Freude am Beruf Sag nicht Ja, wenn Du Nein denkst

Praxisführung Autor: T. Klatt-Braxein

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Wer häufig oder immer Ja sagt, wenn er um etwas gebeten wird, das er eigentlich gar nicht erfüllen will, wird schnell ausgenutzt und überschreitet bald die eigene Belastungsgrenze. Viele Hausärzte können ein Lied davon singen. Hier hilft nur die Kunst, so Nein zu sagen, dass eigene Bedürfnisse nicht auf der Strecke und die Freude am Beruf aufrechterhalten bleiben und gleichzeitig das Gegenüber nicht verletzt wird.

Dr. Pfeiffer hat genug: „So geht das nicht weiter! Manche Patienten verstopfen mir regelmäßig mit Bagatellen die Sprechstunde, andere halten sich einfach nicht an die vereinbarten Termine. Wieder andere kommen, wenn sie bei mir sitzen, mit zusätzlichen oder spontanen anderen Anliegen. Dass die Zeit dafür nicht geplant ist und keinesfalls ausreicht, merke ich meist erst später, wenn die Warteliste immer länger wird. Obwohl der Terminkalender randvoll ist, schaffen es einige Patienten immer wieder, doch dranzukommen. Manche sind supernett und finden so einen Weg, mit ihren Anliegen zu landen. Andere sind laut und ungehalten, schüchtern mir meine Angestellten ein und kriegen so, was sie wollen. Und obendrein noch die alten und ganz alten Patienten, von denen einige fast täglich in die Sprechstunde kommen und viel Zeit haben und auch viel Zeit kosten. Mir ist nun klar geworden, dass die weiter und weiter steigende Arbeitsbelastung nicht nur aus der wachsenden Administration resultiert. Wir sind wirklich gut organisiert. Viele Patienten nutzen uns aus und bestimmen auch irgendwie, was hier in der Praxis Priorität hat. Das muss sich ändern, damit wir auch in Zukunft unsere Arbeit gut machen können.“

Es kann nicht jedem recht gemacht werden

Dr. Pfeiffer ist kein Einzelfall. Die meisten Ärzte merken es, viele jedoch erst sehr spät: Straffe Organisation, QM und verändertes Zeitmanagement allein reichen nicht, um die geschilderte Problematik zu lösen und wieder in den Griff zu bekommen. Patientenorientierung bedeutet eben nicht, für alles offen zu sein oder es allen recht zu machen. Das führt ins Bodenlose und in die Unzufriedenheit. Der Patient ist kein Kunde im Kaufhaus. Grenzen dürfen nicht verschwimmen und der Patient darf nicht bestimmen, wo es in der Praxis langgeht. Deshalb müssen Menschen mit „großem Herzen“ lernen, Grenzen bestimmt, aber freundlich zu kommunizieren. Dabei soll niemand vergrault und kein wirklicher Notfall übersehen werden. Dr. Pfeiffer und sein Praxisteam lernen jetzt, Nein zu sagen.

Keine Patientenwertung

In einem ersten Schritt entwickeln Dr. Pfeiffer und seine Mitarbeiterinnen ein gutes Gespür für den Patienten und für sich selbst. Es geht darum, den Patienten erst einmal so zu nehmen, wie er ist. Egal wie er sich in der Praxis verhält – ob er nun laut, anklagend, gewitzt, schlagfertig, übertrieben, vorsichtig oder angepasst ist – der Patient hat gute Gründe, genau so zu sein und nicht anders. Wir wissen meist zu wenig über den Patienten, seine Herkunft, seine Muster, seine Erfahrung mit anderen Ärzten oder schwierigen Situationen, über den Umgang mit Schmerz und Krankheit, die familiären oder beruflichen Bedingungen. Dr. Pfeiffer und sein Team lernen: „Werte nicht! Gute oder böse Patienten gibt es nicht! Das muss jedem klar sein.“ Für Arzt und Mitarbeiter gilt übrigens das Gleiche. Wer sich nicht abgrenzt und dann Ja sagt, obwohl er eigentlich Nein denkt – z. B. einen Patienten mit einer Bagatellerkrankung aufnimmt, obwohl die Akutsprechstunde längst voll ist –, für den ist das sehr wohl auch von Nutzen. Denn kurzfristig spart er sich dadurch Ärger.

Klare Spielregeln

In einem zweiten Schritt verständigen sich Dr. Pfeiffer und sein Team zudem, was ihnen in ihrer Arbeit wichtig ist. Denn ein Nein kann immer nur dann richtig kommuniziert werden, wenn die Spielregeln der Praxis deutlich sind. Allgemein gilt: Wenn nicht klar und eindeutig ist, welche Bestimmungen und Regeln in der Praxis gelten, was „geht“ und was nicht, wird der Patient, ähnlich einem Kind, welches seine Grenzen austestet, geneigt sein, die (nicht benannten) Regeln zu überschreiten und eben seine eigenen geltend zu machen. Das ganze Team muss sich klar darüber werden, welche Regeln und Grenzen in der Praxis gelten, und an einem Strang ziehen. Beispielsweise muss festgelegt sein:

  • Was ist ein wirklicher Notfall, was keiner?
  • Wie werden die Anliegen der Patienten ermittelt und dem Arzt zur Verfügung gestellt?
  • Welche Regel gilt, wenn nicht genau zu ermitteln ist, was der Patient möglicherweise hat und ob er bleiben soll oder nicht?
  • Haben Patienten, die sich einen Termin bzw. ein Zeitfenster nennen lassen, Vorrang?
  • Wie kommunizieren Patient und Arzthelferin in der Regel?
  • Welche Alternativen nennen wir dem Patienten, wenn wir ihn am selben Tag nicht mehr behandeln können?

Selbstverständlich ist es wichtig, darauf Wert zu legen, dass über die festgelegten Regeln immer wieder gesprochen wird und dass bei Bedarf Änderungen oder Anpassungen durchgeführt werden. Im Einzelfall weiß dann der Arzt oder die Helferin das gesamte Team hinter sich. Das erleichtert ausgesprochen viel bei der Begründung eines "Nein".

Übung macht den Meister

Der dritte Schritt: Dr. Pfeiffer und seine Mitarbeiter wenden die Nein-sage-Regel dreimal täglich an. Alle lernen in verschiedenen Situationen. Alle haben den Auftrag, ihre kommunikativen Fähigkeiten zu üben. In der Praxis verfügbare oder ausgehängte Hinweiszettel (vgl. Kasten) können eine Hilfestellung bieten. Keiner muss und wird das Nein-Sagen allerdings von Anfang an perfekt beherrschen. Das Üben kostet Kraft, anfangs wird es auch holprig werden und etwas Zeit kosten. Es geht darum, die Regel zu verinnerlichen, sie „wie am Schnürchen“ zu können. Das Team sollte sich mindestens sechs Monate Zeit lassen. In den regelmäßigen Teamberatungen reflektiert dann jeder die Umsetzung. Hier können Erfolge ausgetauscht und gefeiert, aber auch einzelne schwierige Situationen analysiert und bearbeitet werden.

Im konkreten Fall kann ein Nein im positiven Rahmen so aussehen:

Herr Kraft möchte gleich heute mit dem Arzt – obwohl er es nicht angekündigt hat – den Kurantrag besprechen bzw. ausfüllen. „Herr Kraft, gut, dass Sie an den Kurantrag gedacht haben. Heute geht es nicht. Wir haben für Sie heute nur zehn Minuten eingeplant. Sie wissen ja, dass Akutsprechstunde ist. Gern wird Ihnen Schwester Heidi dafür einen Termin geben.“

In etwas abgewandelter Form ist auch folgende Vorgehensweise möglich:

Frau Kaiser ruft an, ist erkältet, äußert keinen großen Leidensdruck, möchte trotzdem noch in die Akutsprechstunde kommen, obwohl die schon sehr voll ist: „Frau Kaiser, ja, es ist sicher gut, dass der Doktor mal draufschaut. Ich kann Sie heute nicht mehr in die Akutsprechstunde nehmen. Sie ist voll. Wir möchten gern pünktlich mit der Terminsprechstunde beginnen. Alternativ kann ich Ihnen für morgen 10:20 Uhr einen Termin anbieten oder Sie kommen heute Nachmittag um 15 Uhr zur Terminsprechstunde vorbei. Frau Doktor nimmt Sie dran, wenn Luft sein sollte, das kann aber auch bis zu zwei Stunden dauern.“

Für Dr. Pfeiffer geht es weiter: „Ich will diesen Weg mit meinem Team ausprobieren. Mir ist klar, dass diese Umstellung erst einmal Kraft kostet. Es wird eben viel Austausch nötig sein. Ich bin mir aber sicher, dass sich die Investition lohnt, damit mir meine Arbeit weiter Freude macht.“


Autor:
Praxiscoach
Internet: www.salusmedici.de
10777 Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (10) Seite 22-23
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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