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Gesundheitswesen BMG setzt auf Partizipation und Begeisterung für die Datennutzung

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Dr. Susanne Ozegowski ist Leiterin der Abteilung für Digitalisierung und Innovation des BMG. Dr. Susanne Ozegowski ist Leiterin der Abteilung für Digitalisierung und Innovation des BMG. © Coloures-Pic – stock.adobe.com; Andreas Friese – BMG
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Dr. Susanne Ozegowski leitet seit April dieses Jahres die Abteilung für Digitalisierung und Innovation im Bundesministerium für Gesundheit. Braucht es einen Neustart bei E-Rezept und digitaler Patientenakte? Die BMG-Abteilungsleiterin spricht über neue Ziele, Strategien und Gesetze.

Ärger wegen der Telematik-Infrastruktur und den Konnektoren. Cyberangriffe auf Kliniken und IT-Anbieter im Gesundheitswesen. Das unsichere Online-Ident-Verfahren. Frau Dr. Ozegowski, ihr Arbeitsalltag beginnt häufig mit schlechten Nachrichten, nicht wahr? 

Dr. Ozegowski: Das sehe ich anders. An diesem Platz habe ich die Chance, die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu gestalten. Das ist jeden Tag eine tolle, spannende Aufgabe – und eine, bei der ich nicht alleine auf weiter Flur bin. In den Foren, die wir zur Digitalisierungsstrategie machen, nehme ich Begeisterung, aber auch den Bedarf wahr. Egal ob Ärzteschaft oder Industrie, alle sagen: „Bitte, lasst uns vorankommen!“ Es geht nicht, dass wir im Gesundheitswesen in der digitalen Steinzeit leben. Wir brauchen den Schub nach vorne. Das ist eine riesige Motivation und lässt einen auch darüber hinwegschauen, dass es ab und zu ein Thema gibt, bei dem man doch mal kurz stolpert.

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen hat einen Neustart bei der Digitalisierung gefordert. Weder die elektronische Patientenakte noch das elektronische Rezept funktionierten. Man müsse frisches Geld in die Hand nehmen und das Ganze neu aufsetzen.

Dr. Ozegowski: Den Begriff des Neustarts hat auch Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach beim Auftakt für die Digitalisierungsstrategie benutzt. Denn wir müssen uns gemeinsam darauf verständigen, wo wir hinwollen und wie wir dahin kommen. Die ePA ist hier ein Beispiel. Bei einer aktuellen Nutzerquote von 0,7 % sind wir weit weg von unserem Anspruch. So erfüllt die ePA von heute keinen Nutzen in der Versorgung. Wir müssen sie so aufsetzen, dass sie bei den Menschen ankommt.

Wie könnte das konkret aussehen? Laut Digitalstrategie der Bundesregierung sollen im Jahr 2025 mindestens 80 % der gesetzlich Versicherten eine ePA haben.

Dr. Ozegowski: In der Tat, das wollen wir erreichen. Und mit dem Koalitionsvertrag haben wir dafür einen Hebel in die Hand bekommen – die Opt-out-Lösung. Opt-out heißt: Nicht jeder Versicherte muss sich damit auseinandersetzen, wie man sich für die ePA registriert. Wer nicht widerspricht, bekommt eine ePA. Daneben ist sicherzustellen, dass die ePA nicht leer bleibt. Es muss die Möglichkeit geben, diese direkt zu befüllen und medizinische Daten einzusehen, damit die Akte ihren Nutzen in der Versorgung erfüllen kann.

Der Bundesgesundheitsminister hat ein Dutzend Gesetzesvorhaben für die nächsten zwölf Monaten angekündigt, auch zur Digitalisierung. Gehört hier das Opt-out für die ePA dazu? Und was sonst noch?

Dr. Ozegowski: Das Opt-out ist mit Sicherheit ein Bestandteil. Ein anderes Thema, an dem wir gerade arbeiten, ist das Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz. Datenschutz ist wichtig. Aber wir müssen auch Möglichkeiten schaffen, damit Gesundheitsdaten zum Nutzen der Patientinnen und Patienten für Forschungszwecke sowie unmittelbar für die Versorgung verwendbar sind. Es gilt also, Rechtssicherheit zu schaffen. Bei vielen Forschungsprojekten fällt es heute schwer, verbindlich zu planen, weil es viele Regelungen, aber auch Graubereiche gibt: Was darf man machen und was nicht? Das betrifft auch die Versorgung: Wer kann beispielsweise – basierend auf Gesundheitsdaten – aktiv auf Patientinnen und Patienten zugehen? Das ist heute nicht klar geregelt.

Außerdem spielt der geplante europäischen Gesundheitsdatenraum eine Rolle. Es gibt einen Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung, die voraussichtlich 2024 kommen wird. Mit dem Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz treffen wir auf nationaler Ebene Vorbereitungen für die Umsetzung.

Weitere Punkte für die Gesetzgebung werden sich aus der Digitalisierungsstrategie ergeben. Deswegen besprechen wir diese so ausführlich.

Warum macht das BMG diese Ideensammlung, deren Ergebnisse 2023 vorgelegt werden sollen? Es gibt die Digitalstrategie der Bundesregierung und die Baustellen sind doch alle bekannt.

Dr. Ozegowski: Die Digitalstrategie der Bundesregierung setzt die großen Ziele, auch für das Gesundheitswesen. Wir wollen mit den gesamten Akteuren eine gemeinsame Vision von der Digitalisierung des Gesundheitswesens schaffen. Natürlich kann das BMG Gesetze schreiben, Fristen setzen und Sanktionen androhen. Aber damit ist noch lange nicht sichergestellt, dass tatsächlich etwas draußen ankommt. Wir brauchen die Beteiligung und die Begeisterung der Akteure.

Inwieweit sind dabei medizinische Fachgesellschaften wie beispielsweise die DDG eingebunden?

Dr. Ozegowski: Jeder Akteur, der das möchte, kann sich beteiligen. Wir hatten beispielsweise im September eine Online-Befragung, mit der man uns Input geben konnte. Wir haben für die Auftaktveranstaltung und die Fachforen sehr breit eingeladen, sowohl Wissenschaft, Fachgesellschaften der Ärzteschaft als auch Kassenärztliche Vereinigungen und Berufsverbände.

Regelungsbedarf gab es auch bei Interoperabilität. Der Entwurf des Krankenhauspflege-Entlastungsgesetzes droht IT-Anbietern Bußgelder an, wenn sie ihre Systeme geschlossen halten. Sie müssen eine diskriminierungsfreie Nutzung von TI-Komponenten und -Diensten für die vertragsärztliche Versorgung ohne weitere Kosten zulassen. Zeigt das: Ohne rigide Maßnahmen lässt sich Interoperabilität nicht durchsetzen?

Dr. Ozegowski: Standardisierung ist eine Kernaufgabe von Regulierung und somit von Politik. Insofern ist das keine Besonderheit an dieser Stelle. Es geht darum, Wettbewerb zwischen den Praxisverwaltungssystemen und zwischen den vielen Komponenten, die es gibt, zu ermöglichen – auch um wettbewerbliche Preise zu bekommen. Genauso wichtig ist es, Produkte mit hoher Qualität und hoher Benutzerfreundlichkeit zu haben. Darum soll der Wettbewerb nicht nur auf dem Papier stehen. Damit Ärztinnen und Ärzte tatsächlich frei entscheiden können, welches PVS sie nutzen möchten, welchen KIM-Client und welchen Konnektor.

Wichtig ist in diesem Gesetz auch die Schnittstellenregelung für das E-Rezept. Sie erlaubt es beispielsweise Apotheken, eine App anzubieten, mit der man seine Medikamente besser managen und Interaktions-Checks vornehmen kann. In der jetzigen Startphase schauen wir sehr auf die E-Rezept-App der Gematik. Aber perspektivisch ist es das Ziel, – aufsetzend auf den Rezeptdaten – Mehrwertdienste für die Bürgerinnen und Bürger anzubieten. 

Und die E-Rezeptübertragung  per E-Mail – tut sich da noch etwas? Oder ist das kein Weg?

Dr. Ozegowski: Es gab einen PVS-Anbieter, der es ermöglichte, dass Praxen via PVS E-Mails mit den Token direkt an Apotheken schicken konnten. Das wurde von der Datenschutzbeauftragten in Schleswig-Holstein untersagt. Das Makelverbot besagt, dass ein Patient selber entscheidet, welcher Apotheke er sein E-Rezept übergibt. Davon unbenommen brauchen wir einfache Zugangswege zum E-Rezept. Mittlerweile liegt die Marktdurchdringung der elektronischen Gesundheitskarten mit NFC-Schnittstelle bei über 50 %. Wir verpflichten mit Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz die Krankenkassen dazu, ihre Versicherten intensiver über Bezug und Nutzung der PIN zu informieren.

Die letzte Frage: Haben Sie auch einen Tipp zum Stromsparen?

Dr. Ozegowski: (lacht) Schneller ins Machen kommen statt langwieriger Abstimmungsschleifen in Videokonferenzen und per Mails – auf allen Ebenen des Gesundheitssystems.

Das Gespräch fand online per Video-Schalte statt und wurde mithilfe eines Transkriptionsprogramms verschriftlicht. So viel Digitalisierung geht schon.

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