„Suchtpatienten muss man lieb haben“: Ohne Druck klappt der Entzug meist besser

Maria Fett

Um von einer Sucht wegzukommen, hilft es schon, zunächst die konsumierte Menge zu reduzieren. Um von einer Sucht wegzukommen, hilft es schon, zunächst die konsumierte Menge zu reduzieren. © iStock/wildpixel

Die Trauernde, die ohne Lorazepam keinen Ruhe findet. Der Schmerzpatient, für den ein Leben ohne Tilidin undenkbar ist. Oder der Arbeiter, der abends einen halben Kasten Bier braucht, um runterzukommen. Mit diesen Patienten umzugehen, ist nicht immer einfach. Diese Tipps können beim ambulanten Entzug helfen.

Es ist nachvollziehbar, dass viele Ärzte die Themen Sucht und Abhängigkeit lieber umgehen. Zum hausärztlichen Alltag gehört diese Arbeit jedoch dazu – und die Mühen eines ambulanten Entzugs zahlen sich aus, wie Dr. Stephan­ Fuchs­, Allgemeinmediziner aus Halle, seinen Zuhörern zeigte. Süchte sind keine rein somatischen Erkrankungen. Wer seinen Patienten helfen möchte, von Medikamenten, Alkohol und anderen Drogen loszukommen, muss sich mit dem psychologischen und soziale Kontext der Personen befassen, betonte der Kollege. „Man muss seine Suchtpatienten lieb haben.“

Keine Bedingungen stellen und keinen Zeitplan vorlegen

Hinter jeder Abhängigkeit steckt eine (Leidens-)Geschichte. Nach Erfahrung des Kollegen ertragen Betroffene den Druck häufig schwer, der auf sie ausgeübt wird. Ihnen zusätzlich noch die Bedingungen bzw. einen Zeitplan für den Entzug zu diktieren, bringt seiner Meinung nach wenig. Stattdessen muss man mit ihnen gemeinsam eine Strategie ausarbeiten, die zu den persönlichen Ressourcen und Stressoren, zum beruflichen und sozialen Kontext passt – und sich so in den Alltag integrieren lässt. „Sagen Sie Ihren Patienten, dass sie keinen Druck haben. Ja, wir wollen das Medikament oder den Alkohol raus haben. Aber das muss nicht gleich morgen sein.“

Beim rapiden Benzo-Entzug drohen Wahnvorstellungen

Ein Benzodiazepin-Entzug „ohne Druck“ etwa dauert ambulant rund ein Jahr. Natürlich bekommt man Patienten auch binnen eines Monats von den Mitteln weg. Allerdings stehen dann die Chancen nicht schlecht, dass sie wegen Wahnvorstellungen in der Klinik landen, sagte Dr. Fuchs. Rascher und trotzdem erfolgreich kann eine Tilidinentwöhnung gelingen. Der Kollege aus Halle stellt den Betroffenen dafür zunächst auf Diazepam um (z.B. 30 mg/d) und reduziert die Dosen anschließend in 5er-Schritten über drei Wochen. Ebenfalls bewährt habe es sich, die Dosis in Woche 1 stark und in den Wochen 2 und 3 leichter zu senken.

Es kann helfen, die Ursache der Sucht direkt in die Wahl der Entzugsstrategie einzubeziehen. Greift ein Trauernder z.B. zu Lorazepam und verlangt wiederholt neue Rezepte, kann man ihm diese entweder ausstellen und die Wirkung des Präparats mit ihm besprechen („Sie können besser schlafen.“ „Es wird Ihnen besser gehen.“). Oder man gibt ihm zunächst 2–3 Tabletten und den Rat mit, bei Bedarf noch einmal vorbeizukommen. In einer dritten Variante kann man einen Pflegedienst ins Boot holen, der die Präparate in der akuten Trauerreaktion weitergibt (cave: bei akuter Sucht gefährlich!).

Am meisten werden Kollegen vermutlich mit Alkoholproblemen konfrontiert. Ob und wie stark Patienten gefährdet sind, lässt sich beispielsweise mit dem AUDIT­-Fragebogen erfassen. Durch die getroffenen Antworten ergibt sich ein Summen­score, der das individuelle Risiko für alkoholbezogene Störungen anzeigt. Den Bogen kann man unkompliziert im Anamnesebogen verstecken und er eignet sich auch zum Monitoring.

Bei gefährdeten Personen besteht häufig das Problem, ihnen ihre schädlichen Gewohnheiten bewusst zu machen. Zumal (starker) Al­koholkonsum gesellschaftsfähig ist. Mancher tut den abendlichen halben Kasten z.B. gern als Feierabendbier ab. An dieser Stelle hakt Dr. Fuchs ein: „Wie viel haben Sie denn vor einem Jahr getrunken? Brauchen Sie wirklich jeden Abend drei Feierabendbiere? “ Oft reichen solche Fragen schon aus, damit die Patienten ins Grübeln kommen.

Mit der Aussicht auf bessere Laborwerte motivieren

Einen Alkoholabusus kann man ambulant behandeln – wenn die gewählte Strategie zum Patienten passt. Manche lassen sich z.B. gut mit logischen Argumenten überzeugen, etwa mit Laborwerten: „Wenn Sie Ihren Konsum halbieren, werden Ihre Leberwerte schon um einiges besser. Wenn Sie sofort aufhören, liegen sie in vier Wochen im Normalbereich. Soll ich helfen oder wollen Sie es erst mal allein versuchen?“

Manchmal ist Entwöhnen kein Thema mehr

Vor allem bei alten Menschen kann es vorkommen, dass ein Entzug nicht mehr möglich ist, erklärte Dr. Fuchs. Als Hausarzt kann und soll man diese Patienten aber nicht einfach sich selbst überlassen, sondern sie „in der Sucht begleiten“. In einem Tagebuch beispielsweise können Betroffene festhalten, was und wie viel sie pro Tag/Woche/Monat konsumieren. Die Aufzeichnungen werden dann regelmäßig mit dem Arzt besprochen, was ein gutes Monitoring ermöglicht. Darüber hinaus zeigt man dem Patienten damit, dass man ihn und seine Sucht ernst nimmt.

Tadeln und Beschimpfen sind absolut fehl am Platz

Statt die Zahl der Flaschen direkt zu reduzieren, könnten Betroffene zunächst auch einfach auf kleinere Flaschen umsteigen, z.B. von 1 l auf 0,5 l und dann auf 0,33 l. Ohne die Flaschenzahl zu erhöhen natürlich. Oder sie schwenken nach und nach auf alkoholfreies Bier um. Ein Versuch lohnt auf jeden Fall, sagte Dr. Fuchs. Der Allgemeinmediziner betonte, wie wichtig es für eine erfolgreiche Suchttherapie ist, dem Patienten auf Augenhöhe zu begegnen. Tadeln und Beschimpfen sei absolut fehl am Platz. „Ich bin Ihr Begleiter, nicht Ihr Wachhund“, kann ein Satz lauten. Oder: „Wenn es in die Hose geht, dann machen wir einen neuen Plan und probieren etwas anderes. Scheitern ist okay.“

Quelle: 5. practica Oberhof

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Um von einer Sucht wegzukommen, hilft es schon, zunächst die konsumierte Menge zu reduzieren. Um von einer Sucht wegzukommen, hilft es schon, zunächst die konsumierte Menge zu reduzieren. © iStock/wildpixel