Facharzt-Termine Bürokratie-Falle für Hausärzte

Gesundheitspolitik Autor: Uwe Popert

Ab dem kommenden Jahr sind die Kassenärztlichen Vereinigungen laut GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) dazu verpflichtet, über sogenannte Terminservicestellen dafür zu sorgen, dass Patienten innerhalb von 4 Wochen einen Termin bei einem Spezialisten erhalten können. Klappt das nicht, kann der Patient stattdessen ein Krankenhaus aufsuchen. Dr. med. Uwe Popert, Allgemeinarzt in Kassel, befürchtet, dass Hausärzte damit eine Menge Ärger aufgehalst bekommen werden.

„Willkommen am Servicetelefon Terminvermittlung der KV XYZ. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir spezielle Wünsche nach Terminen oder Ärzten nicht immer erfüllen können. Eine Vermittlung kann nur erfolgen, wenn Sie eine gültige Überweisung und eine Codenummer der Dringlichkeitsstufe haben und mit der Erfassung personenbezogener Daten einverstanden sind. Ansonsten legen Sie bitte jetzt auf.“



So oder ähnlich wird ab 21. Januar 2016 die Bandansage der Termin-Callcenter aller KVen lauten. In der KV Sachsen gibt es mit einem – freiwilligen und von den Kassen geförderten – System bereits einige Erfahrungen. Die Auswertung der ersten 5 Monate zeigte:

  • Etwa ein Viertel der Anrufe erfolgt außerhalb der Dienstzeiten,
  • etwa ein Viertel ruft zwar während der Dienstzeiten an, bricht das Telefonat aber während der Bandansage ab,
  • ein weiteres Viertel spricht zwar mit einem Callcenter-Mitarbeiter, hat aber keinen Terminwunsch,
  • von dem verbliebenen Viertel kann etwa die Hälfte innerhalb von 4 Wochen einen Termin vermittelt bekommen.

In Sachsen waren je Vermittlung durchschnittlich etwa 42 Minuten Arbeitszeit eines Callcenter-Mitarbeiters erforderlich. Das ist natürlich zu viel und damit für die zukünftige Vermittlungsarbeit von Millionen von Arztterminen pro Jahr viel zu teuer. Von der KBV-eigenen Telematik wird deswegen derzeit eine Online-Datenbank erarbeitet, die eine automatisierte Vermittlung nach Postleitzahlen, Arztgruppen und Dringlichkeitsstufen ermöglicht. Zusätzliche regionale Callcenter werden dann die Anfragen der Nicht-Internet-Kundigen bearbeiten. Zur Vereinfachung der Vermittlungstätigkeit werden vermutlich die KVen dazu übergehen, von den Praxen feste Terminkontingente einzufordern. Damit ist dann der Spezialisten-Part relativ einfach erledigt – zusätzliche Termine oder gar eine Verringerung der Über-, Unter- und Fehlversorgung wird es dadurch nicht geben. Diese wird vom Gesetzgeber aber auch gar nicht gefordert.

Was kommt auf die Hausärzte zu?

In Zukunft werden Hausärzte voraussichtlich bei notwendig erscheinender Mitbehandlung durch Spezialisten erst einmal überprüfen sollen, ob die Verdachtsdiagnose auf einer Liste von Dringlichkeitsbegründungen steht. Diese Liste soll vom G-BA erstellt werden. Ob die Zeit ausreicht, um zum 1. Quartal 2016 eine Unterstützung durch die jeweilige Praxis-Software leisten zu können, darf bezweifelt werden.

Als Nächstes ist dem Patienten dann neben der Ausfertigung einer Überweisung noch eine einmalige Dringlichkeits-Codenummer auszuhändigen. Es ist derzeit tatsächlich in der Diskussion, diese Nummer patientenindividuell einzeln über KV-Safenet anfordern zu lassen. Diese Nummer soll Voraussetzung für die weitere Bearbeitung der Terminwünsche sein.

Selbstverständlich soll die Hausarztpraxis den Patienten auch noch eine Menge von Erläuterungen zum neuen Verfahren der Terminservicestellen geben. Gerade ältere und multimorbide Patienten werden durch die Hausarztpraxis auch noch die Erledigung der für sie nicht überschaubaren Termin-Organisation einfordern.

Weitere Folgen der Terminservicestellen lassen sich derzeit schwer abschätzen, denn die Ausführungsbestimmungen des VSG müssen noch von den Partnern der Bundesmantelverträge verhandelt und festgelegt werden. So z. B. die Art der Diagnosenliste und die Abgrenzung der unterschiedlichen Dringlichkeitsstufen. Laut Gesetz sollen die Terminservicestellen zwar innerhalb einer Woche Facharzttermine innerhalb der nächsten 4 Wochen vermitteln. Allerdings sollen verschiebbare Routineuntersuchungen und Bagatellerkrankungen nur in „angemessener Zeit“ vermittelt werden. Nach Auffassung der Regierung ist für die Unterscheidung maßgeblich, welche Indikation besteht und wie groß die Gefahr ist, dass sich der Zustand des Patienten verschlechtert oder eine längere Verzögerung zu einer Beeinträchtigung des Behandlungserfolgs führt. Damit landet nicht nur die Erklärungs- und Organisationsarbeit, sondern auch das Haftungsrisiko bei den Überweisern, also in über 80 % bei den Hausärzten.

Internationale Richtwerte sind weder vorhanden noch hilfreich. Deutschland hat ja bereits die kürzesten Wartezeiten (vgl. Abbildung) und die vergleichbaren Terminservicestellen existieren nur in Ländern mit gut strukturierten Primärarztsystemen – in Norwegen vermitteln die Servicestellen mit einer Frist von 96 Tagen, in Schweden sind es 72 Tage.



Für Hausärzte gibt es ab dem 21. Januar 2016 bei Überweisungen dann mehrere Optionen:

  • Möglichst präzise Trennung der Patienten in Bagatellfälle, Routinefälle, normale und dringliche Indikationen, Vergabe differenzierter Codenummern an Patienten und entsprechende Diskussionen darüber, was dringlich oder weniger dringlich ist.
  • Generelle Einstufung als „dringlich“, um sich keinem Haftungs- und Diskussionsrisiko auszusetzen.
  • Verweigerung unter Hinweis auf Zeitnot und die Priorität der Versorgung Kranker.

In allen Varianten wird die Vermittlung wirklich dringlicher Fälle wohl besser – wie bisher – direkt mit den Spezialisten-Praxen erfolgen.

Hausärztliche Fallzahlen steigen

Dazu kommt noch der weiter zunehmende Zeitmangel in hausärztlichen Praxen, denn laut KBV-Statistik erfolgten 2014 in Deutschland nur noch 35 % der Spezialisten-Kontakte mit Überweisung. In Zukunft werden aber freie Spezialisten-Termine noch rarer, denn es müssen ja Kontingente für die Terminservicestellen freigehalten werden. Deswegen werden anspruchsvolle Patienten gerne wieder zu Hausärzten gehen und so hausärztliche Fallzahlen weiter in die Höhe treiben. Das alles wird natürlich ohne Vergrößerung des hausärztlichen Budgets passieren. Und natürlich mit der Folge einer weiteren Verkürzung der Patienten-Kontaktzeiten. Bereits jetzt müssen ja deutsche Hausärzte schon etwa doppelt so schnell arbeiten wie im Durchschnitt anderer Industrieländer, unter anderem weil nur noch weniger als 15 % der deutschen Ärzte in der Primärversorgung tätig sind.

Diese Folgen und die Mehrkosten für die Praxen wurden bisher weder vom Gesetzgeber noch im Sachsen-Modell berücksichtigt. Es ist deshalb zu befürchten, dass die Organisation der Terminservicestellen nur die Sparbedürfnisse der KVen, nicht aber die Tätigkeiten der Praxisteams berücksichtigt. Diese Zusatzbelastungen müssen aber unbedingt erfasst werden, weil sonst ein unvollständiges – geschöntes – Bild der Folgen dieses Gesetzes entsteht.

Fazit

  • Die Terminservicegarantie wird zu einer erheblichen Mehrbelastung vor allem der hausärztlichen Praxen führen.
  • Deswegen ist es wichtig, mit der Einführung der Terminservicestellen eine umfassende Versorgungsforschung zu etablieren, nicht nur in den Callcentern, sondern vor allem auch in den Praxen.
  • Gerade bei der Einführung des Terminservicesystems ab Januar 2016 in einem typischen „Grippequartal“ ist absehbar, dass die Patientenversorgung Vorrang haben muss vor Wahlgeschenken der Politik oder Überbürokratisierung durch die KBV.
  • Das Ausmaß der bisher hierbei geplanten Überbürokratisierung seitens der Spezialisten-dominierten Kassenärztlichen Bundesvereinigung lässt vermuten, dass man ganz gezielt die Hausärzte überlasten und als Prügelknaben vorführen will.
  • Die Patienten müssen darüber informiert werden, dass nicht objektive Versorgungsprobleme, sondern billige Politiker-Wahlversprechen und bewusste Überbürokratisierung die Ursachen dieser Fehlentwicklungen sind.
Facharzt für Allgemeinmedizin
34119 Kassel

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (17) Seite 34-38
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Terminservicestellen: das Gesetz im Wortlaut
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