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Wie die neue Corona-Warn-App die Testanweisung und Abrechnung weiter verkompliziert

Kassenabrechnung , Abrechnung und ärztliche Vergütung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Die Corona-Warn-App kann allenfalls aus epidemiologischer Sicht Hilfe bei der Eindämmung der Virusverbreitung leisten. Die Corona-Warn-App kann allenfalls aus epidemiologischer Sicht Hilfe bei der Eindämmung der Virusverbreitung leisten. © iStock/Thomas Marx
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Mit der COVID-19-Testung bei Symptomfreien wurde das Ziffernspiel in den Praxen schon etwas unübersichtlich. Jetzt kommt die Warn-App dazu – und macht Testanweisung und Abrechnung zur kleinen Herausforderung.

Es ist kompliziert – wie man so schön sagt. Deswegen ganz von vorne: Klar ist weiterhin, dass Personen, die positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet wurden oder nach den RKI-Kriterien (s. Kasten) als infiziert anzusehen sind, mit der Kennziffer 88240 und den ICD-10 Codes U07.1G oder U07.2G gekennzeichnet werden müssen. Die bei diesen Patienten erbrachten Leistungen werden extrabudgetär vergütet. Die Abstrichentnahme aus dem Nasen-/Rachenraum gilt dabei als kurative Leistung und ist als Bestandteil der Versichertenpauschale nicht gesondert berechnungsfähig (s. MT 13/2020 und 16/2020).

Die RKI-Kriterien

Der Verdacht auf COVID-19 ist begründet, wenn bei Personen mindestens eine der beiden folgenden Konstellationen vorliegt:
  • Personen mit jeglichen mit COVID-19 vereinbaren Symptomen und Kontakt mit einem bestätigten Fall von COVID-19
  • Auftreten von zwei oder mehr Lungenentzündungen (Pneumonien) in einer medizinischen Einrichtung, einem Pflege- oder Altenheim, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, auch ohne Vorliegen eines Erregernachweises.
Bei diesen Personen sollte folglich eine diagnostische Abklärung erfolgen. Dabei ist der Kontakt zu einem bestätigten Fall definiert als Vorliegen von mindestens einem der folgenden Kriterien innerhalb von 14 Tage vor Erkrankungsbeginn, nämlich entweder:
  • Versorgung bzw. Pflege einer Person, insbesondere durch medizinisches Personal oder Familienmitglieder oder
  • Aufenthalt am selben Ort (z.B. im Klassenzimmer, am Arbeitsplatz, in der Wohnung/im Haushalt, im erweiterten Familienkreis, im Krankenhaus oder anderer Wohn-Einrichtung, in der Kaserne oder im Ferienlager) wie eine andere Person, während diese symptomatisch war.

Rückwirkend zum 14. Mai 2020 hatte dann das Bundesgesundheitsministerium die Coronatest-Verordnung veröffentlicht. Danach haben Versicherte in definierten Fällen Anspruch auf eine präventive Testung auf Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Diese Leistungen dürfen nur durch die zuständigen Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) der Länder erbracht werden oder von diesen an „geeignete Dritte“ delegiert werden (s. MT 26/2020). Personen, die in dieses Raster fallen, müssen wir also an den ÖGD überweisen, selbst wenn sie privatversichert sind. Es sei denn, es liegt eine Beauftragung zur Durchführung solcher Tests des ÖGD an die Praxis vor. Gibt es eine solche Beauftragung, muss die Testung mit den ICD-10-Codes U99.0 und Z11 gekennzeichnet werden. Eine Abrechnung der Abstrichentnahme wäre in solchen Fällen zwar präventiv, wenn das Testergebnis negativ ausfällt, die Abrechnung aber mangels Abrechnungsziffer nicht möglich – obgleich die Leistung dann nicht Bestandteil der Versichertenpauschale ist. In solchen Fällen müsste also mit dem ÖGD geklärt werden, wie die in Auftrag gegebene Leistung berechnet werden kann. Davon unabhängig führt auch die Corona-Warn-App zu einer präventiven Testungssituation. Nach einem Hinweis durch die Warn-App eines Versicherten ist die Situation aber, was die Praxisabläufe betrifft, eindeutig: Seit dem 15. Juni kann sich der Versicherte u.a. an seinen Hausarzt wenden, der (ohne Einschaltung des ÖGD) eine Testung durchführen kann und darf. Eine Besonderheit ist, dass in diesem Fall nach einem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 15. Juni (begrenzt bis 31. März 2021) die Leistung nach Nr. 02402 für die ­Abstrichentnahme zum Ansatz kommen kann, während eine Kennzeichnung nach Nr. 88240 ausgeschlossen ist. Auch in diesem Fall erfolgt die Kennzeichnung durch die ICD-10-Codes U99.0 und Z11. Die Leistung ist definiert als „Zusatzpauschale im Zusammenhang mit der Entnahme von Körpermaterial für Untersuchungen nach der Gebührenordnungsposition 32811 auf das beta-Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Warnung durch die Corona-Warn-App zum Ausschluss einer Erkrankung“. Sie kann einmal am Behandlungstag berechnet werden und wird extrabudgetär mit 10 Euro vergütet. Die Ziffer kann laut KBV auch angesetzt werden, wenn statt eines Tests lediglich ein Gespräch erfolgt.

Mehrere Fallkonstellationen in den Praxen möglich

Wir können also von drei Fallkonstellationen ausgehen:
  • Der kurative Fall, bei dem ein positives Testergebnis vorliegt und/oder die RKI-Kriterien erfüllt sind (Kennzeichnung mit 88240 und ICD-10-Code U07.1 oder U07.2),
  • der präventive Fall, auf den die Vorgaben der Coronatest-Verordnung zutreffen (Testung durch den ÖGD oder auf dessen Veranlassung, keine Kennzeichnung mit 88240, aber mit ICD-10-Codes U99.0 und Z11),
  • der Corona-Warn-App-Fall (keine Kennzeichnung mit 88240, aber Abrechnung der Nr. 02402 EBM und ICD-10-Codierung mit U99.0 und Z11).
Unklarheit besteht aber zum Beispiel, wenn es einen präventiven Anlass für eine Testung gibt, der Patient keine Corona-Warn-App nutzt und er also eigentlich zur Testung zum regionalen Gesundheitsamt oder einer anderen Einrichtung des ÖGD gehen muss. Denn die RKI-Kriterien sind insbesondere im Hinblick auf die Test-Indikation bei einem Kontakt mit Infizierten deckungsgleich mit denen der Coronatest-Verordnung. In solchen Fällen müssen wir deshalb den Patienten nicht zum ÖGD schicken. Wir können zwar nicht die Nr. 02402 wegen dem eindeutigen Verweis auf die Warn-App in der Legende abrechnen, den Fall aber mit der Nr. 88240 kennzeichnen und mit U07.2 codieren. Finanziell gesehen ist das in der Regel sogar günstiger. Denn beim Erstkontakt mit einem solchen Patienten kann die Kennziffer 88240 angesetzt werden. In diesem Fall resultiert z.B. bei einem 65-jährigen Patienten allein aus dem Ansatz der Versichertenpauschale nach Nr. 03004 und dem Zusatz der hausärztlichen Grundpauschale nach Nr. 03040 ein extrabudgetäres Honorar von 31,42 Euro. Hinzu käme mindestens der ebenfalls extrabudgetär vergütete Ansatz der Nr. 03230 (Problemorientiertes ärztliches Gespräch) in Höhe von 14,06 Euro. Diese Leistungen wären zwar theoretisch auch bei der Corona-Warn-App-Konstellation möglich, würden aber nur budgetiert ausgezahlt und die Quote vom Honorar für Nr. 02402 bestenfalls ausgeglichen.

Wie dokumentiere ich?Was ist mit Kontaktpersonen?

Auch weitere Fragen sind bislang noch offen: Muss man die Inanspruchnahme durch einen Patienten aufgrund einer Meldung der Warn-App dokumentieren, um den Leistungsansatz ggf. begründen zu können? Wie muss ich vorgehen, wenn ein Patient nach einer App-Warnung zur Testung kommt und Personen mitbringt, die sich in der gleichen Warnsituation befunden haben, aber die Handy-App nicht nutzen? Welchen Stellenwert hat die Antikörpertestung, nachdem sie bei der Corona-Warn-App nicht erwähnt und im Rahmen der Coronatest-Verordnung sogar ausgeschlossen wurde? Fazit: Der EBM ist für eine Leistungsabrechnung im Zusammenhang mit der Pandemie nicht geeignet – auch nicht mit den ständig wechselnden Zusatzbeschlüssen. Selbst die (ur)alte GOÄ ist besser situiert, auch wenn der „Hygienezuschlag“ nach Nr. A245 GOÄ wieder wegfällt. Denn hier sind wenigstens alle Leistungen, die bei solchen Patienten erbracht werden (müssen) auch berechnungsfähig. Die Corona-Warn-App kann allenfalls aus epidemiologischer Sicht Hilfe bei der Eindämmung der Virusverbreitung leisten.

Medical-Tribune-Bericht

aktualisiert am 25.06.2020 um 16:15 Uhr.

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