Grundversorgende Spezialisten? Das bisschen Hausarzt macht sich nicht von allein!

"Die Überlegungen der KBV, dass hausärztliche Aufgaben auch von hierfür nicht weitergebildeten Gebietsfachärzten quasi nebenbei übernommen werden können, gehen an der Realität vorbei und ignorieren schlichtweg die spezifischen Kompetenzen von uns Hausärzten." Gleich zu Beginn seiner Rede an die in Freiburg versammelten Delegierten nahm Ulrich Weigeldt, der Vorsitzende des DHÄV, die KBV aufs Korn. "Wir Hausärzte lösen weit über 80 % der Beschwerden unserer Patienten aus den unterschiedlichsten medizinischen Fachgebieten in unseren Praxen abschließend – häufig sogar mehrere bei einem einzigen Besuch. Das können nur wir Hausärzte leisten, denn wir sind die Einzigen, die hierfür weitergebildet wurden", stärkte Weigeldt den Kollegen den Rücken. Wenn man die Patientensteuerung an die Gebietsfachärzte delegieren wolle, so würde das eher zu einer weiteren Zunahme der ohnehin schon sehr hohen Zahl an Arzt-Patienten-Kontakten und der Krankenhauseinweisungen führen. Ein solches Modell wäre ein schwerer Schlag für die Qualität der Patientenversorgung in Deutschland, warnte der DHÄV-Chef.
Von "cash cows" und "poor dogs"
Dass der Bedarf an hausärztlicher Versorgung eher zunimmt und die Anzahl der Hausärzte tendenziell eher stagniert, während gleichzeitig die Zahl der verschiedenen Gebietsärzte ungebrochen zunimmt, habe die KBV in den letzten Jahrzehnten wenig berührt, beklagte Weigeldt weiter. So hätten alle Maßnahmen, um den Hausarztpraxen das Notwendigste zukommen zu lassen, vom Gesetzgeber angewiesen werden müssen. Dazu zählen die hausärztliche Grundvergütung, die Honorar-
trennung oder die erst kürzlich errungene Parität in der Vertreterversammlung der KBV.
Schon immer habe das vornehmliche Interesse der KBV-Verantwortlichen mehr der spezialistischen Versorgungsebene gegolten. Deren Honorarumsatz betrage ungefähr das Doppelte des hausärztlichen, weshalb man in der KBV auch gerne von der "cash cow" und den "poor dogs" spreche. Mit Letzterem seien natürlich die Hausärzte gemeint.
Die KBV kann es nicht
Die KBV offenbare zunehmend ihr Unvermögen, die hausärztliche Versorgung sicherzustellen, so Weigeldt, und man müsse sich deshalb die Frage stellen, ob das Kollektivsystem noch zeitgemäß ist. Auch die Politik mache sich darüber bereits Gedanken.
Mit den Plänen der KBV zur zukünftigen Patientensteuerung würde nicht nur die klare Strukturierung des § 73 SGB V in eine hausärztliche und eine fachärztliche Versorgung ausgehöhlt. Tatsächlich komme dies auch einer kompletten Entwertung der hausärztlichen Kompetenz gleich nach dem Motto "das bisschen Hausarzt macht sich von allein …". Zur dringend notwendigen Steigerung der Attraktivität des Hausarztberufs trage eine solche Strategie jedenfalls sicherlich nicht bei, vielmehr werde der Nachwuchsmangel eher noch verschärft. Zudem verstärke dieses Programm in vollkommen rückschrittlicher Weise eine rein krankheitsorientierte Sicht. Diese sei der Hausarztmedizin fremd, da sie sich auf den Patienten fokussiere.
Selektivverträge ausbauen
Vor diesem Hintergrund ist der Hausärzte-Chef froh, dass mit der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) eine eigene Vertragsstruktur geschaffen wurde mit einem für Hausärzte und Versicherte freiwilligen Primärarztsystem. Knapp 6 Millionen Menschen in Deutschland seien von diesem Konzept bereits überzeugt, und man erfahre mehr und mehr Zuspruch auch vonseiten derjenigen, die die HzV lange bekämpft hatten. So lockere sich die Blockadehaltung bei etlichen Krankenkassen doch deutlich. Und selbst die KBV spreche mittlerweile von einem geordneten Nebeneinander von Kollektivsystem und Selektivverträgen.
Dieses System von Selektivverträgen will der Hausärzteverband über die hausärztliche Versorgungsebene hinaus erweitern. Mit der Pro Versorgung habe man eine Struktur geschaffen, die gemeinsam mit gebietsärztlichen Facharztverbänden Versorgungspfade vom Hausarzt in die fachärztliche Versorgungsebene einschließlich des Krankenhaus ermögliche. Knapp 10 solcher Versorgungslandschaften seien inzwischen konzipiert und könnten bald mit Krankenkassen ins Laufen gebracht werden.
Darüber hinaus beobachte man mit Freude und Stolz, so Weigeldt, dass viele Facharztverbände bis hin zu deren Spitzenverband mit dem DHÄV kooperieren wollen, weil sie das Vertragskonzept des Hausärzteverbands mit eigenständiger Organisation und Umsetzung – unabhängig von den Körperschaften – für zukunftsweisend halten und es gerne kopieren würden. Denn allen sei klar, dass die Selbstverwaltung bei der Frage der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Spezialisten kaum einen Schritt vorwärts gekommen sei.
Neues Projekt: Hausarztzentren
Zum Ende seiner Rede warf Weigeldt noch einen Blick auf ein Projekt des Hausärzteverbands, das demnächst in Angriff genommen werden soll: die sog. Hausarztzentren. Dies soll ein neues Modell für die Zusammenarbeit von Hausärzten werden. Man habe im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ja bereits durchgesetzt, dass Medizinische Versorgungszentren (MVZ) künftig auch fachgleich betrieben werden können. Dieses Konzept der Hausarzt-MVZ wolle man nun mit Hochdruck ausbauen und mit Leben füllen. Konkret soll dies so aussehen, dass Hausärzte, die in ihrer eigenen Praxis arbeiten, aber gerne noch einmal etwas Neues beginnen wollen, ihren Sitz zu vernünftigen Konditionen an ein solches Hausarztzentrum übertragen können. Dies sei gerade gegen Ende der Berufstätigkeit für viele eine spannende Perspektive, meinte Weigeldt. Die Betreffenden könnten dann, je nach Gusto, voll oder mit reduzierter Arbeitszeit ihre Patienten weiter betreuen. Gleichzeitig könnten jüngere Kollegen als Angestellte in einem solchen Hausarztzentrum arbeiten und gegebenenfalls ihre Weiterbildung absolvieren. Daraus ergebe sich eine klassische Win-win-Situation, denn ältere Praxisinhaber müssten ihre Tätigkeit nicht von heute auf morgen komplett einstellen, sondern könnten den Beruf langsam ausklingen lassen. Junge würden von der Erfahrung der Älteren profitieren und könnten sich weiterentwickeln und eventuell später Partner werden. Darüber hinaus wolle man die umliegenden Hausärzte kommunikativ einbinden und wirtschaftlich beteiligen, so Weigeldt, so dass keine Wettbewerbssituation entstehen könne. Dieses Konzept sei bereits vollständig ausgearbeitet und werde demnächst erprobt. Wenn es gelinge, dieses Projekt mit kooperierenden Krankenhäusern durch funktionierende Weiterbildungsverbünde zu ergänzen, sieht Weigeldt gute Chancen, den zunehmenden Hausärztebedarf decken zu können.
Richtig attraktiv werde das Konzept in Kombination mit der HzV. Denn dann fielen die im Kollektivvertrag für MVZ bestehenden Behinderungen nicht mehr so stark ins Gewicht. Klar sei, dass man dafür aber weiterhin und überall für Vollversorgungsverträge auf Basis der HzV sorgen müsse. Auf diese Weise werde man sich weiter vom ungeliebten Kollektivsystem lösen können.
Dr. Ingolf Dürr
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (9) Seite 32-34
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.