
Patient mit Nephrektomie, Nierenkarzinom und Ödemen: Was ist die richtige Diagnose?

Der Fall
75-jähriger Patient
- Z. n. Nephrektomie links 2017 , klarzelliges Nierenzellkarzinom pT3aN0 V0 R0
- Z. n. Leistenhernienrepair links
- Z. n. Knie-OP rechts
Vorgeschichte:
Raumforderung der rechten Niere
Bei Aufnahme präsentierte sich der Patient in gutem Allgemeinzustand. Im durchgeführten MRT Abdomen zeigte sich eine 19 x 12 mm große inhomogene Raumforderung im Bereich des mittleren Nierendrittels rechts. Ein Anhalt für eine Fernmetastasierung ergab sich bildmorphologisch nicht.
Nierenteilresektion rechts:
3,5 x 2,5 – 2 cm großes Nierenresektat mit 0,6 cm breitem perirenalen Fettgewebe. Auf Schnittfläche 1,9 cm großer, gegenüber dem Nierengewebe und perirenalen Bindegewebe gutbegrenzter, teils fleckiger düsterroter Tumor. Abstand des Tumors zum Resektionsrand kleiner 0,1 cm. Keine Infiltration in das perirenale Fettgewebe.
Mikroskopie:
Mikroskopisch imponiert der Tumor mit einem dünnen netzartigen fibrösen gefäßreichen Stroma, darin in teils soliden Gruppen, teils in zystisch aufgeweiteten tubulären Formationen gelagerte atypische Zellen mit relativ vergrößerten, relativ isomorphen, chromatindichten, überwiegend anscheinend kleine Nukleolen aufweisenden Kernen sowie klaren Bezirken optisch leeren Zytoplasmas. Hierunter frische Einblutung. Zudem Siderose mit Pigmentablagerungen. Der Tumor ist durch eine fibröse Kapsel zum umgebenden Nierengewebe abgegrenzt. Die Nierenresektionsfläche zeigt sich tumorfrei.
Diagnose:
- Unauffälliges Fettgewebe- und Bindegewebsresektat
- Gut differenziertes klarzelliges Nierenzellkarzinom der rechten Niere mit teils zystischer Degeneration. Tumorklassifikation (8. Auflage UICC 2017): pT1a 1pN0 R0
- Lymphknoten mit reaktiver Veränderung. Paraaortale Lymphknoten unauffällig
Durchgeführte Therapie:
DaVinci-assistierte Nierenteilresektion rechts.
Labor: siehe Tabellen
Kenngröße | Maßeinheit | Laborparameter | Referenzbereich |
---|---|---|---|
Kreatinin | ml/dl | Vor dem Eingriff: 1,5 Nach dem Eingriff: 2,5 | 0,67–1,18 0,67–1,18 |
eGFR nach CKD-EPI | ml/min | Vor dem Eingriff: 45 Nach dem Eingriff: 24 | |
CRP | mg/l | 159,9 | < 5 |
PTH | mmol/l | 72,2 | 15–65 |
Kalium | mmol/l | Vor dem Eingriff: 4,44 Nach dem Eingriff: 4,89 | 3,5–5,1 |
Hämoglobin | g/dl | 11,8 | 12,5–17,2 |
Immunologische Diagnostik | Maßeinheit | Laborparameter | Referenzbereich |
---|---|---|---|
ANA | 1:80 | <1:80 | |
Doppelstrang-DNS-Ak | <5 | <5 | |
ANCAs | <1:20 | <1:20 | |
Bence-Jones-Protein im Urin | Nicht nachweisbar | ||
κ-Leichtketten im Serum | g/l | 0,0044 | 0,003–0,01 |
λ-Leichtketten im Urin | g/l | 0,005 | 0,006–0,02 |
Phospholipase-2-Rezeptorantikörper (PLA-2-Rezeptor-Antikörper) | U/ml | 10 | <14 |
HIV 1/2 | Neg. | Neg. | |
Hepatits B | Neg. | Neg. | |
Komplementfaktoren C3 | mg/dl | 90 | 88–228 |
Komplementfaktoren C4 | mg/dl | 20 | 16–47 |
HbA1c | % | 8% | <6% |
Urinstatus | |||
---|---|---|---|
Ery qual. | 0 | Negativ | |
Leuko qual. | Neg. | Negativ | |
Protein qual. | Neg. | Negativ | |
Glukose qual. | Pos. | Negativ/Norm | |
Keton qual. | Neg. | Negativ | |
Bili qual. | Neg. | Negativ | |
Urobilinogen qual. | μmol/l | 3,2 | <16 |
ph-Wert | 6,6 | ||
Nitrit qual. | Neg. | Negativ | |
Dichte | 1,010 |
Weiterer Verlauf:
Im Anschluss an die Nierenteilresektion stellte sich der Patient bei seinem Hausarzt vor. Dieser nahm ein Labor ab und stellte eine Hyperkaliämie von 5,3 mmol/l fest. Hieraufhin wurde eine Therapie mit hochdosiertem CPS-Pulver begonnen. In der Folge klagte der Patient über eine massive Gewichtszunahme und deutliche periphere Ödeme. Beim Sport würde er permanent sein ausladendes Abdomen bemerken.
Vorstellung beim Kardiologen:
Aufgrund der unklaren Wasseransammlung bei peripheren Ödemen erfolgte eine kardiologische Vorstellung zum Ausschluss einer kardialen Grunderkrankung im Rahmen einer Herzinsuffizienz. Diese scheint jedoch klinisch eher unwahrscheinlich zu sein bei bisher guter Belastbarkeit beim Sport.
In der kardiologischen Abklärung konnte eine kardiale Grunderkrankung bei normwertigen Befunden ausgeschlossen werden.
Transthorakale Farbdoppler Sonografie:
Normale systolische LV-Funktion, EF > 55 %, keine regionalen Wandbewegungsstörungen, keine PE. Herzhöhlen normal dimensioniert. Klappen morphologisch und farbdopplersonografisch ohne pathologischen Befund. Keine chronischen oder akuten Rechtsherzbelastungszeichen. Keine wesentlichen LV-Hypertrophiezeichen, keine diastolische Dysfunktion bzw. Relaxationsstörung des linken Ventrikels.
Aufgrund der unklaren peripheren Ödeme erfolgte eine nephrologische Überweisung.
Vorstellung beim Nephrologen
Aufgrund der unklaren Hyperkaliämie bei Z. n. Nephrektomie links bei Nierenzellkarzinom links und aktuell Nierenteilresektion rechts bei Nierenzellkarzinom re bei V. a. progrediente Verschlechterung der Nierenfunktion und konsekutiv Hyperkaliämie erfolgte die sofortige Vorstellung beim Nephrologen.
Aktuelle Anamnese:
Der Patient berichtet über deutliche periphere Ödeme und eine beträchtliche Gewichtszunahme. Keine weiteren Symptome, insbesondere keine Kopfschmerzen, keine Dyspnoe, keine urämischen Symptome und keine Angina-pectoris-Symptomatik.
Ein Diabetes mellitus wäre bereits vor 3 Jahren diagnostiziert worden und sei noch nicht behandelt. Im Weiteren negiert er eine vermehrte NSAID-Einnahme, er sei Nichtraucher, seine Trinkmenge liege bei 1,5 l/d. Von Beruf sei er Rentner, zuvor technischer Leiter. Hier kam er nicht mit Giftstoffen in Verbindung. Eine HIV- oder Hepatitis-Erkrankung sei nicht bekannt und eine Blutübertragung nicht erfolgt.
In der Systemanamnese gibt der Patient ein Schnarchen ohne Atemaussetzer an, kein anamnestischer Hinweis auf eine Vaskulitis, keine Medikamentenallergien und keine neurologischen Ausfallerscheinungen.
In der Familienanamnese litt die Mutter unter einer arteriellen Hypertonie und einem Asthma, der Vater ebenfalls unter einem Asthma bronchiale, keine weiteren kardiovaskulären oder Nierenerkrankung in der Familie bekannt.
Klinischer Untersuchungsbefund:
- 75-jähriger Patient in gutem AZ und EZ, Größe 187 cm, Gewicht 95,3 kg, BMI 27,25 kg/m2
- RR 210/84 mmHg, Herzfrequenz 50/min, Atemfrequenz 12/min, SpO₂ ohne Sauerstoff 97 %
- Temperatur 36,8 °C, Haut feucht und warm, Schleimhäute feucht, geringer Zungenbelag, kein Foetor, Rachen reizlos, Gebiss kaufähig
- Hals unauffällig, Schilddrüse nicht palpabel, keine Lymphknoten tastbar, Thorax symmetrisch
- Pulmo: Sonorer Klopfschall, vesikuläres Atemgeräusch beidseits
- Herzaktion rhythmisch normofrequent, Herztöne rein ohne Herzgeräusch
- Abdomen: Bauchdecke weich ohne Druckschmerz, keine Abwehrspannung, keine Resistenzen. Keine Hinweise auf Organomegalie. Physiologische Darmgeräusche über allen abdominellen Quadranten
- Kein Wirbelsäulenklopfschmerz
- Periphere Ödeme an beiden Unterschenkeln
- Normale Extremitätenbewegung. Keine Umfangsdifferenz der Extremitäten
- Neurologisch keine Ausfälle, keine Sensibilitätsstörung. Psychisch adäquat, orientiert zu allen Qualitäten
Abdominalsonographischer Befund:
- Leber ohne pathologische Befunde, Gallenblasenkonkrement.
- Rechte Niere: Z. n. Teilnephrektomie, Niere orthotop gelegen, verkleinert 85 x 40 mm groß, Parenchymbreite 12 mm; kein Aufstau, keine Zysten, keine Raumforderung.
- Linke Niere: Z. n. Nephrektomie.
- Aortensklerose der abdominellen Aorta.
1. Welche diagnostischen Maßnahmen sind jetzt indiziert?
2. Welche Ursache könnte die Hyperkaliämie haben? Im Weiteren würde die Behandlung mit CPS-Pulver eine weitere mögliche Ursache der Hyperkaliämie nicht behandeln. Welche wäre das?
Lösung
Diagnose
„Scheinhyperkaliämie“ nach Nephrektomie
Die erste diagnostische Maßnahme, die ich empfehlen würde, wäre eine Laborkontrolle bei Verdacht auf eine stauungsbedingte Hyperkaliämie und somit „Scheinhyperkaliämie“ im Rahmen eines Laborfehlers.
Eine weitere Ursache der Hyperkaliämie könnte eine schwere metabolische Azidose bei verschlechterter Nierenfunktion mit assoziierter Hyperkaliämie sein.
BGA | |
---|---|
pH | 7,4 |
PaCO2 | 40mmHg, Normwert: 35–46mmHg |
PAO2 | 104,4mmHg, Normwert 71–104mmHg |
HCO3 | 23mmol/l, Normwert: 22–26mmol/l |
Be | 1, Normwert: -2 bis +2 |
Kalium: | 3,4mmol/l, Normwert: 3,5–5,1mmol/l |
Beurteilung:
Normwertige BGA mit Hypokaliämie.
Therapeutisches Vorgehen:
Absetzen des CPS-Pulvers.
Weiterer Verlauf:
In der abschließenden nephrologische Vorstellung zeigten sich die peripheren Ödeme bereits regredient seit dem Absetzen des CPS-Pulvers.
Es besteht eine leichte Nierenfunktionsverschlechterung nach Nierenteilresektion rechts vor 3 Monaten und zuvor stattgehabter Nephrektomie links.
Diagnosen:
- Normokaliämie und Ausschluss Hyperkaliämie (Stauungseffekt/Laborfehler)
- CKD 3b A3 bei Einzelniere und Z. n. Teilnephrektomie rechts, sowie Nephrektomie links bei beidseitigem Nierenzellkarzinom und somit vermindertem Nierengewebe
- Arterielle Hypertonie
- Diabetes mellitus, bisher nicht therapiert
- Sekundärer Hyperparathyreoidismus bei Vitamin-D-Mangel
Labor im Verlauf
- Kreatinin: 1,86 mg/dl
- GFR: 35 ml/min/KÖF
- Harnstoff: 46 mg/dl
- Hb: 11,9 g/dl
- PTH: 111 ng/l
- HbA1c: 9 %
- Kalium: 4,9 mmol/l
Medikamente:
Olmesartan 20 mg ½-0-0-0 neu
Metformin 500 mg 1-0-1-0 neu
Jardiance 10 mg 1-0-0-0 neu
Colecalciferol 20.000 1x Woche neu
Dutasterid/Tamsulosin 1-0-0-0
Kommentar
Die initial bestehende Hyperkaliämie war ein Stauungseffekt oder Laborfehler. Hier wäre eine Laborkontrolle vor Therapie angezeigt gewesen.
Begleitend hätte initial bereits eine metabolische Azidose ausgeschlossen werden müssen bei Z. n. Teilnephrektomie und Nephrektomie und somit der Verdachtsdiagnose einer progredienten Verschlechterung der Nierenfunktion im terminalen Bereich.
Diese Kasuistik belegt wie wichtig es ist, zuerst den Laborbefund zu überprüfen und gegebenenfalls infrage zu stellen. Im Anschluss ist es wichtig eine Diagnose zu stellen, bevor man eine symptomatische Behandlung beginnt, um medikamentenbedingte Nebenwirkungen zu vermeiden. Im vorliegenden Fall wäre bei Normokaliämie keine Therapie vonnöten gewesen. Die Hypokaliämie ergab sich als unerwünschte Nebenwirkung des CPS-Pulvers.
Die heute angewandten Kaliumbinder haben sich in der Therapie bewährt, dennoch sollte man auch immer ihre häufigsten Nebenwirkungen im Blick behalten:
Nebenwirkungen der Kaliumbinder
- Lokelma: Am häufigsten tritt eine Hypokaliämie mit begleitenden peripheren Ödemen auf. Zudem treten u.a. gastrointestinale Ereignisse wie Übelkeit, Diarrhö und Erbrechen auf.
- Veltassa: Es können Hypomagnesiämie, Obstipation, Diarrhö, abdomielle Schmerzen, Flatulenz sowie Übelkeit und Erbrechen auftreten.
- CPS-Pulver: Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hyperkalzämie, Hypernatriämie, Bronchitis, gastrointestinale Ischämie und ischämische Kolitis, Ulzerationen und Nekrosen des Gastrointestinaltraktes, die zur Perforation führen können.
Quelle: Fachinformationen der Hersteller
Aufgrund der Ulzerationen und Nekrosen des GI-Traktes ist die Anwendung von CPS-Pulver heute aufgrund der besser verträglichen neueren Kaliumbinder weitestgehend obsolet.
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 2/2025
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