brauchen einen Schubs

Autor: Erich Kögler

Ich meine einen Gemütszustand, den ich das „Eseltum“, angelehnt an das Huftier, nenne. Ich meine einen Gemütszustand, den ich das „Eseltum“, angelehnt an das Huftier, nenne. © Fotolia/Ljupco Smokovski
Anzeige

Die Sturheit im Alter kann manchem zum Verhängnis werden  – in unserer aktuellen Meinungskolumne "Mit spitzer Feder".

Der Tod kommt immer unerwartet, gleichgültig in welchem Alter. Und nur den wenigsten Menschen ist ein friedliches Einschlafen in häuslicher Umgebung möglich. Dennoch ist dies das, was die meisten von uns für uns selbst, unsere Angehörigen und auch für uns anvertraute Patienten wünschen. Dem Tod ins Auge zu blicken, erfordert ein gehöriges Maß an Stärke – Glauben hilft, zumindest ein wenig.

Es gibt viele Erkrankungen, bei denen wir uns auf unser eigenes, aber auch auf das Ableben naher Angehöriger vorbereiten können. Wir können uns damit auseinandersetzen. Nicht so bei potenziell letal verlaufenden Ereignissen wie Herzinfarkt oder Verkehrsunfall, die wie aus dem Nichts heraus Leben auslöschen und Angehörige geschockt zurücklassen. Von Schicksal ist dann oft die Rede, der Unausweichlichkeit des Schicksals, das wir nicht in der Hand haben.

Aber ist das Schicksal immer unausweichlich? Jeder von uns ist für sein Leben verantwortlich, wir treffen Entscheidungen, die den Verlauf unseres Lebens bestimmen. Wir können uns entscheiden glücklich, moralisch, gebildet zu sein – ein loyaler, guter Freund oder zum Mörder zu werden. Wir bestimmen vielleicht nicht die Rahmenbedingungen unserer Existenz, wohl aber das, was wir damit anstellen. Nun ist der Tod keine Option, sondern eine menschliche Konstante, mit der wir leben müssen.

Sich selbst nicht versorgen können, aber die Pflegekraft scheuen

Nichtsdestotrotz gibt es Situationen im Leben, insbesondere in höherem Alter, in denen viele Menschen den Tod fahrlässig verschulden. Ich meine nicht den Freitod, der – aus vielerlei Gründen – im Alter für viele Menschen eine Option ist, die infrage kommt. Ich meine einen Gemütszustand, den ich das „Eseltum“, angelehnt an das Huftier, nenne.

Das Eseltum ist bei älteren Menschen weit verbreitet, Sie kennen es gewiss aus Ihrer Praxis. Wenn Senioren trotz besseren Wissens etwa die Medikamenteneinnahme verweigern, aber (renitenter) Dauergast in der Praxis sind. Ein frustrierender Zustand. Oder Angehörige sich beschweren, dass Opa auch nach dem 95. Geburtstag darauf besteht, (halbblind und/oder verwirrt) Auto zu fahren. Der Klassiker ist der alte Mensch, der längst nicht mehr alleine für sich sorgen kann, eine Pflegekraft oder gar eine Pflegeeinrichtung aber scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Notrufknopf ist ein schaler Kompromiss

Angehörige stehen diesem Phänomen oftmals hilflos gegenüber – wer will schon der herzlose Angehörige sein, der Opa oder Vater gegen dessen Willen ins Heim verfrachtet, wo er nach eigenem Bekunden am Ende seines Lebens die Hölle durchleiden wird. Insbesondere wenn er trotz hohen Alters noch klar bei Sinnen ist und vehement sein Recht auf Selbstbestimmung einklagt. „Mich kriegt ihr hier nur mit den Füßen vorwärts raus“, ist ein oft gehörter Satz in diesem Zusammenhang. Ein schaler Kompromiss ist da der Notrufknopf, mit dem sich viele dann noch anfreunden können, wenn die Familie dann endlich Ruhe gibt mit ihrer „zur Schau gestellten Besorgnis“.

Das kann gut gehen oder aber nicht. Vielleicht sollten Sie Ihren dem „Eseltum“ verpflichteten Patienten die Geschichte einer alten Dame erzählen, die bis zuletzt in ihrem Haus gelebt hat. Fast blind zwar und mit suboptimal eingestelltem Zucker, aber willensstark und mit spitzer Zunge Ihre vermeintlichen Interessen vertretend, hat sie Rohrreiniger getrunken – aus Versehen. Sie hat die Flasche im Unterzucker mit einer Milchflasche verwechselt.

Der wenige Stunden später eintretende Tod war gewiss weit entfernt von dem, was wir alle uns am Ende wünschen. Nicht so. Es war das „Eseltum“, nicht das Schicksal. Und dessen Folgen kann niemand ernsthaft wollen. Reden Sie darüber – und sei es nur darum, dass die Wohnungen „alterssicher“ gemacht werden, wie wir es tun, wenn der Nachwuchs anfängt zu krabbeln.

Anzeige