Fakt oder Mythos Homöopathie: Was ist dran am Mythos von der harmlosen Naturmedizin?

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Anouschka Wasner

Homöopathie ist eines der Themen, die sich bestens dazu eignen, Familienfeiern und sogar Praxisteams zu sprengen. Homöopathie ist eines der Themen, die sich bestens dazu eignen, Familienfeiern und sogar Praxisteams zu sprengen. © emmi - stock.adobe.com

Homöopathie ist eines der Themen, die sich bestens dazu eignen, Familienfeiern und sogar Praxisteams zu sprengen. Dabei ist viel Nichtwissen im Umlauf. Was lässt sich auf verkürzte Aussagen antworten? Und folgt man selbst vielleicht auch unreflektiert gängigen Thesen?

Die einen schwören drauf, die anderen sind sprachlos angesichts auch kluger Menschen, die den kleinen Zuckerkügelchen wahre Wunderwirkung zusprechen. Aber selbst die kritischen Geister sagen meistens: Na, wirkt nicht - aber schadet ja auch nichts. Oder:  Wenn’s hilft, ist doch alles gut. Aber stimmt das so?

Wir lassen zu diesem Thema jemanden zu Wort kommen, dem man nicht nachsagen kann, es fehle ihm an Auseinandersetzung mit dem Thema: Dr. Janos Hegedüs ist begeisterter Debunker und die Überprüfung von medizinisch-wissenschaftlichen Aussagen auf ihre Evidenz ist seine Leidenschaft. Was antwortet er auf typische Argumente?

Fakt oder Mythos?
„Homöopathie ist Naturmedizin.“

Dr. Hegedüs: Homöopathie wird gerne mit „Naturmedizin“ und Pflanzenheilkunde verwechselt. Richtig ist: Ein homöopathisches Mittel lässt sich aus nahezu allem herstellen, was es gibt. Das kann eine Pflanze sein, der eigene Mutterkuchen, aber auch ein Stück Metall oder Schlangengift. Also auch Substanzen, die für uns hochgiftig sind. Nur weil etwas „natürlich“ ist, heißt das nicht, dass es gesund oder harmlos ist. 

Dabei ist es völlig müßig, zu diskutieren, ob homöopathische Präparate natürlich sind oder nicht: Die Präparate enthalten nicht ein einziges Molekül des Stoffes, dem sie ihre angebliche Wirkung verdanken. Es spielt also keine Rolle, was sich irgendwann einmal in der „Muttertinktur“ befunden hat – dank der quasi unendlichen Verdünnung ist davon im fertigen Präparat nichts übrig. Was bleibt, ist eine aus wissenschaftlicher Sicht völlig unhaltbare Behauptung: Die „Information“ des Ausgangsstoffs sei durch Verdünnung und Schütteln ins Wasser übergegangen und könne so die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren. Damit widerspricht die Homöopathie mehreren Naturgesetzen – das ist wohl die einzig relevante Verbindung zwischen Homöopathie und Natur.

Fakt oder Mythos?
„Die Patientinnen und Patienten wollen Homöopathie, weil sie gute Erfahrungen damit machen.“

Dr. Hegedüs: Patientinnen und Patienten möchten vor allem eines: ihre Beschwerden loswerden. Und die häufigsten Beschwerden sind Müdigkeit, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen und der immer wiederkehrende Schnupfen. All das ist unangenehm und es kommt und geht. Nimmt man dann ein homöopathisches Mittel ein, kann es sich so anfühlen, als würden die Beschwerden deswegen verschwinden. Kopfschmerzen? Man nimmt Globuli, trinkt ein großes Glas Wasser und nach einer Weile sind die Kopfschmerzen weg. Aber war es das Globuli oder das Wasser oder die Ruhepause? Die Patientinnen und Patienten machen gute Erfahrungen, weil sie gute Erfahrungen machen wollen. Sie wollen etwas tun! Doch sobald es um ernsthafte Erkrankungen geht, helfen weder Placebos noch Wunschdenken. Deshalb ist es wichtig, über Homöopathie ehrlich aufzuklären – und die Märchen über unsichtbare Energien und das „Gedächtnis des Wassers“ zu beenden. Es ist längst überfällig, die Apothekenpflicht für die wirkstofffreien Zuckerkügelchen abzuschaffen. Der unverdiente Status als „Arzneimittel“ ist für den Placebo-Effekt nicht relevant – er führt aber dazu, dass Menschen Hoffnung in die Homöopathie setzen, die sie nicht erfüllen kann. 

Warum eigentlich „Schulmedizin“?

Unter Schulmedizin versteht man heute eine Medizin, die auf wissenschaftlichen Prinzipien beruht und sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterentwickelt. Der Begriff „Schulmedizin“ stand bereits Ende des 19. Jhd. für wissenschaftliche Medizin, zunächst negativ konnotiert, seit der Jahrhundertwende weitgehend wertneutral. In der Zeit des Nationalsozialismus entstand der Kampfbegriff „verjudete Schulmedizin“. Dahinter stand u. a. die Absicht, naturheilkundliche Ansätze und Verfahren zu stärken, die „Selbstheilkräfte aktivieren“ sollten und so die biologische Selektion wirken zu lassen. Wissenschaftliche Medizin stand in direktem Widerspruch zum sozialdarwinistischen Teil der nationalsozialistischen Ideologie.  

Fakt oder Mythos? 
„Wer homöopathische Mittel nehmen will, soll das tun: Es schadet schließlich nicht.“

Dr. Hegedüs: Auf den ersten Blick mag das stimmen: Nimm doch die Kügelchen, vielleicht wirkt ja der Placeboeffekt. Aber Homöopathie öffnet auch die Tür zu esoterischem Irrglauben und kann in eine Welt von Verschwörungserzählungen, Lügen und Scharlatanen führen. Wer glaubt, dass Wasser heilende Informationen speichern kann, weil es zehnmal gegen ein ledergebundenes Buch geschlagen wurde, dem kann man möglicherweise auch Quantensteine oder Orgonitpyramiden verkaufen. Wer von „Feinstofflichkeit“ und „heilenden Energien“ überzeugt ist, hält eine Untersuchung mit dem Metatron Hunter vielleicht für völlig normal. Und wird ihm anschließend eine intravenöse Lasertherapie angeboten – warum nicht?

Homöopathie liefert eine absurde Welterklärung, die jeder Logik und wissenschaftlichen Erkenntnis widerspricht. Wer sich darauf einlässt, kann in eine alternativmedizinische Parallelwelt abgleiten. Seitdem ich genauer hinschaue, sehe ich, wie Homöopathie den Geist der Menschen vergiften kann und die Grundlage faktenbasierter Diskussionen in unserer Gesellschaft zerstört. Unsere gutmütige Ignoranz ist an dieser Stelle leider brandgefährlich.

Was ist dran?

Cola hilft bei Durchfall und mit den Gelenken knacken führt zu Arthritis – einige medizinische Mythen halten sich hartnäckig. Aber nicht nur auf Patientenseite, auch in den Einrichtungen und den Versorgungsstrukturen, in Praxen und Kliniken kursieren Über-zeugungen, die sich kaum auf Fakten gründen. Sie werden oft unüberlegt als Aufregerthema übernommen oder entstehen auf der Suche nach einfachen Lösungen.

In lockerer Folge wollen wir Expertinnen und Experten mit solchen Überzeugungen konfrontieren. Sie sollen für uns auf Aussagen reagieren, die verbreitet sind, aber deren wahren Kern – wenn sie denn einen haben – man suchen und differenziert betrachten muss. 

 Fakt oder Mythos? 
„Die Wirkung von Homöopathie ist nur noch nicht bewiesen, weil die Industrie nicht an Studien interessiert ist.“

Dr. Hegedüs: Homöopathie tarnt sich als eine vermeintlich noch nicht verstandene wissenschaftliche Methode. Wer das kritisiert – so wird suggeriert –, sei einfach nicht gebildet genug, um die Geheimnisse der feinstofflichen Welt und der modernen Quantenphysik zu verstehen. Medizinerinnen und Mediziner, die widersprechen, werden abgewertet als „Schulmediziner“, die nur Symptome bekämpfen. Demgegenüber steht der vermeintlich ganzheitlich arbeitende Homöopath

Die Homöopathie inszeniert sich als die bessere Medizin, als sanft, natürlich und frei von Nebenwirkungen. Dabei steht die Homöopathie für eine riesige, mächtige Industrie, die allein 2024 einen Umsatz von 779 Millionen Euro erwirtschaftete. Diese Industrie hat ein großes Interesse an Studien zur Homöopathie – deswegen produziert sie sie fleißig. Trotzdem ist es ihr nie gelungen, belastbare Beweise für eine Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus zu liefern. 

Die meisten der Studien sind voller methodischer Fehler und immer wieder werden Manipulationen aufgedeckt. Seriöse Studien zeigen: Es funktioniert nicht. Bis heute gibt es nicht einmal eine Erklärung dafür, wie Homöopathie überhaupt funktionieren könnte: Die behauptete Wirkweise der Homöopathie widerspricht allen fundamentalen Erkenntnissen der Naturwissenschaft.

Fakt oder Mythos? 
„Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker praktizieren eine sanfte, ganzheitliche Medizin, ‚Schulmediziner‘ eine nebenwirkungsreiche Medizin.“

Dr. Hegedüs: Diese Behauptung ist ein Klischee. Nicht wenige Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker setzen Methoden ein, die keine wissenschaftliche Grundlage haben und deren Wirksamkeit nicht belegt ist. In Diagnostik und Therapie kommen fragwürdige Gerätschaften, zweifelhafte Laboruntersuchungen und wirkungslose Präparate zum Einsatz.

Ja, medizinische Behandlungen können Nebenwirkungen haben. Aber sie haben auch eine nachgewiesene Wirkung. „Sanft“ bedeutet nicht automatisch „besser“ und schon gar nicht „nebenwirkungsfrei“. Und vor allen Dingen kann eine unwirksame Therapie, die eine wirksame Behandlung verzögert, Menschenleben kosten. Das ist wohl die schlimmste aller möglichen Nebenwirkungen dieser Therapien.

Fazit: 

Nicht nur der heilenden Wirkung, vor allem auch der Harmlosigkeit von homöopathischen Mitteln wird von unserem Experten in allen Punkten widersprochen. Durch Homöopathika verzögert begonnene Therapien sowie das irrationale Weltbild, für die die Mittel stehen, können in bestimmten Fällen bei den Patientinnen und Patienten sogar zu Beeinträchtigungen führen.

Quelle: Medical-Tribune-Recherche