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Begegnungen im Hospiz: Lebenslust und Loslassen

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Bei seiner todkranken Schwester im Hospiz hat Dr. Robert Oberpeilsteiner viel Zeit verbracht und dabei erstaunliche Erfahrungen gemacht. Er hat Besinnlichkeit im japanischen Garten ebenso wie fröhliches Miteinander beim Sommerfest erlebt - und erkannt, wie wichtig selbst gekochte Marmelade ist.

Im Kreis unserer Lieben fühlen wir uns geborgen und verstanden, kurz, wir fühlen uns gut und sicher aufgehoben. So ist es nicht verwunderlich, dass – wie zu lesen ist – die meisten Deutschen Weihnachten ganz besinnlich mit ihren nächs­ten Angehörigen verbringen. Der Deutsche singt am liebsten daheim unter dem Christbaum und pfeift mehrheitlich auf, sagen wir mal, eine Kreuzfahrt in die Karibik. Denn kein Käptensdinner der Welt kann mit Bratäpfeln und Glühwein am eigenen Herd mithalten. Und Schwimm-
westen sind am Heiligen Abend ohnehin so was von unkommod.


Ich verbrachte diese Weihnachten bei meiner Schwester. Sie hat seit einigen Monaten ein neues Zuhause. Es ist einem Hotel nicht unähnlich. Sie bewohnt ein lichtdurchflutetes Zimmer mit Balkon.

"Meine Schwester hat jetzt ein neues Zuhause ..."

Vom Balkon fällt der Blick auf eine Art Atrium, von zwei Seiten umschlossen von flachen, einstöckigen Gebäuden, und an den beiden anderen Seiten von dichtbelaubten Bäumen, Buchen etwa. Im Innenhof sind Stechpalmen und Wacholder angepflanzt. Er ist wie ein japanischer Garten angelegt, mit einem mäandernden Weg, gepflastert mit roten Ziegeln, einem kleinen Teich mit Schilf bewachsen und bunten quaderförmigen Skulpturen, er erinnert auch ein bisschen an einen Kinderspielplatz. An Drähten hängen Glöckchen und glitzernde Metallstreifen. So kann man den Wind hören.


Wäre ihr Bett nicht eindeutig als Pflegebett erkennbar, mit Seitengitterschutz und Galgen (Das Ding sollte man umbenennen. Stellen Sie sich vor, sie liegen im Bett und die ganze Zeit schwebt über Ihnen der „Galgen“.) – man könnte sagen, ein normales Hotelzimmer in bester Lage.

"Jede Pflanze, jede Blume ist wichtig"

Doch ist es ein Zimmer in einem Hospiz. Einem Ort, zu dem uns Dantes Inferno einfällt? „Lasst alle Hoffnung fahren, wenn Ihr hier hereinkommt!“ Ein Ort also, der das Gegenteil von Urlaub, Hoffnung und Hotelaufenthalt ist. Es ist zweifelsohne ihr letztes Zimmer. Und der Blick auf den Innenhof, auf den Teich, den Garten ist der letzte Blick auf die Außenwelt. Daher ist der Garten so wichtig, sind die Glöckchen und Metallstreifen, jedes für sich so wichtig, ist jede Pflanze, jede Blume so wichtig. Es ist alles, was dem Bewohner hier drinnen von der Welt da draußen geblieben ist. Der Rest seiner Welt.


Ich war bereits mehrmals hier zu Besuch. Es gibt separate Zimmer für Angehörige, in denen diese kostenlos übernachten können. Es ist alles darauf ausgerichtet, dass die Bewohner – so heißen sie hier, nicht Patienten – möglichst viel und problemfrei mit ihren Angehörigen und anderen Bewohnern zusammen sein können. Es gibt einen Gemeinschaftsraum, in dem man sich, soweit es möglich ist, zum gemeinsamen Essen und Kaffee trifft. Daran schließt eine Küchenecke an.


Man spürt Gemeinsamkeit und – Lebenslust. Im Sommer, als die Temperaturen am Rhein es erlaubten, wurden Geburtstage mit Kaffee und Kuchen im Garten gefeiert. Betten, die rollbar sind, die Zusammenarbeit von Pflegepersonal und Angehörigen, gemeinsames Kuchenbacken machten dies möglich. Es gibt Ausstellungen im Haus, Vernissagen und – Weihnachten natürlich – besinnliche Feiern mit Lesungen, Singen und einem Kännchen Tee.

Bei einer dieser Feiern war ich anwesend. Ich musste mitsingen, da gab es kein Entkommen, es war die Normalität, mit der das Leben hier weiterlief, die mich verblüffte. Die Gespräche waren entspannt. Eine ältere Dame, die neben mir im Rollstuhl am Tisch saß, erklärte mir ernsthaft und ausführlichst, wie man am besten Marmelade einkocht. Es war ihr im Moment wichtig.

"Das ganze ist wie eine Senioren-WG"

Man spürte Gelassenheit. Keinen Krankenhausstress. Zwischenzeitlich wünschte eine Bewohnerin ins Zimmer zurückgefahren zu werden. Sogleich sprangen zwei Pflegekräfte auf und boten sich an. Freiwillige Hilfskräfte sind in den Tagesablauf mit integriert. Junge Leute, die frischen Wind und Lebendigkeit mitbringen. Das Ganze ist wie eine Senioren-WG mit Betreuung. Wären da nicht der Urinbeutel am Stuhl, die Sauerstoffsonde unter der Nase oder der Infusionsständer, angeschlossen an die PEG-Sonde.

Natürlich ist man als Besucher einer von draußen. Man kann ja jederzeit gehen. Im Gegensatz zu den Kranken. Aber auch als Besucher spürt man das Atmosphärische, den Geist der in diesem Haus herrscht. Es sind die kleinen Aufmerksamkeiten, die Selbstverständlichkeit in dieser geschlossenen, eigenen Welt.

"Bei all meinen Besuchen dachte ich nie an Sterbehilfe"

Es läuft alles mit einer Normalität ab, wie im wirklichen Leben, das es ja mehr ist, als mancher graue Alltag. Aber diese Normalität ist etwas anderes als Routine. Sie ist intensives, bewusstes Erleben. Auch beim Personal. Über allem aber Gelassenheit. Gelassenheit hat mit Loslassen zu tun. Loslassen zu können, fällt in dieser Atmosphäre leichter.

Eine Kolumne über Hospizarbeit – und kein Wort fällt über Sterbehilfe! Geht das? Bei all den Besuchen jedenfalls dachte ich nicht ein Mal daran. Und den Bewohnern war es wichtiger, über selbstgemachte Marmelade zu reden.

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