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Alte Leute zur Abgabe des Führerscheins zwingen?

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Kutzsichtig, schwerhörig und Reaktionszeit in Stunden: Viele alte Menschen erfüllen die Anforderungen im Straßenverkehr nicht mehr. Trotzdem gibt kaum einer freiwillig den Führerschein ab.

Mit Stolz kann ich behaupten, ein wirklich fleißiges Praxisteam zu haben. Man sieht niemals jemanden einfach beim Nichtstun und selbst die Kaffeepausen scheinen mir manchmal bedenklich kurz zu sein.

Eines Vormittags aber standen drei Fachkräfte am Laborfenster und schüttelten mit den Köpfen. „Ist Ihnen etwas rausgefallen?“, fragte ich etwas missmutig, weil ich auf einen Urinbefund wartete. „Nein“, war die entschuldigende Antwort, „aber schauen Sie mal, wie Herr M. einparkt!“ Das tat ich dann. In eine Lücke, in der ein mittelmäßiger Fahrer lässig ein größeres Wohnmobil untergebracht hätte, rangierte er so ungeschickt, dass er dafür nicht nur zehn Minuten brauchte, sondern die benachbarten Autos teilweise massiv gefährdete.

„Das Parken fällt Ihnen ja nicht mehr so richtig leicht!“, sagte ich, als Herr M. später vor mir saß. „Das liegt daran, dass mein Nacken so steif ist“, erwiderte er. „Aber ich fahre noch richtig gut!“ Dabei schaute er mich herausfordernd an. „Dafür brauchen Sie aber auch regelmäßig einen verlässlichen Schulterblick“, widersprach ich ihm. „Außerdem befürchte ich, dass Ihre Reaktionsgeschwindigkeit auch nicht mehr die Allerbeste ist!“

So ein Fass darf man nur aufmachen, wenn das Wartezimmer nicht zu voll und die eigene Stimmungslage robust ist; beides war an diesem Tag der Fall und so ging ich wieder einmal in einen aussichtlosen Kampf. „Ich fahre ja nur noch in der Stadt!“, sagte Herr M. „Autobahn fahre ich gar nicht mehr.“ Das beruhigte mich nicht. „Gerade in der Stadt kann Ihnen mal schnell ein Kind vors Auto laufen oder können Sie beim Abbiegen einen Fahrradfahrer übersehen, der rechts hinter Ihnen kommt“, sagte ich streng. „Da brauchen sie eine schnelle Reaktion und einen funktionierenden Schulterblick“.

„Wieso? Es ist doch nie etwas passiert?“

Aber ich kannte schon die Antwort, die immer dieselbe war: „Bisher ist mir ja noch nichts passiert. Ich passe immer gut auf und ohne Auto komme ich ja nirgendwo mehr hin.“ Wieder einmal bedauerte ich, keine Beispielrechnung zur Hand zu haben: Wenn man einen Mittelklassewagen abschafft, spart man ja nicht nur Benzin, Versicherung und Steuer, sondern auch eine ganze Menge Geld, das der Wertverlust sonst kostet. In unserer Kleinstadt könnte man mit dem dadurch frei werdenen Budget für Taxifahrten lässig mehrfach die Woche auf bequeme Weise alle wichtigen Punkte ansteuern, ohne Zusatzausgaben fürchten zu müssen.

Aber diese Rechnung mache ich fast immer vergebens auf; es ist der Autonomieverlust, den meine Patienten fürchten, und das verstehe ich natürlich auch. „Bitte sagen sie meiner Mutter/meinem Vater, dass sie/er nicht mehr Auto fahren soll!“, wurde ich schon häufiger gebeten. Oft erfuhr ich erst durch diese Bitte, dass sich gebrechliche Greise und halbblinde Greisinnen immer noch ans Steuer wagten.

Fassungslos darüber, und gewiss mit klarer Sprache, habe ich den Betroffenen dann diese Bitte, nein, diese Forderung gestellt. Aber ich war kaum erfolgreich; ein Gespräch wie oben spielte sich mit nur minimalen Varianten ab. Ich wäre ein großer Freund davon, regelmäßige Überprüfungen der Fahrfähigkeit verpflichtend zu machen. Wenn es amtlich einfach nicht mehr gestattet wäre, würde manch einer doch vielleicht eher akzeptieren, dass das Führen eines Fahrzeuges nicht mehr verantwortungsbewusst wäre.

Ich hoffe aber auf das Selbstfahrerauto: Haut rein, Ihr Forscher!

So aber bleiben mir nur die Appelle: an den alten Herrn, der zum Entsetzen der Mitfahrer mit 190 km/h in eine Autobahn-Baustelle gerast war und erst kurz vor Ende seiner Spur zum Stoppen kam („Da waren keine Geschwindigkeitsbeschränkungen! Kein einziges Schild haben sie aufgestellt, und plötzlich war die Spur zu Ende!“). Ebenso wie an die alte Dame, die ihren großen Mercedes wie ein majestätisches Schiff mitten auf der Straße steuerte, so dass sich der Gegenverkehr halb in den Straßengraben oder auf den Bürgersteig retten musste („Wieso? Es ist doch nie etwas passiert?“).

Dann müsste ich auch nicht mehr diese unangenehmen Gespräche führen oder die kleinen Seitenhiebe ertragen wie „Seit Sie mir damals den Führerschein weggenommen haben, komme ich ja nirgendwo mehr hin“. Ich habe ihn gar nicht weggenommen, das darf ich ja gar nicht. Aber als mein Patient schließlich sagte: „Und wenn ich gegen einen Baum fahre, ist das auch egal, ich bin ja nun auch schon alt!“, konnte ich mir die folgende Antwort nicht verkneifen: „Aber Sie müssen ja nicht unbedingt ein paar Menschen in den Tod mitnehmen, die Ihnen zufällig im Wege sind.“ Den Führerschein hat er dann abgegeben, aber Freunde werden wir nicht mehr.

Ob ich einsichtiger bin, wenn ich alt bin? Ich habe da so meine Zweifel und jetzt schon etwas Mitleid mit meinen Kindern, die mich überzeugen müssen. Ich hoffe aber auf das Selbstfahrerauto: Haut rein, Ihr Forscher!

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