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Vertrag zur Hausarztzentrierten Versorgung Innovationsküche im Gesundheitswesen

Niederlassung und Kooperation Autor: Angela Monecke

Zum 15. Geburtstag der HzV in Baden-Württemberg legten die Verantwortlichen wissenschaftliche Daten im Zehn-Jahres-Vergleich von HzV und Regelversorgung vor. Zum 15. Geburtstag der HzV in Baden-Württemberg legten die Verantwortlichen wissenschaftliche Daten im Zehn-Jahres-Vergleich von HzV und Regelversorgung vor. © snowing – stock.adobe.com
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Vor 15 Jahren startete der wegweisende Hausarztvertrag von AOK, Hausärzteverband und Medi in Baden-Württemberg. Die Evaluation bestätigt seine Vorteile. Zur Weiterentwicklung der HzV gehören jetzt die akademisierte Verah und mehr Delegation in einer Teampraxis, die auch den Klimawandel im Blick hat.

Im Mai 2008 wurde in Baden-Württemberg der bundesweit erste Vertrag zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) geschlossen, der als Grundlage für viele weitere Selektivverträge diente. Inzwischen verpflichtet § 73b SGB V die gesetzlichen Krankenkassen dazu, ihren Versicherten eine HzV anzubieten. Bei den bundesweiten Teilnehmerzahlen (ca. 8,5 Mio.) ist aber noch Luft nach oben. Auch die Kombination von Hausarzt- und Facharztprogramm ist eine Besonderheit der AOK im Südwesten geblieben.

Zum 15. Geburtstag der HzV in Baden-Württemberg legten die Verantwortlichen nun wissenschaftliche Daten im Zehn-Jahres-Vergleich von HzV und Regelversorgung vor. Diese zeigen deutliche Effekte auf die Morbiditäts- und die Mortalitätsentwicklung chronisch Kranker. Obendrein spart die HzV Geld: Die jährlichen Kosten pro Patient liegen um rund 40 Euro niedriger als bei vergleichbaren Versicherten in der Regelversorgung. 

„Es gibt in Deutschland wohl keine Versorgungsintervention, die so weit, so intensiv und zugleich über einen so langen Zeitraum evaluiert wurde“, sagte Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Als eine Hauptzielgruppe der HzV gelten ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, KHK, Herzinsuffizienz, Asthma oder COPD. Gerade die chronisch kranken Patienten können von der HzV profitieren, wie die Ergebnisse einer aktuellen Evaluation der Goethe-Universität und des Universitätsklinikums Heidelberg zeigen. 

Hochrechnungen für die Jahre 2011 bis 2020 ergeben, dass bei 119.000 Menschen mit Diabetes mehr als 11.000 schwerwiegende Komplikationen vermieden werden konnten. Konkret bedeutet dies, dass sich rund 350 Fälle neu aufgetretener Erblindungen und circa 2.250 Schlaganfälle verhindern ließen. Deutliche Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der Dialysepflicht, der Amputationsrate und einer längeren Lebenserwartung im Vergleich zu Diabetespatienten in der Regelversorgung. 

Strukturierte Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten

„Mitverantwortlich dafür ist sehr wahrscheinlich die um 20 % höhere Teilnahme in den Diabetes-DMP, die in der HzV gezielt angereizt wird“, betont Prof. Gerlach. Er spricht von einer „umfassenden, qualitätsorientierten Versorgungssteuerung“, die sich besonders in der gut strukturierten Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten niederschlage. 
„Die Qualitätsschere von HzV und Regelversorgung öffnet sich von Jahr zu Jahr zugunsten der HzV“, so der Allgemeinmediziner. Insgesamt werden 1,78 Mio. AOK-Versicherte von 5.400 Ärzten in der HzV betreut. Allein im Jahr 2020 seien zwei Mio. Hausarztkontakte mehr und 1,9 Mio. unkoordinierte Facharztkontakte ohne Überweisung weniger gezählt worden. 

Positive Effekte zeigen sich zudem bei der Arzneieinnahme. So waren etwa HzV-Teilnehmende mit einer KHK im Jahr 2020 – verglichen mit Patienten aus der Regelversorgung – beim Statinverbrauch medikamentös besser eingestellt und erreichten deutlich seltener kritische klinische Endpunkte wie Schlaganfälle oder Myokardinfarkte. Auch weniger Krankenhausaufenthalte sind in der HzV zu verzeichnen. Prof. Dr. ­Joachim Szecsenyi, Senior-Professor und langjähriger Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg, bestätigt: HzV-Patienten würden „nachweislich“ intensiver und besser koordiniert versorgt. 

Als „Sahnehäubchen obendrauf“ bezeichnet der AOK-Vorstandschef ­Johannes Bauernfeind die Mitarbeit der Verah, denn „HzV-Praxen mit einer Verah schneiden sogar noch besser ab“. Mehr als 2.300 dieser weiterqualifizierten MFA sind inzwischen in Baden-Württemberg im Einsatz.  

„Als die Innovationsküche im Gesundheitswesen ist die HzV schneller und flexibler, was die Implementierung zukunftsfähiger Konzepte angeht“, sagt Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Hausärzteverbandes. Vor allem junge Kolleginnen und Kollegen würden lieber im Team arbeiten und wollten „nicht mehr 60 Stunden pro Woche in der Hausarztpraxis sitzen“. Sie achteten auf ihre Work-Life-Balance. „Dieses Konzept kann man momentan nur in der HzV verwirklichen“, meint die Verbandschefin.

300 Stipendien fürs Bachelor-Studium

In einer Teampraxis sollten neben Hausärzten, MFA und Verah noch weitere nicht-ärztliche Berufe mitmachen, etwa Physician Assistants und die akademisierte Verah. Den seit Oktober 2022 laufenden berufsbegleitenden Bachelor-Studiengang „Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement“ fördern die Vertragspartner ab Juli 2023 mit 300 Stipendien zu je 5.000 Euro. Für die Teampraxen werden zudem die Verah-Zuschläge auf die Chronikerziffer P3 von 5 auf 10 Euro erhöht. 

Im Fokus der HzV steht ebenfalls der Klimawandel, von dem vor allem ältere und chronisch kranke Menschen betroffen sind – also über 60 % der HzV-Teilnehmer. „Bei entsprechenden Angeboten, etwa in Form einer klimaresilienten Beratung oder der Schulung der Mitarbeitenden, erhalten HzV-Praxen ab diesem Jahr erstmals einen Hono­rarzuschlag“, betont Bauernfeind. Gemeint sind acht Euro pro Patient und Jahr auf die Chronikerziffer P3. 

Dr. Werner Baumgärtner, Vorsitzender von Medi Baden-Würt­temberg und Medi Geno Deutschland, der den HzV-Vertrag vor 15 Jahren verhandelt hat, wünscht sich „mehr Freiräume in den gesetzlichen Vorgaben“ und die „Förderung von Facharztverträgen“. 

Medical-Tribune-Bericht

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