IGeL-Leistungen Mehr Aufmerksamkeit gegen Aufpreis?
Personen, die Geld für IGeL ausgeben, werden laut Studie auch bei Routinen intensiver behandelt.
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Anekdotische Evidenz zu diesem Phänomen gibt es in jedem Bekanntenkreis: Wer bereitwillig für eine Untersuchung zahlt, die nicht im GKV-Leistungskatalog enthalten ist, wird in der Arztpraxis insgesamt schneller, aufmerksamer oder gründlicher behandelt. Und wer eine IGeL ablehnt, zieht auch in der regulären Behandlung den Kürzeren.
Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen des IGeL-Reports 2024: Demzufolge befürchten 24 % der Befragten, nach einer Ablehnung schlechter behandelt zu werden. Ebenso heißt es darin, dass bei 11 % eine Behandlung im Rahmen einer regulären Leistung vom Kauf der IGeL abhängig gemacht wurde. Abgesehen vom IGeL-Report gibt es bis dato allerdings keine belastbaren Belege für eine Ungleichbehandlung – geschweige denn eine erprobte Methode, um sie im regulären Praxisbetrieb sichtbar zu machen.
„Solche Effekte lassen sich wissenschaftlich nicht sauber isolieren. Wir wissen auch nicht, ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht“, gab Prof. Dr. Johanna Kokot zu bedenken. Die Expertin für Verhaltensökonomik von der Universität Hamburg erklärte: „Vielleicht lehnt jemand IGeL ab, weil er ohnehin gesünder ist und die Leistung nicht braucht und wird wegen seines guten Gesundheitszustands auch weniger intensiv behandelt?“ Gemeinsam mit anderen Forschenden am Hamburg Center for Health Economics (HCHE) untersuchte sie daher mit einem Online-Experiment, ob die Qualität einer regulären Leistung davon beeinflusst wird, dass Patientinnen und Patienten einer IGeL zustimmen oder nicht. Dafür simulierte das Team eine ärztliche Entscheidungssituation: 154 Medizinstudierende übernahmen die Rolle der Ärztinnen und Ärzte, ebenso viele Studierende anderer Fachrichtungen spielten die Patientenseite.
„Ärztliche“ Versuchsgruppe definierte Leistungsintensität
In einer Online-Sitzung von 90 Minuten entschieden die „Patientinnen und Patienten“ zunächst, ob sie eine angebotene Zusatzleistung kaufen oder ablehnen. Anschließend sollten die „Ärzte-Gruppen“ die Intensität einer Routineuntersuchung auf einer Skala von 0 bis 5 festlegen. Während die erste „ärztliche“ Gruppe über die Entscheidung der „Patientinnen und Patienten“ informiert war, wusste die zweite Gruppe nicht, ob die Personen einer IGeL zugestimmt hatten oder nicht.
| Die 10 häufigsten IGeL 2024 | ||
|---|---|---|
| IGeL | Hochrechnung Personen | Hochrechnung Umsatz in € |
| Ultraschall (transvaginal) der Gebärmutter und/oder der Eierstöcke | 3,3 Mio. | 143 Mio. |
| Augeninnendruckmessung mit oder ohne Augenspiegelung zur Glaukom-Früherkennung | 2,4 Mio. | 100 Mio. |
| Blutbild zur Gesundheitsvorsorge | 1,5 Mio. | 69 Mio. |
| Abstrich zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs (Dünnschichtzytologie) | 1,4 Mio. | 51 Mio. |
| PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs | 1,2 Mio. | 52 Mio. |
| Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung | 1,2 Mio. | 61 Mio. |
| Hautkrebsscreening außerhalb der Hautkrebsvorsorge der gesetzlichen Krankenversicherung, ggf. computergestützt | 0,9 Mio. | 65 Mio. |
| Vitamin-D-Messung zur Gesundheitsvorsorge | 0,6 Mio. | 18 Mio. |
| Osteopathie bei Schmerzen | 0,6 Mio. | 104 Mio. |
| reisemedizinische Impfungen | 0,4 Mio. | 59 Mio. |
Quelle: IGeL-Report 2024 | ||
Bei Ablehung der IGeL folgte signifikant weniger Leistung
Das Ergebnis: Wenn die „Ärztinnen und Ärzte“ wussten, dass jemand die Zusatzleistung abgelehnt hatte, fiel ihre Behandlungsleistung im Schnitt um 16 % geringer aus als in der Kontrollgruppe. Eine Belohnung für den Kauf ließ sich dagegen nicht nachweisen. Nur bei hochpreisigen Zusatzleistungen stieg die Behandlungsintensität leicht an – ein Hinweis darauf, dass hohe Preise den gefühlten Wert der Patientenentscheidung beeinflussen. „Wir sprechen nicht von bewusster Diskriminierung“, betonte Prof. Kokot. „Es scheint sich vielmehr um einen unbewussten psychologischen Effekt zu handeln.“
In einer Podiumsdiskussion fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Dr. Klaus Reinhardt, Allgemeinmediziner und Präsident der Bundesärztekammer, zeigte sich IGeL gegenüber generell kritisch: „Wenn etwas indiziert ist, ist es indiziert – unabhängig vom Kontostand. Das merkantile Verkaufen von Leistungen tut unserem Berufsstand nicht gut.“ Der Bundesärztekammer würden gelegentlich Fälle gemeldet, in denen Behandlungen nur nach Kauf einer IGeL angeboten würden. „Das ist zwar selten, aber ich finde es ganz schwierig, wenn eine normale Behandlung quasi erpresserisch nur bei Kauf einer IGeL erbracht wird.“
Zusatzleistungen als Wettbewerbsfaktor der Krankenkassen
In einer weiteren HCHE-Studie untersuchte Prof. Dr. Petra Steinorth, Expertin für Risikomanagement und Versicherung an der Universität Hamburg, welche Rolle Zusatzleistungen im Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen spielen. Demnach ist der Beitragssatz der maßgebliche Faktor für einen Krankenkassenwechsel. Aber auch die Qualität des Leistungsangebots spielt eine relevante Rolle. So wechseln Versicherte gern zu Krankenkassen mit Zusatzleistungen wie Bonusprogrammen oder Zuschüssen z. B. zu Osteopathie und alternativen Arzneimitteln. Besonders gesunde und jüngere Versicherte seien empfänglich für solche Anreize. „Preis- und Qualitätswettbewerb existieren nebeneinander“, erklärte Prof. Steinorth. „Doch der Preis dominiert klar.“
Dr. Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, bezeichnete die Untersuchung als „sehr spannend“. Leider säßen Patientinnen und Patienten in der IGeL-Situation immer am kürzeren Hebel: Die Aussage, mit einer bestimmten Zusatzleistung könne man ein Krankheitsbild besser beurteilen, setze sie unter Druck.
Der DAK-Chef sieht die Studienergebnisse auch als Warnung mit Blick auf die aktuelle Diskussion über einen GKV-Basistarif mit frei zubuchbaren Zusatzpaketen. Prof. Kokot stimmte ihm zu: „Die meisten Ärztinnen und Ärzte halten es bei IGeL zum Glück wie Sie, Herr Dr. Reinhardt. Wir haben zwar einen signifikanten Effekt gesehen, er war insgesamt aber gering.“ Doch sie sagte auch: „Wenn die Anreize größer werden, werden auch die Effekte größer.“
Quelle: Medical-Tribune-Bericht