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Ein Unding: Hausärzte sollen Honorar für Versorgung von Chronikern zurückzahlen!

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Dr. Gerd W. Zimmermenn: „Politisch und inhaltlich ist die Forderung der Kasse ungeheuerlich“. Dr. Gerd W. Zimmermenn: „Politisch und inhaltlich ist die Forderung der Kasse ungeheuerlich“. © AOK/DAK/MT-Archiv/Fotolia/Lightboxx

Den 3000 Hausärzten in Niedersachsen – und damit nahezu allen – muss ein gehöriger Schreck in die Glieder gefahren sein. Die KV Niedersachsen hatte sie darüber informiert, dass auf Antrag der DAK Gesundheit und der AOK Niedersachsen im Zusammenhang mit der Chronikerziffer Berichtigungen vorgenommen werden sollen, da die erforderlichen Arzt-Patienten-Kontakte fehlen würden.

„Politisch und inhaltlich ist die Forderung der Kasse ungeheuerlich“

Schon wieder versuchen also Krankenkassen, den Hausärzten das Honorar für die Patientenbetreuung abzunehmen. Und zwar ausgerechnet an der Stelle, an der nur der Hausarzt die Versorgung gewährleistet: bei der Chronikerpauschale.

Politisch gesehen ist die Forderung der DAK angesichts des zunehmenden Hausärztemangels ungeheuerlich – aber auch inhaltlich ist sie falsch. Nach der Leistungsbeschreibung der alten Nr. 03212 EBM ist eine Krankheit schwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde und z. B. eine kontinuierliche medizinische Versorgung erforderlich ist, ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung zu erwarten ist. Das Problem der DAK besteht offensichtlich darin, dass sie glaubt, die Jahresbehandlung müsse zusammenhängend und jedes Quartal neu erfolgen. Demnach müsste ein gut eingestellter Diabetiker trotzdem jedes Quartal einbestellt werden, nur damit der erfolgreiche Behandlungsansatz auch über die Chronikerziffer honoriert werden kann.

Erstaunlich ist im aktuellen Fall, dass man in Niedersachsen eine KV gefunden hat, die offensichtlich ohne nennenswerte Gegenwehr dieses Geld eintreiben will. Warum nur?

„Letztlich geht es darum, den MGV-Anteil der anderen Kasse anzuheben“

Zumal die Chronikerleis­tungen, egal ob nach der alten Nr. 03212 EBM oder den neuen Nrn. 03220/03221 EBM, Bestandteil der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) sind. Eine Rückforderung von Geldern aus diesem Bereich ist überhaupt nicht möglich. Auch als die Kassen in Hessen den gleichen Versuch gestartet haben, ging es darum, den Anteil der anderen Kassen an der MGV anzuheben.

Hätte die KV Niedersachsen tatsächlich vor, das Geld den Kassen auszuliefern, müsste es nach den Grundsätzen der Honorarverteilung dorthin fließen, wo es hergekommen ist, nämlich in den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung. Müssten dann nicht alle betreffenden Quartale neu berechnet werden? Schließlich käme es durch das Freiwerden der Rückforderungssumme zu einer Anhebung des Punktwertes außerhalb des Regelleistungsvolumens und damit zu einer Umverteilung innerhalb der Gruppe der Hausärzte in Niedersachsen.

Es stellt sich auch die Frage der Zulässigkeit der Rückforderung. Der Antrag der Kassen bezieht sich auf den § 106a SGB V. Diese Regelung beinhaltet die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch die arztbezogene Prüfung ärztlicher Leistungen auf der Grundlage von Stichproben. Im Absatz 3 des § 106a wird auf Richtlinien verwiesen, die von KBV und dem GKV-Spitzenverband vereinbart werden müssen.

In diesen Richtlinien ist aber unter III/§§ 16 und 17 die Möglichkeit einer sachlich-rechnerischen Berichtigung einer vertragsärztlichen Abrechnung durch die Kassen überhaupt nicht aufgeführt. Lediglich im § 17 Absatz 1 wird erwähnt, dass eine Prüfung der angegebenen Diagnosen bei Leistungen mit Diagnosebezug erfolgen kann. Die AOK Niedersachsen hat das offenbar erkannt, denn neben der fehlenden Anzahl an Arzt-Patienten-Kontakten beanstandet sie auch den fehlenden Diagnosebezug in den zur Honorarrückforderung anstehenden Fällen.

Ansonsten könnte lediglich § 17 Absatz 4 – wenn überhaupt – einen rechtsverbindlichen Vorgang auslösen. Dort ist festgelegt, dass „bei festgestellter Unplausibilität wegen der Art und des Umfangs der für die Behandlung eines Versicherten abgerechneten Leistungen in Bezug auf die angegebene Diagnose die Krankenkasse oder ihr Verband eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V beantragen kann“. In diesem Fall könnte die KV die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und feststellen, dass hier kein unwirtschaftliches Verhalten vorliegt.

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