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Ärztliche Leistung soll neu bewertet werden

Gesundheitspolitik Autor: Antje Thiel

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Die Verwaltungsarbeit der Praxisinhaber, der sog. Overhead, fließt nur ungenügend in die Kalkulation der EBM-Leistungen ein. Die KBV will das ändern.

Für die Bewertung von Leistungen im EBM ist es wichtig zu wissen, wie viel ihrer Arbeitszeit Vertragsärzte für die ärztliche Tätigkeit aufwenden und wie viel für Managementaufgaben, den sog. Overhead einer Praxis. Der EBM geht von einem Produktivitätsfaktor der Ärzte von 87,5 % aus. Demnach stehen nur 12,5 % der Arbeitszeit für Overheadaufgaben zur Verfügung. Doch stimmt das noch? Die Firma Prime Networks erhob im Auftrag der KBV den aktuellen Overhead. Mit Geschäftsführer Dr. rer. soc. oec. Wolfgang Popp sprach MT-Mitarbeiterin Antje Thiel.

EBM bildet Verwaltungsaufgaben in Praxis schlecht ab

Was genau ist der „Overhead“ einer Praxis – reine Bürokratie?

Dr. Popp: Im niedergelassenen Arzt spiegelt sich wider, was im Krankenhaus auf vielen Schultern lastet. Er ist Chefarzt, Verwaltungsleiter und in der Eigentümerfunktion auch noch Träger des Ganzen. Er muss sich neben der medizinischen Behandlung seiner Patienten um viele andere, zum Teil sehr anspruchsvolle Aufgaben kümmern, die weit über die tägliche Schreibtischarbeit hin­ausreichen. Overhead hat nichts mit überflüssiger Bürokratie zu tun.


Wird das nicht bereits durch das Praxis-Panel des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZiPP) ausreichend erhoben?

Dr. Popp: Das ZiPP kann den Overhead nur unzureichend abbilden. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Hier geht es um Investitionen und Kosten der Praxis, also um monetäre Größen. Im ZiPP-Fragebogen wird die wöchentliche Arbeitszeit für das Praxismanagement pauschal mit einer Stundenzahl abgefragt. Da kamen zuletzt 4,5 Stunden heraus. Mit dieser Zahl kann man nicht argumentieren. Denn viele Overhead­aktivitäten fallen nicht täglich oder wöchentlich an. Denken Sie nur an Tagungen, Seminare, Quartalsabrechnungen und so weiter.

Zunehmende Regulierung erfordert mehr Zeit weg vom Patienten

Was war der konkrete Anlass für Ihre Overheaderhebung im Frühjahr 2015?

Dr. Popp: Im Zuge der Reform des EBM steht unter anderem die Neubewertung der ärztlichen Leistung (AL) auf der Agenda der Kassenärzt­lichen Bundesvereinigung. Die KBV will dabei nicht nur den kalkulatorischen Arztlohn aktualisieren, sondern auch die anderen Eckwerte in die Überprüfung einbeziehen. Angesichts der zunehmenden gesetzlichen Anforderungen und Managementaufgaben sind der Overhead und der Faktor der „Produktivität“ zwangsläufig zentrale Bestandteile. Daher wurde von uns ein Gutachten angefordert, das Zahlen und Fakten sprechen lässt.


Wo genau sehen Sie Probleme bei der Bewertung der ärztlichen Leistung im EBM?

Dr. Popp: In mangelnder Aktualität und Angemessenheit. Es gilt der Lohn, der vor fast einem Jahrzehnt üblich war. Das gibt es sonst nirgends. Der heutige Stundenlohn eines Arztes liegt mit 52 Euro zwischen dem einer Fachkraft am Bau und dem eines Fahrzeugmechanikers. Mit einer Annahme von 87,5 % Arbeitszeit für Patientenbetreuung kommt es zu einer neuen Form ärztlicher Selbstausbeutung. Mit dem EBM werden nur sechs Stunden für Overheadtätigkeiten vergütet. In der Realität liegt die Overheadbelastung der Ärzte aber im Schnitt bei 14 Stunden. Haus­ärzte und Internisten liegen mit 13 Stunden leicht unter, Operateure mit 16 Stunden etwas über dem Durchschnitt. Das ändert nichts an der Gesamtaussage: Die Praxis auf Vordermann zu bringen und auf hohem Qualitätsniveau zu halten, erfordert von allen Ärzten richtigen Sonderein­satz. Dieser darf durch offensichtliche Fehlannahmen bei der Leistungsbewertung nicht zur Privatsache des Praxisinhabers degradiert werden.

Ärzte sollen verwalten - trotz Ärztemangel

Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Erhebung gewonnen?

Dr. Popp: Unsere Hypothese hat sich bestätigt. Es gibt eine weit höhere Overheadbelastung bei Ärzten, als sie vom EBM berücksichtigt wird. Über alle Fachrichtungen hinweg liegt die Produktivität nur bei 73 %.


Was bedeutet das für Hausärzte und Internisten?

Dr. Popp: Erst einmal müssen diese Erkenntnisse in der Neubewertung der ärztlichen Leistung im EBM vollständig umgesetzt werden. Sonst tut sich gar nichts. Denn es steht außer Frage, dass Overheadleistungen unverzichtbar sind und angemessen erstattet werden müssen. Praxen und Ärzte sollten sich in Zeiten von Ärztemangel und Warteschlangen allerdings so organisieren, dass ihre Arbeitskraft direkt den Patienten zugutekommt. Eine gut geführte, intelligent organisierte Praxis mit einer auf mehreren Schultern verteilten Overheadlast und einer damit höchstmöglichen Leistungsfähigkeit und Effektivität gegenüber den Patienten ist das Optimum, dem sich Vertreter von Politik- und Kassenseite wohl kaum verschließen können.

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