Zugriff auf appbasierte Systeme Notfallrettung scheitert oft am Funkloch oder an der Landesgrenze

e-Health , Apps und Internet Autor: Angela Monecke

Die Herzdruckmassage am Notfallort erfolgt oft zu spät. Nur jede zehnte Person überlebt den Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Herzdruckmassage am Notfallort erfolgt oft zu spät. Nur jede zehnte Person überlebt den Herz-Kreislauf-Stillstand. © Chalabala – stock.adobe.com

Ob man einen Herz-Kreislauf-Stillstand überlebt, hängt davon ab, wie schnell und gut die Erste Hilfe funktioniert – insbesondere die Reanimation durch Laien. In vielen Fällen fehlt sie. Ersthelfer-Apps können assistieren. Weil den digitalen Rettern aber oft das Funknetz fehlt oder sie technisch nicht kompatibel sind, sterben Menschen. Der Marburger Bund Niedersachsen schlägt Alarm.

Dem älteren Herrn in der Kölner Innenstadt geht es gar nicht gut. Er fühlt sich schwach, ihm ist schwindelig und übel. Plötzlich sackt er stöhnend in sich zusammen, bleibt bewusstlos auf dem Asphalt liegen. Jetzt zählt jede Sekunde. Ein Passant reagiert sofort und wählt die 112. Die Rettungsstelle übernimmt, meldet den Notfall nahtlos an eine Ersthelfer-App, ortet und findet per GPS binnen fünf Sekunden eine registrierte Person nur wenige Hundert Meter entfernt. Diese nimmt den Alarm auf dem Handy wahr und spurtet zum Notfallort. Etwa vier Minuten später beginnt sie mit der Herzdruckmassage. Die Zeit drängt, denn beim Herzstillstand treten im therapiefreien Intervall schon nach drei bis fünf Minuten erste irreversible Schäden auf. Der Rettungsdienst trifft erst nach einer Viertelstunde ein, im Schnitt braucht er dafür neun Minuten.

Der Mann hat Glück: Dank App und schneller Nothilfe überlebt er seinen Herz-Kreislauf-Stillstand. Das schafft nur jede oder jeder Zehnte der knapp 120.000 Menschen in Deutschland, die pro Jahr ein außerklinischer Herzstillstand trifft  – eine der häufigsten Todesursachen. Es ist auch der meistgenannte Grund für einen Rettungseinsatz, weitaus seltener rücken die Teams wegen akuter Atemnot, Bewusstlosigkeit oder anderer Notfälle aus.

Appbasierte Alarmierungssysteme für Ersthelfende sind deutschlandweit im Einsatz, doch nur weniger als die Hälfte der Leitstellen nutzt sie laut einer Untersuchung der ADAC-Stiftung. Und da die Systeme weder miteinander koordiniert noch harmonisiert arbeiten, endet deren Funktion teils schon an der Landkreisgrenze, kritisiert der Marburger Bund (MB) Niedersachsen. Hält sich z. B. eine potenzielle Helferin gerade im Nachbarort auf, der jedoch ein anderes System nutzt, wird sie nicht alarmiert. Und selbst wenn es sich um dasselbe System handelt, kann es sein, dass eine Alarmierung zum Teil nicht möglich oder sogar eine neue Registrierung nötig ist.

Deutsche Reanimationsquote lässt zu wünschen übrig

Während Ersthelfende hierzulande bei nur knapp der Hälfte aller präklinischen Reanimationen eine Wiederbelebung starten, tun dies Laien in den nordischen Staaten deutlich häufiger. Dafür sorgen vielerorts die „flächendeckenden oder sogar nationalen Lösungen“, so Andreas Hammerschmidt, Vize-Vorsitzender des MB Niedersachsen. Deren Systeme seien oft zentral gesteuert und gut in die Leitstellenprozesse integriert. So verfügt Dänemark über ein zentrales System („FirstAED“), das etwa 90 % des Landes abdeckt. In Schweden gibt es ein landesweites SMS-Alarmierungssystem, das über eine nationale Plattform gesteuert wird. Und die Niederlande nutzen eine zentral gesteuerte Ersthelfer-Datenbank. Deutschlandweit sind aktuell über 60.000 Ersthelfende in App-Systemen registriert. Deren Zahl schwanke je nach Anbieter aber stark, erklärt Hammerschmidt. Allein die „Region der Lebensretter“ (Start: 2014) meldete 2024 bundesweit mehr als 10.000 aktive Personen. Über die App „Mobile Retter“ wurden seit deren Start 2013 knapp 35.000 Einsätze abgewickelt (siehe Kasten). Besonders viele weiße Flecken zeigt der ländliche Raum, sowohl im Osten Deutschlands (u. a. in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) als auch in einigen bayerischen und niedersächsischen Flächenkreisen sowie in Teilen Norddeutschlands. Großstädte wie Köln, Dortmund oder Essen zählen monatlich knapp 50 bis 100 Alarmierungen.

Welche Apps sind wo im Einsatz?

Ersthelfer-Apps gibt es in vielen Regionen, allerdings existiert kein einheitliches bundesweites System. Genutzt werden über 70 regionale Systeme oder Initiativen mit Apps oder digitalen Alarmierungslösungen. Eine flächendeckende, zentrale App-Lösung ist vorerst nicht in Sicht. Bekannte Systeme sind u.a.:

  • Corhelper, vorhanden in Teilen Bayerns, Baden-Württembergs und Nordrhein-Westfalens
  • Katretter gibt es z. B. in Berlin, Brandenburg, Eberswalde, Schaumburg; in Berlin wurden bisher über 10.000 Alarmierungen gezählt
  • Mobile Retter, z. B. in Teilen Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens, Hessens sowie in Bayern und Brandenburg: 42 Landkreise in fünf Bundesländern, Abdeckung für knapp 8,7 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner
  • Region der Lebensretter, z. B. in Freiburg, Böblingen, Stuttgart, Tübingen, Heilbronn, Konstanz, Nürnberg: 75 Landkreise in sieben Bundesländern, Abdeckung für circa 16,5 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner
  • FirstAED: Pilotprojekte, u.a. in Schleswig-Holstein
  • „Helfer vor Ort“-Systeme, regional im Einsatz, z. B. in Bayern stark ausgeprägt, oft aber ohne App genutzt
  • Saving Life: nur in Schleswig-Holstein flächendeckend verbreitet; Träger ist der ASB 

Der Deutsche Rat für Wiederbelebung listet zudem die Ersthelfer Südwestachse und das Team Bayern Lebensretter (nur in Bayern) auf.

Aktuelle Übersichtskarte: grc-org.de/unsere-arbeit-projekte/karte-ersthelfersysteme­App-Finder: stiftung.adac.de/der-app-finder-fuer-ersthelfer-alarmierungssysteme/

Wer sich als Ersthelfender registrieren will, muss mindestens einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert haben, wenn nicht sogar eine medizinische Qualifikation mitbringen, z. B. eine Sanitätsdienstausbildung bzw. Rettungssanitäterin oder -sanitäter, Ärztin, Arzt oder Pflegekraft sein. Teilweise wird auch die Teilnahme an einem spezifischen Einweisungstraining für die App-Nutzung gefordert, beispielsweise bei „Katretter“ im Landkreis Herford. Auch die Mitsprachemöglichkeit der jeweiligen Landkreise und kreisfreien Städte, wer denn alarmiert wird, variiert. Bei manchen Apps entscheidet wiederum ausschließlich der Betreiber, bei anderen dürfen Kreise und kreisfreie Städte mitreden. 

„Generell hat die ausschließliche Arbeit mit besonders qualifizierten Ersthelfenden, wie Pflegekräften, Notfallsanitätern, Ärztinnen und Ärzten qualitative Vorteile, andererseits dünnt sich dadurch die Anzahl der Ersthelfenden deutlich aus, was insbesondere in ländlichen Regionen zum Problem werden kann“, betont Oberarzt Hammerschmidt.

Um die smartphonebasierten Systeme national in die Notfallversorgung zu integrieren, müssten die Hersteller bzw. App-Anbieter zu Schnittstellenlösungen verpflichtet sowie Bund und Länder stärker in die Verantwortung genommen werden, schlägt die Ärztegewerkschaft vor. Ideal wäre nach Ansicht des MB eine bundesweite Plattform oder ein App-System, wo sich Interessierte einmalig registrieren können und auf das alle Rettungsleitstellen – unabhängig vom Wohn- oder Registrierungsort – Zugriff und Ortungsmöglichkeiten haben. Denkbar wäre auch eine bundesweite App-Lösung oder alternativ ein bundesweites Ersthelfer-Register mit einer Alarmierung per Telefon oder SMS. „Das Mindeste“ seien jedoch App-Lösungen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten – mit Schnittstellen zwischen App-Systemen und Leitstellen. „Ein Ersthelfer muss überall alarmierbar sein, wo er sich aufhält und wo er der nächste Ersthelfende am jeweiligen Notfallort ist – und zwar unabhängig vom App-System, in dem er sich registriert hat“, erläutert der Orthopäde und Unfallchirurg.

Bundesregierung verweist auf Länderhoheit

Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Organisation des Rettungsdienstes und somit auch die Etablierung digitaler Ersthelfer-Systeme in die Zuständigkeit der Länder falle. Inwieweit Ersthelfer-Apps in die sozialversicherungsrechtlichen Leistungen der medizinischen Notfallrettung eingebunden werden könnten, prüft die Regierung derzeit im Rahmen der Reform der Notfallversorgung. Zudem will sie bundesweit einheitliche Rahmenvorgaben und Interoperabilitätsstandards schaffen, um die Erfolgsrate von Reanimationen zu erhöhen.

Am Ende benötigten alle Systeme vor allem eines: eine funktionierende Mobilfunknetzabdeckung. Insbesondere in ländlichen Regionen sei dies ein relevantes Thema, so Hammerschmidt.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht