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Ärztlich verordnete Osteopathie hat Zulauf

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Die Satzungsleis­tung Osteopathie erfreut sich bei gesetzlichen Krankenkassen und Patienten großer Beliebtheit. AOK, BKK und Ersatzkassen spendieren Behandlungszuschüsse von bis zu 360 Euro pro Jahr. Mögen Ärztefunktionäre über die Mittelverwendung meckern – die Scheine dafür stellen Ärzte aus.

Seit Mitte Mai 2012 bietet die „BKK vor Ort“ Osteopathie als Satzungsleistung an. Bis zum Jahresende nutzten 2051 Frauen und 925 Männer das Angebot. Wie die Kasse mitteilt, bilden die 41- bis 60-Jährigen die größte Nutzergruppe (42 %). Gut 14 % aller Behandelten waren höchstens zehn Jahre alt, einige nicht mal ein Jahr. Letzteres passt zu Diagnosen wie „Schreibaby“ oder „Saugverwirrung beim Säugling“.

Osteopathie: Kassen tragen 80 bis 90 % der Kosten je Behandlung

Das Spektrum der Behandlungsanlässe ist sehr weit, stellt die Bochumer BKK fest. Am häufigsten wurde bei Beschwerden an der Wirbelsäule, im muskulären Bereich und bei Migräne ostheopatisch behandelt. Die Techniker Krankenkasse (TK) gehört zu den Vorreitern, die die neuen Freiheiten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (§ 11 Abs. 6 SGB V) nutzen. Die Ersatzkasse äußert sich zufrieden: 2012 nahmen über 100 000 Versicherte die Satzungsleistung Osteopathie in Anspruch, um „den Abbau von Blockaden und die Wiederherstellung des Gleichgewichts aller Körpersysteme“ mittels spezieller Grifftechniken zu erfahren.


Über die Indikationen könne erst ab Mitte 2013, nach der Auswertung der Abrechnungsdaten, etwas gesagt werden, so die TK. Wie die BKK vor Ort, die AOK Plus oder die AOK Nordwest, bezahlt die TK für maximal sechs Sitzungen je Kalenderjahr und Versichertem höchstens 60 Euro pro Sitzung. Andere Kassen sind weniger spendabel. Die Eigenbeteiligung der Patienten beträgt 10 oder 20 %.

Schon über 30 Millionen Anspruchsberechtigte

Nach Angaben des Bundesverbandes Osteopathie erstatten gegenwärtig über 50 der rund 140 gesetzlichen Krankenkassen osteo­pathische Leistungen. Er schätzt die Zahl der anspruchsberechtigten Versicherten auf über 30 Millionen.  Osteopathie wird „oft in Anspruch genommen“, insbesondere von Patienten, die diese Leistung auch schon vorher gebraucht haben, berichtet Allgemeinarzt Dr. Gerd W. Zimmermann aus Hofheim im Taunus.


Die subjektiven Erfahrungen der Patienten seien durchweg positiv. Die Kassen knüpfen die Bezuschussung einer osteopathischen Behandlung daran, dass sie von einem Arzt veranlasst wurde. Dieser muss eine formlose Bescheinigung erstellen, die der Versicherte zusammen mit der Osteopathie-Rechnung für die Kostenerstattung einreicht. Auf der individuellen Bescheinigung genügen die Angabe der Dia­gnose und die Bestätigung des Arztes, dass aus seiner Sicht Osteopathie hier helfen kann, erläutert Dr. Zimmermann. „Das Attest muss privat liquidiert werden, je nach Umfang z.B. auf Basis der Nr. 70 GOÄ.“

Bescheinigung über Osteopathieempfehlung kostenfrei?

„Kosten für eine Bescheinigung fallen normalerweise nicht an, da der Versicherte ja bereits aufgrund seiner Beschwerden in ärztlicher Behandlung ist“, berichtet dagegen Hermann Bärenfänger von der TK-Pressestelle. Nur bei Wunschverordnungen müsse der Versicherte die Kosten für die Bescheinigung selbst tragen; deren Erstattung durch die TK sei nicht möglich. „In Einzelfällen haben Ärzte Bescheinigungen verweigert, da sie eine Notwendigkeit für eine Behandlung nicht gesehen haben“, antwortet Bärenfänger auf eine Anfrage von Medical Tribune. „Einfluss haben wir hierauf nicht, da das in die ‘Verordnungshoheit’ des Arztes fällt.“


Der Begriff des Osteopathen ist berufsrechtlich nicht geschützt und sagt nichts über die Qualifikation aus, warnt die AOK Plus ihre Versicherten. Sie rät ihnen, darauf zu achten, dass ein Osteopath eine mindestens vierjährige Ausbildung mit rund 1300 Unterrichtseinheiten absolviert hat. Die BKK Mobil Oil definiert auf ihrer Homepage: „Die Behandlung muss durch einen Arzt mit Zusatzqualifikation Osteopathie, einen qualifizierten Physio­therapeuten, einen Osteopathen oder Heilpraktiker, der die Mitgliedschaft oder die Berechtigung zur Mitgliedschaft in einem der unten aufgeführten Verbände nachweisen kann, erbracht werden.“
Es folgen 18 Links zu Osteopathie-Organisationen. Die AOK Plus und AOK Nordwest verlinken zu elf Gruppierungen, die TK zu 17.

Staat­liche Regelung der osteopathischen Tätigkeit und Ausbildung wird gefordert!

Die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten schlug Ende 2012 mit Blick auf die Anbietervielfalt Alarm: „Gesetzliche Krankenkassen gefährden Patientensicherheit!“ Sie forderte eine „einheitliche staat­liche Regelung der osteopathischen Tätigkeit und Ausbildung“. In einem an Krankenkassen, Gesundheitsministerien und -politiker verschickten Positionspapier sprechen sich der Bundesverband Osteo­pathie sowie weitere Osteopathieverbände dafür aus, dass osteo­pathische Leistungen nur dann anteilig erstattet werden sollten, wenn die Leistungserbringer über eine langjährige, qualifizierte osteo­pathische Ausbildung verfügen.

Uneinheitliche Ausbildung, unterschiedliche Qualität

Die Problematik der unterschiedlichen Ausbildungszeiten sei bekannt und werde bereits mit den betroffenen Verbänden thematisiert, „um hier ein einheitlich hohes Niveau der Behandlungsqualität sicherzustellen“, heißt es vonseiten der TK.

Harsche Kritik an alternativmedizinischen Satzungsleistungen – inklusive der Osteopathie – äußerte der Vorsitzende des Bayerischen Haus­ärzteverbandes, Dr. Dieter Geis, Ende 2012. Es sei „skandalös“, dass die Krankenkassen versuchten, Versicherte mit Außenseiter-Therapien anzulocken, zugleich aber schwer kranken Menschen Kuren, Therapien und Hilfsmittel verweigerten. Politik und Aufsichtsbehörden sollten gegen die Kostenübernahme fragwürdiger Leistungen zulasten der Solidargemeinschaft einschreiten. 

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