
Inflammation: Oft zu wenig beachtet, aber immer ein Risikofaktor

Weltweit sind etwa 850 Millionen Menschen von einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) betroffen, allein in Deutschland sind es fast 10 Millionen, darunter mehr als 1,3 Millionen Menschen mit einer fortgeschrittenen CKD in den Stadien 3-5. Damit stellt die CKD ein global zunehmendes Gesundheitsproblem dar, das aufgrund des hohen kardiovaskulären Risikos die Lebenserwartung der Betroffenen erheblich reduziert. Belegte sie im Jahr 2016 noch den 16. Platz der Erkrankungen, die für verlorene Lebensjahre verantwortlich sind, sei bis 2040 ein Anstieg bis auf Platz 5 prognostiziert, erläuterte Professor Dr. Dr. Timotheus Speer, Frankfurt, im Rahmen seines Vortrags „Welche Rolle spielt die Inflammation als pathophysiologische Plattform?“ bei den Herz-Nieren-Tagen vom 14. - 15.02.2025 in Stuttgart. Die Ursachen für diesen Anstieg sind vielfältig, allerdings besteht gerade bei Nierenpatienten ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Auch die Inflammation spielt eine wichtige Rolle in der Krankheitsprogression und der Entwicklung kardiovaskulärer Komplikationen. Zahlreiche Studien befassten sich bereits mit der pathophysiologischen Bedeutung der Inflammation und möglichen therapeutischen Ansätzen.
Zusammenhang zwischen CKD, Inflammation und kardiovaskulären Ereignissen
Risikoanalyse durch CRP-Werte
Schon 2010 konnte gezeigt werden, dass eine Inflammation mit einem erhöhten Wert des C-reaktiven Proteins (CRP) bereits ab >2 mg/l - was eigentlich noch im definierten Normbereich für diesen Laborparameter liegt - das Risiko für eine koronare Herzkrankheit (KHK) erhöht. Gleichzeitig zeigte sich, dass diese Patienten von einer Behandlung der Inflammation profitieren und das Risiko einer KHK sinkt. Eine Kohortenstudie mit 500.000 Personen zeigte, dass die Kombination aus eingeschränkter Nierenfunktion und erhöhten CRP-Werten das kardiovaskuläre Risiko um das 2,5-Fache verstärkt.
Auch die JUPITER-Studie zeigte den Benefit einer Senkung des CRP. Eingeschlossen wurden über 17.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einem normwertigen LDL-C von < 130 mg/dl und einem CRP von > 2,0 mg/l, die entweder Rosuvastatin oder ein Placebo erhielten. Primärer Endpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulären Ereignissen oder Tod aufgrund einer kardiovaskulären Ursache. In der Rosuvastatin-Gruppe zeigte sich ein deutlicher Benefit insbesondere für diejenigen, deren CRP entweder unter 2 mg/l gesenkt oder deren CRP-Wert halbiert werden konnte. Auch für Patienten, deren LDL-Werte im Zielbereich liegen und die bereits eine Statintherapie erhalten, bildet somit eine Inflammation mit einer Erhöhung des CRP weiterhin ein residuelles Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Prof. Speer verwies auf die Auswirkungen auf die Lebenserwartung, die je nach Alter bei Beginn einer CKD und der Ausprägung der Nierenfunktionseinschränkung sehr reduziert sein kann: „Wenn wir uns die Population der 30-Jährigen anschauen, dann sehen wir, ein Patient mit einer stark eingeschränkten Nierenfunktion, also einer GFR zwischen 15 und 30 ml/min, lebt 30 Jahre kürzer. Die Hauptursache hierfür sind kardiovaskuläre Ereignisse.“
Genetische Faktoren und das Inflammasom
Die klinische Relevanz der Inflammation wird durch genetische Analysen unterstrichen: Eine Punktmutation (NLRP3 Q705K), die mit einer Überaktivität des Inflammasoms assoziiert ist, führt zu einem lebenslang erhöhten CRP-Wert (+ 40 %). Träger dieser Mutation haben ein um 28 % erhöhtes Sterberisiko bei bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen und um 12 % bei gesunden Personen. Diese Mutation betrifft ca. 30 % der Bevölkerung in Europa.
Der Verlust des Y-Chromosoms und seine kardiovaskulären Implikationen
Neuere Untersuchungen weisen auf einen weiteren kardiovaskulären Risikofaktor hin. Wie aktuelle genetische Studien zeigen konnten, ist der altersbedingte Verlust des Y-Chromosoms (LOY, Loss of Y-Chromosome) ein signifikanter kardiovaskulärer Risikofaktor, insbesondere bei Männern. Ab einem Alter von 50 bis 60 Jahren kann in bis zu 20 % der (weißen) Blutzellen ein Y-Chromosom-Verlust nachgewiesen werden, mit einem weiteren Anstieg in sehr hohen Altersgruppen.
Studien zeigen, dass dieser mosaikartige chromosomale Verlust mit einer erhöhten Inflammation sowie einem gesteigerten Risiko für Herzinsuffizienz und kardiovaskuläre Mortalität assoziiert ist. In der 4D-Studie (Die Deutsche Diabetes Dialyse Studie) und einer Kohorte von nicht dialysepflichtigen Patienten konnte belegt werden, dass Männer mit einem hohen Anteil an Y-Chromosom-Verlust, insbesondere wenn dieser 17 % übersteigt, ein signifikant erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und eine reduzierte Überlebensrate haben. Somit gilt, wie Prof. Timotheus Speer betonte: „Der Verlust des Y-Chromosoms ist nicht nur eine genetische Kuriosität, sondern ein relevanter Faktor für die kardiovaskuläre Gesundheit. Insbesondere bei CKD-Patienten könnte dieser Mechanismus die Inflammation weiter verstärken und zur Progression der Erkrankung beitragen.“
Zelluläre Mechanismen der Inflammation
Das NALP3-Inflammasom spielt eine Schlüsselrolle in der Aktivierung proinflammatorischer Zytokine. Seine Aufgabe ist es, verschiedene Procytokine in deren aktive Form zu überführen, die dann aus der Zelle freigesetzt werden und eine Entzündung induzieren. Studien zeigen, dass Triglycerid-reiche Lipoproteine – insbesondere das assoziierte regulatorische Apolipoprotein C3 – diesen Mechanismus aktivieren und dadurch Entzündungsreaktionen verstärken. In Tiermodellen führte die Gabe von Apo C3 nach drei Tagen zu einer komplett ausfallenden Gefäßregeneration nach Verletzungen, während ohne Apo C3 ein Drittel des geschädigten Gefäßes reendothelialisiert. Somit ist das NLRP3-Infammasom als zentraler Mediator von Entzündungsreaktionen anzusehen und seine Aktivierung führt zu kardiovaskulären Schädigungen.
Therapeutische Ansätze zur Reduktion der Inflammation
Beim Blick auf die Studienlage zeigt sich, dass verschiedene Möglichkeiten der Eindämmung der Inflammation untersucht und die konsekutiven Verbesserungen, wie beispielsweise die Minderung des kardiovaskulären Risikos, evaluiert wurden.
CANTOS-Studie: Nutzen einer antiinflammatorischen Therapie
Die CANTOS-Studie (Canakinumab Anti-Inflammatory Thrombosis Outcomes Study) war die erste groß angelegte Untersuchung, die eine antiinflammatorische Therapie mit klinischem Nutzen belegte. Hierbei erhielten 10.061 Patienten mit erhöhtem CRP (>2 mg/l) nach akutem Herzinfarkt, der nicht länger als 30 Tage vor Randomisierung zurückliegen durfte, Canakinumab, einen Interleukin-1β-Antikörper. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Reduktion des C-reaktiven Proteins um im Mittel 60 % und eine 14 % geringere Rate erneuter kardiovaskulärer Ereignisse. Besonders ausgeprägt war der Effekt bei Patienten, deren CRP unter 2 mg/l gesenkt werden konnte, bei denen die kardiovaskuläre Mortalität um 25 % reduziert wurde.
Auf diese Studien-Erkenntnisse bezugnehmend stellte der Frankurter Experte Prof. Speer als Überlegung in den Raum: „Jetzt stellt sich die Frage, wenn die chronische Nierenerkrankung stark mit einer Inflammation assoziiert ist, profitieren unsere Patienten unter Umständen besonders von einer solchen Therapie?“
RESCUE-Studie: vielversprechender Ansatz zur Interleukin-6-Hemmung
Die RESCUE-Studie, eine Phase-2-Studie mit 623 CKD-Patienten (Stadium 3–5) und erhöhtem CRP (>2 mg/l), untersuchte die Wirkung von Ziltivekimab, einem Interleukin-6-Inhibitor. Die mittlere Dosis führte zu einer bemerkenswerten Senkung des CRP-Werts um 90 %. Dies verdeutlicht die starke antiinflammatorische Wirkung dieser Therapie. Während die Phase-2-Ergebnisse vielversprechend waren, bleibt abzuwarten, ob diese Reduktion auch eine signifikante Verbesserung der kardiovaskulären Ergebnisse bewirkt.
Prof. Timotheus Speer: „Die RESCUE-Studie zeigt erstmals, dass eine IL-6-Blockade bei CKD-Patienten das CRP drastisch reduzieren kann. Jetzt müssen wir abwarten, ob sich dieser Effekt auch in einer klinisch relevanten Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen niederschlägt.“
ZEUS-Studie: bietet IL-6-Hemmung bei CKD effektiven Zusatznutzen?
Die laufende ZEUS-Studie mit über 6.200 CKD-Patientinnen und -Patienten untersucht die langfristige Sicherheit und Effektivität von Ziltivekimab. „Die ZEUS-Studie soll zeigen, ob die gezielte antiinflammatorische Therapie bei CKD eine effektive Zusatztherapie darstellt“, so Studienleiter Speer. „Wir hoffen, dass wir in Zukunft bei unseren Patientinnen und Patienten die Progression der Nierenerkrankung und gleichzeitig der drohenden kardiovaskulären Schäden verhindern und somit die Zahl der Patientinnen und Patienten, die auf eine Nierenersatztherapie angewiesen sind, verringern und die hohe kardiovaskuläre Mortalität bei CKD senken können.“ Interimsanalysen zeigen, dass die Therapie nicht nur sicher ist, sondern potenziell das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um bis zu 20 % reduzieren könnte. Sollte sich dieser Trend bestätigen, könnte dies ein Durchbruch in der Behandlung von CKD-Patienten mit erhöhtem Entzündungsstatus sein.
SELECT-Studie: Semaglutid als antiinflammatorische Therapie
Semaglutid, ein GLP-1-Rezeptoragonist, zeigte in der SELECT-Studie mit über 17.500 Patientinnen und Patienten eine CRP-Reduktion um 39 % sowie eine kardiovaskuläre Risikoreduktion um 20 %. Diese Ergebnisse legen nahe, dass GLP-1-Analoga neben der Gewichtsreduktion und einer Blutzuckersenkung auch entzündungshemmende Effekte besitzen.
Zukünftig werden also vermutlich einige neue therapeutische Optionen das bisherige Therapiespektrum erweitern, wie Prof. Speer konstatierte. Doch welche zusätzlichen Möglichkeiten einer Therapie sind heute schon vorhanden?
Colchicin: bekanntes Medikament mit neuen Einsatzmöglichkeiten
Traditionell zur Behandlung von Gicht und Perikarditis eingesetzt, wurde Colchicin in den letzten Jahren zunehmend auf seine kardiovaskulären Vorteile hin untersucht. Zwei große Studien, COLCOT mit 4.745 Teilnehmenden und LoDoCo2 (5.522 Patientinnen und Patienten), zeigten, dass Colchicin das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle um 23 % senken kann. Allerdings konnte die CLEAR-Studie mit 4.488 Probanten diese positiven Ergebnisse nicht replizieren (Hazard Ratio: 0,99). Eine detaillierte Analyse ergab jedoch, dass die Covid-19-Pandemie möglicherweise die Ergebnisse beeinflusst haben könnte. Leitlinien empfehlen daher Colchicin dennoch für Hochrisikopatienten mit persistierendem CRP über 2 mg/l. „Colchicin könnte eine kosteneffektive Möglichkeit sein, um bei Hochrisikopatienten mit persistierendem CRP über 2 mg/l eine zusätzliche Risikoreduktion zu erzielen“, so Professor Speer.
Fazit und Ausblick
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre haben die zentrale Rolle der Inflammation bei CKD und kardiovaskulären Erkrankungen bestätigt. Studien wie CANTOS, RESCUE, SELECT und ZEUS zeigen vielversprechende Ansätze für zukünftige antiinflammatorische Therapien. Zudem bietet Colchicin eine potenzielle kostengünstige Ergänzung zur Standardtherapie. Professor Speer wies jedoch darauf hin, dass noch Fragen zur optimalen Patientenselektion, zur Therapiedauer und zu den langfristigen Effekten dieser Behandlungen offenbleiben. Ein individualisierter Ansatz, beispielsweise durch einen CRP-Response-Test nach initialer Therapie, könnte helfen, Hochrisikopatienten gezielt zu identifizieren. Eine zusätzliche Herausforderung stellt die Kosten-Nutzen-Bewertung dar, da viele neuartige Therapien mit hohen Behandlungskosten verbunden sind. Die weitere Forschung wird entscheidend sein, um die klinische Umsetzung dieser innovativen Ansätze zu optimieren und die Lebensqualität von CKD-Patienten nachhaltig zu verbessern.
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 2/2025
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