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Analyse der Techniker Kasse: besorgniserregende Zunahme bei Depression

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Stress im Job, das Handy immer griffbereit, kaum zur Ruhe kommen – immer öfter treibt das Menschen in Depressionen. Besonders gefährdet sind Altenpfleger und Erzieher. Ärzte, Unternehmensvorstände und Hochschullehrer trifft es seltener.

Der aktuelle TK-Depressionsatlas macht eine besorgniserregende Tendenz deutlich. Ein Fünftel der gesamten Job-Fehlzeiten geht mittlerweile auf seelische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Belas­tungsstörungen zurück. Nach Angaben von Studienleiter Dr. Thomas Grobe vom Göttinger AQUA-Institut stiegen die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen bei Versicherten der Techniker Krankenkasse (TK) von 2013 zu 2014 um 8 %, von 2006 bis 2014 sogar um 84 %.

Jährlich 31 Millionen Fehltage wegen seelischer Erkrankungen

Zwar liegt der Anteil der Versicherten mit den Diagnosen F32 und F33 bei nur 1,6 % aller arbeitsunfähig geschriebenen Erwerbspersonen, aber die Krankschreibung dauert im Vergleich zum Durchschnitt der AU-Fälle (13 Tage) erheblich länger: Rund 58 Tage sind es bei einer depressiven Episode, fast drei Monate bei einer rezidivierenden Depression.

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2013 kamen bei erwerbstätigen TK-Versicherten 4,3 Mio. Fehltage aufgrund depressiver Episoden und chronischer Depressionen zusammen. Hochgerechnet auf Deutschland, so TK-Chef Dr. Jens Baas bei der Vorstellung des Reports, entspricht dies 31 Mio. Fehltagen und Produktionsausfallkosten von etwa 4 bis 5 Mrd. Euro (bei 108 Euro täglich pro Erwerbsperson). Dies sei allerdings eine konservative Berechnung.

Das Risiko einer Depression ist je nach Berufsgruppe verschieden. Die höchsten Betroffenenraten gibt es bei Beschäftigten in Callcentern und Kundenhotlines. Hier waren 3,7 % der Berufsgruppe erkrankt. Auch die meisten AU-Fälle und -Tage entfallen auf diese Beschäftigten. Hohe Betroffenenraten verzeichnen zudem Alten- und Krankenpfleger, Kindererzieher, Sozialarbeiter und Berufe in der öffentlichen Verwaltung. Weniger betroffen mit einem Anteil von 0,7 % der Berufsgruppe sind Ärzte. In Berufen der Hochschullehre und -forschung liegt der Anteil sogar nur bei 0,55 %.

Zudem gibt es bei den Krankschreibungen noch immer ein Nord-Süd-Gefälle: Unterschreitungen der bundesweiten Betroffenenraten um rund 10 % und mehr lassen sich in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen beobachten. Überschreitungen um mehr als 10 % in Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin.

Bei den Antidepressiva-Verordnungen hat sich die Zahl der Tagesdosen fast verdreifacht – von 4,65 DDD pro Erwerbsperson und Jahr in 2000 auf 12,75 DDD in 2013.

Diagnosequalität macht dem TK-Chef „Bauchschmerzen“

Interessanterweise gibt es Regionen mit vergleichsweise niedrigen depressionsbedingten Fehlzeiten, die aber relativ hohe Verordnungsraten aufweisen, u.a. Rheinland-Pfalz. Auch wird im Osten weniger verordnet als im Westen. Regionale Unterschiede sind nach Ansicht von Dr. Baas durch unterschiedliche Lehrmeinungen an den Hochschulen verursacht. Die Unterschiede glichen sich aber zunehmend aus.

Der TK-Chef führt die Zunahme an Depressionsraten auf verschiedene Faktoren zurück, die eine „Mischung“ ergeben. Dazu gehören der Stress beruflich wie privat – das „Nicht-mehr-zur-Ruhe-Kommen“ –, die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz psychischer Störungen, aber auch eine gründlichere Diagnostik. „Vieles, was früher unter somatische Diagnosen verbucht wurde, wird heute als psychische Belastung identifiziert“, lobt Dr. Baas.

Allerdings werde hier gelegentlich auch überdiagnostiziert. Er verweist auf Studien, nach denen ein Drittel der Frauen im erwerbsfähigen Alter als psychisch krank gelten. Hier stelle sich die Frage, wo die Grenze zwischen gesund und krank zu ziehen sei. Vor allem die aus dem hausärztlichen Bereich kommenden F-Diagnosen sind laut Dr. Baas zu hinterfragen. Er habe bezüglich der Diagnosequalität „manchmal Bauchmerzen“.

Erste Daten für 2015 zeigen, dass sich der Trend steigender psychisch bedingter Fehlzeiten fortsetzt. „Hier sind Unternehmen, Beschäftigte und Krankenkassen gleichermaßen gefordert“, so der TK-Chef. Das Präventionsgesetz, nach dem Kassen zukünftig mehr für die Prävention ausgeben müssen, gehe in die richtige Richtung.

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