Neue Praxisformen (1) Die Vielfalt der ambulanten Versorgungsstrukturen

Praxisführung Autor: Susanne Müller

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Mit Verabschiedung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (VSG) in diesem Sommer ist die Praxisform des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) neu in das Bewusstsein vieler Ärzte und ihrer Fachverbände gedrungen. Der Grund: Seit 23.7.2015 wird der Fachübergriff bei Gründung und Betrieb von MVZ nicht mehr gefordert. Und damit ist das MVZ nun auch für Ärzte eine überlegenswerte Alternative, die dies für sich bisher ausgeschlossen hatten. Der erste von zwei Beiträgen zum Thema MVZ gibt einen Einblick in die Vielfalt der ambulanten Versorgungsstrukturen.

MVZ – das ist für viele nach wie vor der Inbegriff ungeliebter struktureller Veränderungen in der ambulanten Versorgung, aufgrund derer seit 2004 insbesondere Krankenhäuser in direkte Konkurrenz zu den klassischen Hausarztpraxen getreten sind. MVZ – das ist aber auch eine für Vertragsärzte nutzbare Alternative zu Einzelpraxis und Berufsausübungsgemeinschaft, die insgesamt zu mehr Wahlfreiheit bei der Entscheidung zum "Wie" der eigenen ärztlichen Tätigkeit beiträgt.

Einzelpraxis als Auslaufmodell?

Die meisten der heute tätigen Ärzte wurden zu einer Zeit sozialisiert, als das bundesdeutsche Versorgungssystem noch vollständig auf den einzeln in selbständiger Niederlassung tätigen Arzt fixiert war. Dieses über fast 60 Jahre zementierte Versorgungsmonopol wurde erst 2004 aufgebrochen, als mit dem GKV-Modernisierungsgesetz der rot-grünen Regierung MVZ als Regelversorgungsform neben Gemeinschafts- und Einzelpraxen etabliert und angestellte Ärzte zur ambulanten Versorgung zugelassen wurden.

Obwohl seitdem über 10 Jahre gelebte Praxis vergangen sind, wird das MVZ in der eigenen Nachbarschaft oft immer noch kritisch beäugt, auch wenn nach wie vor mehr MVZ von Vertragsärzten als von Krankenhäusern betrieben werden. Auffällig ist insgesamt der Trend zu kooperativen Versorgungsformen. Danach war zum Jahresende 2013 mit 50,4 % aller ambulanten Ärzte nur noch eine hauchdünne Mehrheit in klassischer Einzelpraxis tätig. Alle anderen Kollegen arbeiten entweder in MVZ, in fachgleichen oder fachübergreifenden Gemeinschaftspraxen – heute BAG genannt – oder sind arbeitgebender oder angestellter Arzt in einer sogenannten "Praxis mit angestellten Ärzten". Letztere zählen formal zu den Einzelpraxen, stellen aber praktisch eine echte Kooperationsform dar.

Dennoch ist davon auszugehen, dass die Einzelpraxis als eine Versorgungsform unter mehreren auch in Zukunft ihre Berechtigung hat. Dies nicht nur, weil es immer Ärzte geben wird, die genau diese Arbeitssituation für sich attraktiv finden. Sondern vor allem auch, weil Einzelpraxen für viele Versorgungssituationen schlichtweg die geeignetste Antwort sind – ebenso wie es ein komplexes MVZ für eine andere Region oder Versorgungsfrage sein kann. Letztlich bleibt die Entscheidung für oder gegen das Eingehen einer Kooperation bzw. für oder gegen eine bestimmte Kooperationsform immer eine subjektive Wahl über das persönlich bevorzugte Arbeitsumfeld.

MVZ vs. BAG

Vor dem Hintergrund der neuen Zulässigkeit fachgleicher MVZ stellt sich die Frage für kooperationswillige Ärzte, welche Rechts- und Praxisform die persönlich passendste ist, in neuer Weise. Denn obwohl sich MVZ und BAG aus der Patientenperspektive kaum unterscheiden, gibt es für Ärzte einige Verschiedenheiten abzuwägen. Schließlich sind mit dieser Entscheidung für sie weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Anforderungen, eventueller Offenlegungspflichten, aber auch von Flexibilität und Beschränkungen verbunden.

Bei einer klassischen Berufsausübungsgemeinschaft sind regelmäßig alle Ärzte gleichberechtigte Partner der GbR und – innerhalb dieser Gemeinschaft – gegenüber dem Patienten mithaftend für die Arbeit der Kollegen. Angestellte Ärzte sind dabei immer einem einzelnen Kollegen direkt zugeordnet, da die BAG im zulassungsrechtlichen Sinne über keinen eigenständigen Status verfügt.

Bei MVZ ist dies anders. Hier ist die MVZ-Gesellschaft – gleich ob GmbH oder GbR – ein eigenständiger Zulassungsträger, d. h. die Zulassung als MVZ ist – unabhängig von den beteiligten Gesellschaftern – nicht personengebunden und überdauert daher zum Beispiel Gesellschafterwechsel problemlos. Für den Patienten ist die Einrichtung "MVZ XY" der Partner des Behandlungsvertrages, nicht aber der einzelne darin tätige Arzt. Auch die einem MVZ zugeordneten Sitze und Anstellungsgenehmigungen laufen auf die Gesellschaft, die vom Bundessozialgericht daher treffend und in Abgrenzung zu den in dem MVZ tätigen Ärzten als das "MVZ als solches" beschrieben wurde. Faktisch besteht also beim MVZ – und dies im Gegensatz zur Berufsausübungsgemeinschaft – eine formale Trennung zwischen Besitz der Arztpraxis und der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit.

GmbH vs. GbR

Aus dem ärztlichen Berufsrecht und der Definition des Arztberufes als nicht-gewerbliche Tätigkeit rührt die bekannte Rechtsformeinschränkung der klassischen Arztpraxis auf die BGB-Gesellschaft (GbR) sowie die eher selten genutzte Partnerschaftsgesellschaft. Diese Beschränkung der Rechtsformwahl auf natürliche Personen, die im Wesentlichen auch für die Gemeinschaftspraxen gilt, wurde 2012 durch das Bundessozialgericht (Az. B 6 KA 47/11 R) bestätigt und wird mit den Besonderheiten des Arzt-Patient-Verhältnisses begründet.

Wird dagegen eine Kooperation aus mindestens zwei Medizinern in der Form eines MVZ eingegangen, kann dieses – da das SGB V dies direkt vorsieht – nicht nur als GbR, sondern (unter Beachtung des jeweiligen Länderrechts) auch als GmbH betrieben werden. Damit verbunden ist die von vielen Ärzten als persönliche Entlastung wahrgenommene Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen. Das kann ein Vorteil sein, gilt aber zum einen grundsätzlich nicht bei Verpflichtungen aufgrund von persönlichen Behandlungsfehlern und wird zum anderen durch die SGB-V-Vorschrift zu gesonderten Bürgschaften von MVZ-GmbHs konterkariert. Danach ist als Zulassungsvoraussetzung von jeder MVZ-GmbH eine zweckgebundene selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung der Gesellschafter vorzulegen, wodurch diese in persönliche Haftung für gegen das MVZ gerichtete Regressforderungen von Kassen und KV treten.

Davon unabhängig gilt, dass die GmbH-Gründung vielen Ärzten aufwendiger scheint, da nicht nur ein Gesellschaftsvertrag, sondern auch die Einbindung eines Notars in den Gründungsprozess zwingend vorgeschrieben ist. Auch unterliegt jede GmbH verschiedenen Offenlegungs- und Bilanzierungspflichten, so dass gesellschaftsrechtliche Veränderungen und die Jahresbilanz über das GmbH-Register im Grunde für jedermann einsehbar sind.

Aber auch die GbR hat ihre Tücken. Der Abschluss eines schriftlichen Gesellschaftsvertrages ist hier zwar nicht zwingend, wird aber dringend empfohlen, um Befindlichkeiten der ärztlichen Partner schon vor Eintreten eines Streitfalles verbindlich zu regeln. Auch verlangen die Zulassungsgremien teilweise Einsicht in den Vertrag.

Da Arztpersönlichkeit und Gesellschaft auf viel stärkere Weise miteinander verstrickt sind, als dies in einer GmbH der Fall ist, sind zudem Veränderungsprozesse immer kompliziert. Verlässt etwa einer der BAG-Partner die Gesellschaft, nimmt er in aller Regel seine persönliche Zulassung mit und gefährdet entsprechend den Bestand der GbR. Oder die Zulassung muss im Zuge eines Nachbesetzungsverfahrens für den potentiellen neuen Partner beantragt werden – ein Verfahren, das im Ermessen des Zulassungsausschusses liegt, so dass auf die gewünschte Übertragung kein Rechtsanspruch besteht.

Sitzstilllegung und Tätigkeit in Anstellung

Nicht zuletzt ist die Frage "MVZ oder BAG" auch im Licht der mit dem VSG verschärften Vorschrift zum Zwangsaufkauf von Arztpraxen zu betrachten. Jede Nachbesetzung steht demnach gemäß § 103 Absätze 1 und 3a SGB V unter dem Vorbehalt der Überprüfung der jeweiligen Versorgungsrelevanz. In Bedarfsplanungsbezirken mit über 140 % Versorgungsgrad – also in so ziemlich allen städtischen Regionen – hat daher der Zulassungsausschuss Sitze, die "nicht mehr benötigt werden", bei Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes stillzulegen. Zu diesem Grundsatz gibt es weitreichende Ausnahmen, die jeder, der in naher Zukunft seinen Sitz übergeben möchte, kennen sollte. Aber die Gefahr des Sitzeinzuges schwebt dennoch als Damoklesschwert zunächst

einmal über allen künftigen Übergabeprozessen.

Anders verhält sich das bei Arztsitzen, die mit einer Anstellungsgenehmigung verbunden sind. Denn diese dürfen gemäß SGB V – mindestens nach derzeitiger Rechtslage – nachbesetzt werden. Diesbezüglich besteht seitens des arbeitgebenden MVZ bzw. Arztes ein Genehmigungsanspruch. Auch bisherige BAG-Ärzte sind im Übrigen beim Ausscheiden eines der Partner vor der Sitzstilllegung geschützt, solange die Praxis mindestens drei Jahre gemeinschaftlich betrieben wurde. Vor diesem Hintergrund kann es für Hausärzte insbesondere am Ende ihres vertragsärztlichen Berufslebens sinnvoll sein, eine Kooperation ernsthaft zu erwägen. Die Einbringung ihres Vertragsarztsitzes in ein MVZ zum Zwecke der Anstellung ist dabei eine Möglichkeit von vielen.

Vielfalt als Chance

Naturgemäß ist davon auszugehen, dass vielen altgedienten Hausärzten der Wechsel vom Vertragsarzt- in den Angestelltenstatus mindestens gefühlt schwerfallen würde, auch wenn sich die eigentliche ärztliche Arbeit erfahrungsgemäß nicht unterscheidet. Hier gilt es Vorbehalte zu überwinden, nach denen das Wörtchen "freiberuflich" automatisch mit "selbständig" gleichgesetzt wird. Aber wer sich mit der modernen Kooperationslandschaft auseinandersetzt, wird ohnehin feststellen, dass es längst nicht mehr nur die jungen Mediziner sind, die nach neuen Tätigkeitsformen und Versorgungsmodellen suchen.

Vielmehr haben sich die Umstände, unter denen Ärzte sich heute für oder gegen eine Niederlassung entscheiden, weitreichend verändert. Wo früher galt, dass jeder Arzt von seiner Praxis gut leben kann, ist heute sehr wohl eine Ausdifferenzierung zwischen wirtschaftlich gut funktionierenden und tendenziell suboptimal aufgestellten Praxen spürbar. Gleichzeitig ist die dadurch bedingte Vielfalt der heutigen Möglichkeiten, als Arzt tätig zu sein, weniger als Bedrohung der Freiberuflichkeit, sondern vielmehr als persönliche Chance zu interpretieren. Denn Freiheit heißt ja auch, sich als Arzt bewusst für oder gegen die Selbständigkeit bzw. für oder gegen eine bestimmte Kooperationsform entscheiden zu können.


Autorin:
Geschäftsführerin des Bundesverbandes Medizinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung e. V.
10117 Berlin
www.bmvz.de

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (19) Seite 65-68
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.