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Berlin: Ärzte fehlen in ärmeren Stadtteilen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Als „relativ historischen Moment“ bezeichnete Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja das Unterzeichnen der Vereinbarung über die neue Versorgungssteuerung von Ärzten. Sie berücksich­tigt neben einem Demografiefaktor auch regionale Besonderheiten.

Mit dem unterzeichneten „Letter of Intent“ wird die 2004 eingeführte Betrachtung Berlins als ein einziger Planungsbereich ersetzt durch eine Steuerung in den Grenzen der zwölf Verwaltungsbezirke. „Ziel ist eine langsame, aber nachhaltige gleichmäßigere Verteilung der Arztsitze über die Berliner Bezirke“, so Senator Czaja, der auch Vorsitzender des Gemeinsamen Landesgremiums ist.


Die kleinräumige Betrachtung ist dringend erforderlich, denn niedergelassene Ärzte gibt es in der Hauptstadt mehr als genug. Doch ist die Verteilung der Arztsitze auf die Bezirke unausgewogen.

Zahlen sollen zeigen: Je ärmer, desto kränker

Die Arztzahlen zum 1.1.2013 im Verhältnis zur Einwohnerzahl laut Zensus 2011 belegen die Disparitäten. So beträgt beispielsweise der Versorgungsgrad mit Frauenärzten im Nobelbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf 206,8 %, in Neukölln dagegen nur 58,3 %. Bei Hausärzten zeigt sich ein ähnliches Bild: Charlottenburg-Wilmersdorf ist mit 170,7 % hervorragend ausgestattet. In Neukölln, Treptow-Köpenick und Lichtenberg dagegen liegt der Versorgungsgrad knapp unter 100 Prozent.


Ein halbes Jahr lang berieten in einer Arbeitsgruppe des Gemeinsamen Landesgremiums Vertreter von Senat, KV und Krankenkassen sowie Patientenorganisationen Modelle und Varianten zur optimalen Verteilung der Arztsitze. Als Lösung gesehen wurde letztlich der Bezug auf Bezirksgrenzen sowie bei Haus- und Kinderärzten die Berücksichtigung des sog. Sozialindex I.


Dieser Index berücksichtigt unter anderem Arbeitslosigkeit nach SGB II, Berufsbildung, Armuts- und Einkommenslage, Zahl der Kinder unter sechs Jahren, einfache Wohnlage, aber auch Sterblichkeit und Lebenserwartung. Dem Sozialindex wurden schließlich Abrechnungsdaten der KV gegenübergestellt. Das Ergebnis sei „bezeichnend“, so Czaja. Es habe sich eine „enorme Korrelation zwischen Morbidität und Sozialstruktur gezeigt“. Die Erkrankungshäufigkeit sei umso höher, je schlechter die soziale Struktur im Kiez sei.


Im Ergebnis soll nun in neun Bezirken die Zahl der Hausarztsitze im Vergleich zum 1.1.2013 reduziert werden, in Charlottenburg-Wilmersdorf z.B. von 297 auf 174 und im Bezirk Mitte von 248 auf 195. Lediglich in Neukölln (+2 Sitze), Treptow-Köpenick (+6) und Lichtenberg (+4) bestehen zusätzliche Niederlassungschancen.


Geplant ist für alle Fachgruppen, dass Praxissitze aus Bezirken mit überdurchschnittlichem Versorgungsgrad nach ihrem Freiwerden schrittweise in Bezirke mit unterdurchschnittlichem Versorgungsgrad verlegt werden.

Unterzeichner setzen auf freiwillige Praxisumzüge

Dass 150 Ärzte jährlich ihre Praxis aufgeben, ist hierbei allerdings wenig hilfreich. Die Arztsitze sind aufgrund ihrer Einbindung in Praxisgemeinschaften und MVZ, aufgrund der Weitergabe an Angehörige oder wegen Jobsharingmodellen mit Übernahmeoption oft nicht zu verlagern. Lediglich sechs bis sieben Praxissitze lassen sich jährlich so in andere Bezirke verlegen.


Die Vertragsunterzeichner setzen deshalb auf Freiwilligkeit. Erfahrungsgemäß beantragen 60 bis 80 Ärzte pro Jahr einen Umzug in einen anderen Bezirk. Dass die Verlagerung „bergab“ erfolgt, wie Czaja es nennt, dafür ist der Zulassungsausschuss zuständig, für den die genannte Vereinbarung allerdings lediglich als Empfehlung gilt.


Dr. Uwe Kraffel, stellvertretender Vorsitzender der KV, zeigte sich nicht glücklich über die „etwas schwachen Formulierungen“ zum Vorgehen des Zulassungsausschusses. Aber ein Problem sieht er nicht. Die Mitglieder seien schließlich entweder in der Vertreterversammlung der KV oder Mitarbeiter der Krankenkassen in Berlin. Auch hätten die letzten Monate gezeigt, dass eine Umleitung von Umzügen „relativ gut“ machbar sei.


„Wir halten das gewählte Vorgehen für das richtige“, so Dr. Kraffel. Ob es ein erfolgreicher Weg sei, werde die Überprüfung vor den Sozialgerichten ergeben. Derzeit sind Verfahren anhängig, in denen Ärzte gegen den im Vorfeld des Vertrags verweigerten Umzug „bergauf“ geklagt hatten.


Gabriela Leyh, Leiterin der vdek-Landesvertretung Berlin/Brandenburg und Sprecherin der Kassenverbände in Berlin, lobte die Anwendung von Sozialindikatoren als sinnvolles Instrument für die Versorgungsplanung. Dies sei neu für die Krankenkassen. Sie zeigte sich ebenfalls zuversichtlich, dass die Umsteuerung gelingt.

Patientenbeauftragte hat weitere Wünsche

Grundsätzlich zufrieden scheint auch die Patientenbeauftragte für Berlin, Karin Stötzner, zu sein. Sie kritisiert jedoch, dass keine „weichen Faktoren“ zur ärztlichen Versorgung berücksichtigt wurden. Dazu nennt sie beispielsweise die faktische Verfügbarkeit von ärztlichen Kapazitäten oder Zugangsmöglichkeiten für behinderte Menschen.


Quelle: Pressekonferenz, Berlin, 2013

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