Praxiskolumne Diagnose und Therapie auf Bestellung

Kolumnen Autor: Franziska Hegedüs

Gatekeeperfunktion für Hausärztinnen und Hausärzten um passende Überweisungen zu anderen Fachspezialisten zu gewährleisten. Gatekeeperfunktion für Hausärztinnen und Hausärzten um passende Überweisungen zu anderen Fachspezialisten zu gewährleisten. © matttilda – stock.adobe.com

Wieder so ein Morgen. Das Wartezimmer platzt aus allen Nähten. Irgendwo in der Schlange steht ein Patient, der gern eine Überweisung hätte. Er müsse gar nicht mit einem Arzt oder einer Ärztin sprechen, sagt er, er weiß schon, was er braucht. Es sei dringend, er warte. So landet er bei mir. 

Der Heilpraktiker aus der Nachbarstadt habe mittels Metatron-Analyse einige Dinge bei ihm festgestellt. Der Patient wusste von diesen Problemen zuvor nichts – deswegen ist er ja auch nie damit bei mir gewesen. Eigentlich geht es ihm auch gar nicht schlecht, bestätigte er dann meine Vermutung, dass ihm nichts wirklich fehlt.

Aber alle seine Freunde hätten gemeint, vielleicht solle er sich auch mal richtig durchchecken lassen. Und da gebe es eben diese spezielle Methode, von der alle so überzeugt seien. Was genau dabei nun alles gefunden oder gar gemacht wurde, wollte er mir gar nicht erzählen. Der entscheidende Punkt war, dass seine „Wadenprobleme“ vom Heilpraktiker als gravierend eingestuft worden waren.

So richtige Schmerzen hatte er ja eigentlich nie gehabt. Beweglichkeitseinschränkungen oder andere Symptome auch nicht. Aber der Heilpraktiker hatte ihn geschickt: Bitte vom Angiologen abchecken lassen. Juhu, da ist er wieder, mein Lieblingssatz: „Bitte mal abklären lassen.“

Der Hausarzt, die Hausärztin kommt in diesem System gar nicht wirklich vor. Die können eh nix. Finden keine Wadenprobleme, können nicht diagnostizieren und behandeln schon gar nicht. Daher lieber gleich vom Fach-Heilpraktiker zum Fach-Arzt und von der Fach-Heilpraktikerin zur Fach-Ärztin.

Und da stehe ich nun. Wie soll ich jemandem, der mich nie wegen des betreffenden Problems aufgesucht hat, erklären, dass das vom Heilpraktiker gefundene „Problem“ meiner ärztlichen Ansicht nach keiner weiteren Abklärung bedarf?

Und der Heilpraktiker hat doch schon so viel Gutes für meinen Patienten getan! Ihn auch viel tiefer verstanden und analysiert, als ich das je konnte! Das mag natürlich auch daran liegen, dass ich ihn nie wegen dieser Probleme gesehen hatte.

Und außerdem habe ich natürlich auch nicht solche ausgefallene Diagnostik. In der Alternativheilkunde wird die Methodik übrigens folgendermaßen beschrieben: Mithilfe der Metatron-Analyse werden elektromagnetische Impulse der Organe aufgezeichnet und mit Datenbanken abgeglichen, die dann anhand energetischer Ungleichgewichte Hinweise auf Erkrankungen liefern sollten.

Die Erkrankungen könnten somit frühzeitig, vor ihrem Ausbruch im besten Fall, gefunden werden. Klingt fantastisch. Warum haben wir das eigentlich noch nicht alle? 

Wie schön wäre eine Welt, in der Heilpraktikerinnen bzw. Heilpraktiker und Lifestyle-Coaches nach den gleichen Regeln spielen würden wie wir. In der es nicht um einen Wettbewerb der skurrilsten Diagnostik- und Behandlungsmethode geht, sondern um Evidenz. In der es nicht um den eigenen Gewinn geht.

Medizinisch wäre unseren Patientinnen und Patienten auf jeden Fall geholfen. Und sie wären auch weniger verwirrt und stünden nicht so oft vor fünf Zweitmeinungen, die sich diametral wiedersprechen. Dass es innerhalb der Ärzteschaft unterschiedliche favorisierte Wege gibt, das ist trotz oder gerade wegen des gemeinsamen wissenschaftlichen Hintergrunds manchmal so. Aber die Kombination mit dahergelaufenen Meinungen, die sich mit wichtigen, aber abwegigen Erklärungen tarnen, macht die Sache für unsere Patientinnen und Patienten und uns selbst zunehmend undurchschaubarer, immer weniger erklärbar, kaum noch vertretbar.

Uns Hausärztinnen und Hausärzten soll eine Gatekeeperfunktion zukommen. Immerhin, auf die Überweisung zu anderen Fachspezialisten trifft das zu. Aber ich möchte nicht der Dienstleister für Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker sein. Ich möchte Menschen helfen, und das immer nach den besten wissenschaftlichen Standards, die zur Verfügung stehen. Ich akzeptiere die Meinungen anderer, wünsche mir echten kollegialen Austausch. Aber noch habe ich den Mut, auch zu sagen: Nein, das brauchen Sie jetzt nicht.

Ihre
Franziska Hegedüs