Cannabinoide in der Rheumatherapie

EULAR 2025 Dr. Sonja Kempinski

Für die einen sind die Cannabinoide wahre Multitalente mit therapeutischem Potenzial, für die anderen ist und bleibt Cannabis eine Rauschdroge. Für die einen sind die Cannabinoide wahre Multitalente mit therapeutischem Potenzial, für die anderen ist und bleibt Cannabis eine Rauschdroge. © Harlekin-Graphics - stock.adobe.com

Wie sicher und wirksam ist Medizinalcannabis bei Rheuma? Eine EULAR-Debatte zeigt Nutzen und Risiken der Cannabinoide sowie jede Menge wissenschaftlicher Argumente.

Für die einen sind die Cannabinoide wahre Multitalente mit therapeutischem Potenzial, für die anderen ist und bleibt Cannabis eine Rauschdroge. Auf dem EULAR-Kongress gab es zu diesem Thema eine spannende Pro-und-Contra-Debatte. 

„Cannabinoids are good for parties, not for patients“

Mit dieser überspitzten Formulierung war Prof. Dr. Nebosja Nick Knezevic von der Universität Illinois, Chicago, nicht allein im Saal. Laut Publikumsvoting würden nur 35 % aus dem Auditorium ihren Patientinnen und Patienten mit einer rheumatischen Erkrankung zur Cannabinoidtherapie raten. Für die Legalisierung von Cannabis unter Auflagen sprachen sich knapp 67 % aus, 33 % stimmten dagegen. Die Gründe, die Prof. Knezevics Ansicht nach gegen den medizinischen Einsatz von Cannabinoiden sprechen, führte der renommierte Schmerzexperte in einem feurigen Plädoyer aus.

Zunächst hob er auf die fehlende Wirksamkeit der Cannabinoide ab. Die könnten zwar „happy“ machen, hätten aber keine Effekte auf Schmerzen, Produktivität oder andere messbare Parameter. In einer Metaanalyse von RCT mit zusammen 1.460 Krebspatientinnen und -patienten brachten Cannabinoide als Add-on zu Opioiden keinen Benefit hinsichtlich der Schmerzen, verstärkten aber sehr wohl die Nebenwirkungen. Zudem wird chronischer Cannabiskonsum mit höherer Schmerzstärke und erhöhter Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen in Verbindung gebracht, bezeichnet als cannabisinduzierte Hyperalgesie. Verstärkt wird die Schmerzwahrnehmung vermutlich dadurch, dass Cannabis ebenso wie chronischer Schmerz das limbische System beeinflusst.

Rheumakranken drohen Fatigue und Obstipation

Neben den bekannten schädlichen Auswirkungen auf Schwangere, Ungeborene und das heranwachsende Gehirn Jugendlicher zählte Prof. Knezevic die vielen möglichen unerwünschten Wirkungen der Cannabinoide auf. Generell können sie zu Benommenheit, trockenem Mund und Übelkeit führen. Sowohl Tachy- als auch Bradykardien sind möglich, zudem werden kardiovaskuläre Ereignisse begünstigt. Insbesondere Menschen mit rheumatischen Erkrankungen drohen Obstipation, Fatigue und verstärktes allgemeines Krankheitsgefühl.

Besonders ins Gewicht fallen laut Prof. Knezevic jedoch die psychischen und neurologischen Folgen. So wird nicht nur das Kurzzeitgedächtnis geschwächt, auch anhaltende, komplexe kognitive Beeinträchtigungen sind möglich: Ein Simulatorversuch mit zehn erfahrenen Piloten ergab, dass 24 Stunden nach dem Rauchen eines Joints mit 19 mg Tetrahydrocannabinol (THC) deren Eignung zum Führen eines Flugzeugs signifikant vermindert war – ohne dass sich die Testpersonen dessen bewusst gewesen wären.

Infolge der engen Verbindung zum Dopaminsystem kann es unter Cannabinoiden zu Agitiertheit, Psychosen und Manien kommen. So führten einer dänischen Untersuchung zufolge cannabisinduzierte psychotische Störungen mit einer Konversionsrate von 47,4 % wesentlich häufiger zu Schizophrenie oder bipolarer Störung als durch Amphetamine, Alkohol oder Kokain verursachte akute Psychosen (Konversionsraten von 31 %, 22,1 % bzw. 20 %). Vor allem bei Konsum in Adoleszenz und frühem Erwachsenenalter sowie bei hochpotentem Cannabis drohen Psychosen. So ist das Risiko für die psychiatrische Erkrankung beim täglichen Gebrauch von ≥ 10%igem THC etwa fünfmal höher als bei Menschen, die niemals Cannabinoide konsumieren. Auch das Demenzrisiko soll durch Cannabisgebrauch steigen.

Nicht nur der Konsum zu Genusszwecken, auch der medizinische Einsatz kann zur Cannabisabhängigkeit führen, warnte Prof. Knezevic. In einer 2025 publizierten Studie wurden in einem Zeitraum von drei Monaten bei 100.000 Patientinnen und Patienten unter Cannabinoidtherapie 31 Cannabisgebrauchsstörungen neu diagnostiziert. 

Das alles spricht gegen den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden, wetterte Prof. Knezevic. Dazu kämen alarmierende Daten aus den US-amerikanischen Bundesstaaten, in denen Cannabis legal ist: Anstieg der Notfallaufnahmen aufgrund von Cannabisgebrauch, sinkende IQ-Werte bei Teenagern mit regelmäßigem Konsum, mehr Verhaftungen, mehr Obdachlosigkeit. Er warnte: „Eine zugedröhnte Nation befindet sich im Niedergang.“

Gedoptes Immunsystem

Cannabinoide haben zahlreiche Effekte auf das Immunsystem. Sie hemmen die B-Zell-Proliferation und reduzieren die Antikörperbildung. THC erhöht die Apoptose von Makrophagen und wirkt so immunmodulatorisch. Das endogene Cannabinoid Anandamid hemmt die Proliferation von T-Zellen und induziert deren Apoptose. Synthetische Cannabinoide wie JWH133 besitzen ähnliche Effekte; O-1966 (ebenfalls in der Forschung im Einsatz) fördert die Differenzierung von T-Lymphozyten zu regulatorischen T-Zellen. Außerdem senken Cannabinoide die Spiegel entzündlicher Zytokine (INF-a, IL-2) und erhöhen die Spiegel des antiinflammatorischen IL-10.

„Good for patients, not for recreation“ 

Der Verfechter der Gegenposition, Prof. Dr. Yehuda Shoenfeld von der Reichman University, Tel Aviv, ließ sich von den dramatischen Ausführungen seines Kontrahenten nicht beirren. Er berichtete, dass Israel eines der weltweit führenden Länder im Bereich des medizinischen Cannabis ist. Der kontrollierte Einsatz bei Patientinnen und Patienten, die auf herkömmliche Medikamente nicht ansprechen, ist dort seit langem etabliert.

Für die Rheumatologie ist u. a. der Effekt der Cannabinoide auf das Immunsystem von Bedeutung (s. Kasten). Diese Immunmodulation hat durchaus klinisches Potenzial, berichtete Prof. Shoenfeld: Bei rheumatoider Arthritis waren Cannabinoide sowohl im Tiermodell als auch beim Menschen effektiv. Hintergrund ist die hohe Anzahl von Cannabinoidrezeptoren 2 (CB2) in der Synovia. Duch den Einsatz von Nabiximols besserten sich in einer Studie mit 58 Betroffenen Schmerzen und Schlafqualität.

Auch in den Fibroblasten von Patientinnen und Patienten mit systemischer Sklerose sind die Cannabinoidrezeptoren überrepräsentiert. Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte synthetische Cannabinoide eine fibrosehemmende Wirkung haben könnten. Als weitere schwer zu therapierende Erkrankung, bei der Cannabis vielversprechende Ergebnisse liefert, nannte der Referent die Fibromyalgie. Untersuchungen deuten auf schmerzlindernde und schlafverbessernde Effekte hin, sagte der Experte.Natürlich müsse man sich der unerwünschten Effekte der Cannabinoide bewusst sein, sagte Prof. Shoenfeld. Er propagiert deren Einsatz nur bei Erwachsenen, nachdem alle anderen Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Dann seien Nebenwirkungen wie Benommenheit und ein trockener Mund akzeptabel. 

Wegen Suchtgefahr Maximaldosen einhalten

Immer in Betracht zu ziehen sei die Möglichkeit einer Suchtentwicklung, die bei etwa 9 % der Erwachsenen auftritt. Deshalb ist es wichtig, die Behandlung gut zu überwachen und Maximaldosen nicht zu überschreiten. Auch die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit müsse beachtet werden – was aber auch bei Antihistaminika und anderen Medikamenten der Fall sei. Die von Prof. Knezevic aufgeführten Szenarien gälten – wenn überhaupt – vor allem für den unkontrollierten Freizeitkonsum. Das drastisch formulierte „good for parties, not for patients“ konterte Prof. Shoenfeld mit einem klaren: „Good for patients, not for recreation.“

Mit seinen Ausführungen konnte Prof. Shoenfeld offenbar weitere Anwesende vom Nutzen der Cannabinoide für die Medizin überzeugen: Das Schlussvoting ging 40 zu 60 aus. Knapp 5 % mehr der Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal als vor der Debatte meinten nun, Cannbinoide seien unter bestimmten Voraussetzungen eine gute Option zur Behandlung bei rheumatischen Erkrankungen. Für die begrenzte Freigabe war die Zustimmung um gut 2 % gestiegen.

Quelle: Kongressbericht
EULAR 2025 – European Congress of Rheumatology

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Für die einen sind die Cannabinoide wahre Multitalente mit therapeutischem Potenzial, für die anderen ist und bleibt Cannabis eine Rauschdroge. Für die einen sind die Cannabinoide wahre Multitalente mit therapeutischem Potenzial, für die anderen ist und bleibt Cannabis eine Rauschdroge. © Harlekin-Graphics - stock.adobe.com