„Mal wieder Zickenalarm!“ Was ist dran am Mythos, dass es in reinen Frauenteams immer Stress gibt?

Praxismanagement , Team Autor: Anouschka Wasner

Sind Konflikte in Frauenteams ein Mythos? Sind Konflikte in Frauenteams ein Mythos? © Daniel Ernst - stock.adobe.com

Sind Konflikte in Frauenteams ein Mythos? Eine Expertin analysiert, wie gesellschaftliche Vorurteile die Wahrnehmung prägen und was wirklich dahintersteckt.

Zickenkrieg im Praxisteam, Stutenbissigkeit im Klinikflur – weibliche Teams gelten oft als konfliktreich, emotional und intrigant. Eine Überzeugung, die gerne und immer wieder kolportiert wird, nicht nur am Stammtisch. Aber ist das wirklich so? Und wenn ja, warum? 

Rein weibliche Teams in der Medizin gibt es etliche. Gerade unter den MFA lassen sich nur selten männliche Fachkräfte finden und die Zahl der Ärztinnen nimmt im Vergleich zu den Ärzten immer weiter zu. Dabei ist der Blick auf Frauenteams gespalten: Einige Frauen schwören darauf, weil in weiblichen Gruppen die Beziehungen persönlicher und entspannter sind. Andere sind davon überzeugt, dass weibliche Teams mit schlechten Erfahrungen verbunden sind. Und unter Männern sind Sprüche zur Stutenbissigkeit sowieso ziemlich normal. Wenn aber so viele davon überzeugt sind: Bedeuten mehr Frauen etwa wirklich mehr Streit? 

Dr. Bettina Palazzo beschäftigt sich als Unternehmens- und Unternehmensethikberaterin seit den 1990ern mit den Themen Gender und Diversity. Sie weiß, dass heikle Themen wie Diskriminierung in allen Teams vorkommen – auch wenn sich die Betroffenen oft nicht trauen, darüber zu sprechen.

Fakt oder Mythos? 
„In rein weiblichen Praxisteams gibt es mehr Streit und Konkurrenz als in gemischten Teams.“

Dr. Palazzo: Konkurrenzverhalten ist natürlich kein geschlechtsspezifisches Phänomen. Der Mythos der streitsüchtigen Frauen ignoriert komplexe soziale Dynamiken: Konflikte entstehen, weil gesellschaftliche Strukturen Konkurrenz und verdeckte Machtkämpfe befördern – unabhängig vom Geschlecht. Rein weibliche Teams erscheinen oft konfliktreicher, da Frauen in patriarchalen Systemen um die wenigen Machtpositionen, die ihnen zugestanden werden, konkurrieren müssen. Grundsätzlich ist es ja eine gesunde Reaktion, wenn man sich dann als Frau nicht die Butter vom Brot nehmen lassen möchte – also muss man in Konkurrenz treten. Diese systemisch erzeugte Konkurrenz wird häufig unbewusst, manchmal aber sogar bewusst gefördert, um Frauen gegeneinander auszuspielen. 

Konflikte entstehen vor allem dort, wo Ressourcen wie Gehalt, Anerkennung oder Karrieremöglichkeiten knapp und ungleich verteilt sind – und nicht, weil es sich um weibliche Teams handelt. Zuätzlich werden Konkurrenzkämpfe zwischen Frauen gesellschaftlich negativ bewertet und als „Stutenbissigkeit“ diskreditiert – während Männer als Platzhirsche in Konkurrenzsituationen häufig als ehrgeizig und kompetitiv positiv wahrgenommen werden.

Fakt oder Mythos? 
„Frauen kämpfen mit verdecktem Visier, weil sie um jeden Preis nach Harmonie streben.“

Dr. Palazzo: Frauen kämpfen tatsächlich häufiger indirekt. Aber nicht nur aufgrund eines natürlichen Harmoniestrebens: Die indirekte Auseinandersetzung resultiert aus einem gesellschaftlichen Druck, der es Frauen schwer macht, Dominanz offen zu zeigen. Denn Frauen, die ihre Machtansprüche direkt äußern, werden oft negativ bewertet. Sie müssen ihre Konkurrenzstrategien also verdeckt austragen, auch über informelle Kommunikationskanäle. Diese indirekte Art wird oft als Hinterhältigkeit interpretiert. Dabei nutzen Männer ganz ähnliche Strategien – die werden aber positiv bewertet. 

Was ist dran?

Cola hilft bei Durchfall und mit den Gelenken knacken führt zu Arthritis – einige medizinische Mythen halten sich hartnäckig. Aber nicht nur auf Patientenseite, auch in den Einrichtungen und den Versorgungsstrukturen, in Praxen und Kliniken kursieren Über-zeugungen, die sich kaum auf Fakten gründen. Sie werden oft unüberlegt als Aufregerthema übernommen oder entstehen auf der Suche nach einfachen Lösungen.

In lockerer Folge wollen wir Expertinnen und Experten mit solchen Überzeugungen konfrontieren. Sie sollen für uns auf Aussagen reagieren, die verbreitet sind, aber deren wahren Kern – wenn er sich finden lässt – man differenziert betrachten muss. 

Fakt oder Mythos? 
„Frauen lassen sich von ihren Emotionen leiten, auch im Berufsleben, und sind deswegen anfälliger für Intrigen.“

Dr. Palazzo: Die Vorstellung, dass Frauen emotionaler und damit anfälliger für Intrigen seien, ist ein überholtes Stereotyp. Tatsächlich sind alle Menschen – Männer wie Frauen – emotional gesteuert. Emotionen beeinflussen jede Entscheidung und Handlung, bei beiden Geschlechtern. Frauen sind tendenziell emotional bewusster und haben oft komplexere emotionale Bedürfnisse – was sie allerdings nicht schwächer, sondern häufig sogar empathischer und sozial engagierter macht. 

Die Behauptung, dass Frauen besonders anfällig für Intrigen seien, entspringt einer verzerrten Wahrnehmung: Wenn Männer intrigieren, gelten sie als strategisch und klug, Frauen hingegen als hinterlistig und manipulativ. Dieser Unterschied ist eine Folge gesellschaftlicher Vorurteile und Widersprüche, nicht tatsächlichen Verhaltens.

Fakt oder Mythos? 
„Ein weibliches Team muss besonders geführt werden.“

Dr. Palazzo: Führung ist für alle Teams essenziell, unabhängig vom Geschlecht. Teams benötigen klare Strukturen, definierte Rollen und eine gerechte Verteilung von Aufgaben und Anerkennung. Die Behauptung, dass weibliche Teams „zickiger“ wären und besondere Führung bräuchten, lenkt oft nur davon ab, dass die Konflikte durch mangelhafte oder ungerechte Führung entstehen. Eine Führungskraft, egal ob männlich oder weiblich, muss ihre Rolle aktiv gestalten, um Gruppendynamiken zu moderieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem eine offene Kommunikation möglich ist. Konflikte entstehen, wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden oder nicht wertgeschätzt zu sein. Diese Dynamiken gelten für alle Teams gleichermaßen und sind kein spezifisch weibliches Problem.

Fakt oder Mythos? 
„Ein männlicher Chef kann ein weibliches Team besser führen als eine Chefin.“

Dr. Palazzo: Die Annahme, dass männliche Führungskräfte automatisch besser seien für ein weibliches Team, erinnert an den Vergleich aus der Tierwelt, dass Hühner immer einen Hahn brauchen. Man sollte meinen, über dieses tief verwurzelte Konzept sind wir hinaus. 

Das Problem ist ein anderes: Auch als Chefin befindet man sich immer in einem Double-Bind, da man für unpopuläre Entscheidungen als Frau härter abgeurteilt wird als als Mann. Auch das liegt an den gesellschaftlichen Vorurteilen, wonach Führung und Macht noch immer vorrangig männlich besetzt sind. Bei einem Mann kann man deswegen leichter akzeptieren, dass man Macht abgeben muss. „Das ist halt der Chef und der wird es schon wissen.“ Zeigen Frauen Stärke und Durchsetzungsvermögen, werden sie als unsympathisch oder herrisch wahrgenommen. Und zeigen sie sich verständnisvoll und kooperativ oder sagen gar „Hey, wir sind doch alle gleich“, gelten sie schnell als zu weich oder unfähig. Dieser Zwiespalt erschwert es ihnen, erfolgreich und akzeptiert zu führen. 

Das bedeutet natürlich nicht, dass männliche Führungskräfte besser wären. Entscheidend sind letztlich immer Kompetenz, Empathie und Klarheit in der Führung. Weibliche Chefs müssen jedoch sehr oft mehr Energie investieren, um als legitim und kompetent anerkannt zu werden.

Fazit: 

Konflikte hängen nicht von den Geschlechtern ab, sie entstehen durch mangelhafte und vor allem durch ungerechte Führung, wie unsere Expertin betont. Und der wahre Kern des Mythos vom Zickenkrieg? Frauen agieren öfter verdeckt als Männer, weil offenes Machtstreben bei ihnen negativ bewertet wird – während das gleiche Verhalten bei Männern als völlig normal gilt. 

Quelle: Medical-Tribune-Interview