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Das sind die wahren „Väter“ des Ärztemangels

Autor: Dr. Günter Gerhardt

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Der Grund für den Ärztemangel scheint schnell gefunden - doch so einfach ist das nicht, meint MT-Kolumnist Dr. Günter Gerhardt.

Die Zahl der Medizinstudierenden wächst beständig. Trotzdem haben wir vor allem im ländlichen Raum zu wenige Kolleginnen und Kollegen, die den Weg in die (hausärztliche) Niederlassung anstreben. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Mehr als 70 % der Medizinstudierenden sind Frauen. Und Frauen wollen nach dem Studium und der Weiterbildung Mütter werden und können deshalb ihren Beruf nicht ausüben. Doch so einfach ist das nicht.


Ich führe seit Jahren Gespräche mit angehenden Kolleginnen und Kollegen, mit Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus und in der Praxis, mit Politikern und mit Vertretern von Krankenkassen. Natürlich spielen dabei Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Kita und Schulen eine Rolle. Gerade Politiker scheinen die Ursache des Ärztemangels zu kennen und sie wissen auch, wie man ihn behebt. Doch sie machen die Rechnung ohne den Wirt, sprich unseren Nachwuchs. Der weiß ganz genau und zwar dezidiert teilweise schon in den vorklinischen Semestern, was er will und was eben nicht.


Manche  Antworten rufen bei mir allergrößtes Erstaunen hervor, so z.B. mit welcher Kenntnis über Gesundheitspolitik hier argumentiert wird. „Solange ich für meine Verordnungen in der Praxis hafte, werde ich nicht in einer Praxis arbeiten!“ Dieser Satz, also die Budgetierung, führt derzeit die Hitparade der Argumente pro und kontra Niederlassung an.

»Abfällige Aussagen von "Experten" schrecken ab«

Neuerdings folgt von Medizinstudierenden noch ein erstaunlicher Zusatz: „… und wenn es ein AMNOG nicht schafft hier Verordnungssicherheit zu schaffen, dann kommt eine Niederlassung nicht oder allenfalls in einem Bundesland infrage, in dem die KV gegenüber ihren Mitgliedern eindeutig erklärt, dass ein Arzneimittel dann nicht mehr als unwirtschaftlich gilt und kein Regress mehr droht, wenn (wie im AMNOG niedergeschrieben) die Arzneimittelhersteller mit den Krankenkassen einen Preis vereinbart haben. Wenn Ihre KV, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich hier in Schweigen hüllt oder wie in Bay­ern mit einem „ja, aber…“ antwortet, dann sollten Sie sich wehren.


Die Frage nach dem geregelten Vertretungsdienst nachts und an Wochenenden wird mittlerweile, nachdem das jetzt flächendeckend geregelt ist, mit einem Zusatz versehen, nämlich zu welchem Preis. Hier hat es sich herumgesprochen, dass in manchen KVen ein nicht zu stemmender Preis von mehreren Tausend Euro pro Arzt und Jahr zu zahlen ist, der zudem nicht schlüssig erklärt werden kann, sodass eine Niederlassung auch deshalb nicht infrage kommt. Gegen die hohen Kosten sollten wir uns wehren.


Was vielen jungen Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus die Niederlassung zu vergällen scheint, sind abfällige Aussagen von sogenannten hochkarätigen Experten im Rahmen von Vorträgen über die Tätigkeit und das Fachwissen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. Die gleichen Experten beantworten dann aber Fragen z.B. nach dem Kreatinin oder der Verträglichkeit des Wirkstoffes bei MS Patienten mit dem Hinweis, hier ein nephrologisches oder neurologisches Konsil einholen zu müssen. Überflüssig zu erwähnen, dass wir uns auch hier positionieren müssen z.B. gegenüber der pharmazeutischen Industrie, die uns ja noch in den Praxen besucht, solche Experten bitte schön nicht mehr als Referenten zu verpflichten.

»Gegen hohe Kosten für Notdienste Wehren«

Eine letzte Aussage, warum sich vor allem Kolleginnen auf dem Land eine Niederlassung nicht vorstellen können, hat mich überrascht, aber nicht verwundert, weil sie korrekt ist: Über Praxen, Ärzte, Verschreibungsverhalten und vor allen Dingen Wartezeiten wird, von den Medien kräftig angeheizt, heftig in der Bevölkerung gemeckert. Das kriegen schon Studenten im Verlauf eines Praktikums mit.


Auf dem Land vermischen sich Berufs- und Privatleben des Arztes deutlich stärker als in der anonymeren Großstadt. Jeder kennt die Frau Doktor oder den Herrn Doktor eben. Man trifft sich beim  Bäcker, Metzger, im Kindergarten und muss sich dort anhören, was über sie so alles erzählt wird. Viele können sich diese Rituale nicht ein Leben lang vorstellen und ziehen deshalb zum Beispiel ein MVZ in einer Stadt der Landpraxis vor.


Fazit: Der Ärztemangel hat „Väter“, an die bislang niemand gedacht hat. Um sie zu erkennen, muss  man diejenigen befragen, die zukünftig die Versorgung sicherstellen sollen und dementsprechend handeln.

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