Heiter bis wolkig Facetten aus der Viruspause

Autor: Fritz Meyer

Gerne gebe ich zu, dass man als Kleinstadthausarzt in einer solchen Situation privilegiert ist. Gerne gebe ich zu, dass man als Kleinstadthausarzt in einer solchen Situation privilegiert ist. © contrastwerkstatt - stock.adobe.com

Gerne gebe ich zu, dass man als Kleinstadthausarzt in einer solchen Situation privilegiert ist. Jeder kennt jeden und ein jahrzehntelang gewachsenes Netzwerk kann im kollektiven Hausarrest schon hilfreich sein. So fand ich eines Morgens an meiner Haustüre sorgsam in Zeitungspapier gewickelte Bärlauchblätter, die eine 92-jährige Patientin im Wald gesammelt hatte. Ihr Wunsch: Ich solle mir aus den Blättern des wilden Knoblauchs ein kräftigendes und gesundes Mahl bereiten lassen, schließlich müsse vor allem der Doktor jetzt gesund bleiben.

Der Anlass dieser Fürsorge? Noch vor der Coronavirus-Seuche hatte die greise, aber doch recht mobile und eigenwillige Dame einen üblen Fahrradsturz. Sie verweigerte die notwendige stationäre Behandlung und ich habe dann ihre Blessuren trotz erheblicher Bedenken tagelang in der Praxis verarztet.

Das solidarische Zusammenrücken ging aber noch weiter. Einer Freundin meiner Frau ging die Trockenhefe aus, die Lager im Dorfladen waren kahl gerupft. In dieser Notlage konnte meine bessere Hälfte mit mehreren Päckchen Trockenhefe aushelfen, die sie vorschriftenkonform über fünf Kilometer Luftlinie auf dem Postweg in Marsch setzte. Die Kuchenproduktion war gerettet.

Doch weil der Mensch auch trinken muss, braut ein Pensionär in unserer Nachbarschaft sein Bier inzwischen lieber selber. Sein Motto: Die Quelle im Haus, der Zeit voraus!

Meine Gattin hat sich situationsaffin mit dem Stoff- und Nadelvirus infiziert. Nach einer Karenz von mehr als 25 Jahren setzte sie sich wieder an ihre Nähmaschine und fertigte für die ganze Familie maßgeschneiderte, kochfeste Mund-Nase-Masken in klassisch-edlem Weiß.

Just zu dieser Zeit rief mich ein alter Freund ratlos an, weil er sich beim Anbau von Küchenkräutern eine schmerzhafte Irritation der Plantarfaszie zugezogen hatte. Als Dank für meine telefonische Beratung hängte uns sein Ehegespons eine Tüte mit selbstgebackenen, traditionellen Fladenbrötchen an die Haustüre.

Einer Ironie des Schicksals folgend verwendete sie dazu ein überliefertes Rezept aus Südtirol, einem Epizentrum der Coronavirus-Seuche. Die Vinschgerl (Abbildung) sind aus einem Roggen-Weizen-Sauerteig und halten sich über mehrere Tage frisch. Der klassische Vorratsproviant karger Regionen und mithin ein Symbol des Durchhaltewillens. So werden wir doch diese und andere Krisen immer wieder gebacken kriegen.

 

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (10) Seite 81
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.