Praxiskolumne Telemedizin ist kein Messias und kein Antichrist

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Werner

Telemedizin ist ein Must-have. Bereits jetzt werden rund 30 % unserer Hausarztkonsultationen digital geführt. Telemedizin ist ein Must-have. Bereits jetzt werden rund 30 % unserer Hausarztkonsultationen digital geführt. © stock.adobe.com - Stockphotodirectors

Telemedizin ist ein Must-have. Bereits jetzt werden rund 30 % unserer Hausarztkonsultationen digital geführt. 

Was meiner Meinung nach erstaunlich viel ist, denn auch als sehr digitalisierte Praxis stoße ich mit Telemedizin häufig an meine Grenzen. Oder an die des PC, des WLAN, des Servers auf einer der beiden Seiten der Verbindung.

Häufig läuft es so: Es steht ein Videotermin in meinem Sprechstundenkalender. Dort steht er gut, denn als aktiv wird der Termin erst auf meiner Liste geführt, wenn die Person da ist. Wo? Also in der Praxis. Oh, der Termin ist ja digital! Ich öffne das separat zu aktivierende „Online-Wartezimmer“ und sehe – nichts. 

Da ruft der Patient auch schon an: Er kommt nicht „rein“. Dann erscheint er doch auf dem Bildschirm und mit nun zehn Minuten Verspätung beginnt unser zehnminütiger Termin. Gut, der Patient steht auf dem Kopf – aber nach kurzem Gestikulieren dreht er seinen Bildschirm. Jetzt liegt er quer. 

Warum ich gestikuliere? Weil er mich nicht hört. Aber er verkündet lautstark, dass das an meinem mistigen Internet und meiner schlechten Ausstattung liegen muss. Ich vermute, dass er nicht weiß, dass ich ihn nun höre. Dann knackt es auf einmal laut, sein Gesicht friert ein wie in einem Horrorfilm und dann: schwarz. 

Willkommen in der Welt der Telemedizin, wo der Hippokratische Eid auf die Digitalisierungswüste trifft. Und dennoch gibt es Gründe, warum wir nicht alle sofort den Bildschirm zerschmettern. Schauen wir auf die Pros und Cons der Telemedizin.

Pro: Telemedizin spart Zeit wie ein doppelter Espresso. Keine Anfahrten, keine Parkplatzsuche, keine Desinfektionsmarathons zwischen den Patientinnen und Patienten. Stattdessen: Schnelle Follow-ups, Rezepte per Mausklick und eine erste Anamnese aus dem Homeoffice, während der Hund auf dem Sofa schnarcht. Oder denken Sie an die alleinerziehende Mutter mit Schnupfen: Rezept, AU, Ratschläge, alles digital. 

Telemedizin bedeutet viel weniger Infektionsausbrüche, eine Patientenzufriedenheit von über 80 % und weniger No-Shows. Das ist cool. Wenn die Technik funktioniert.

Contra: Telemedizin ist wie ein Date via Zoom – viel Gerede, wenig Berührung. Nonverbale Kommunikation? Fehlanzeige. Wie soll ich den feinen Tremor beim Parkinson-Patienten per Screenshot einschätzen? Oder den Hautausschlag, wenn der ältere Herr die Kamera so hält, dass ich nur den Fleck auf der Hose studieren kann? Und wie bitte soll ich mein Stethoskop einsetzen? Ich bin zu internistisch geprägt, fürchte ich. Ich muss Patienten anfassen, abhören, abklopfen. 

Dazu der Datenschutz-Albtraum. DSGVO-konforme Plattformen? Aber nur, wenn Ihre Cloud nicht in der Karibik gehostet wird. Und der „Digital Divide“? Ältere oder Menschen ohne Smartphone – sie bleiben außen vor, was die Ungleichheit in der Versorgung verstärkt. 

Es ist frustrierend. Vieles kann ich nicht ohne direkten Patientenkontakt sicher klären und doch bin ich bei Menschen, die nicht in die Praxis kommen können, auf Telemedizin angewiesen. 

Und dann die Haftungsfrage. Wenn ich einen Herzinfarkt per Pixel verpasse, bucht das Gericht das als „virtuelles Fahrlässigkeitsdelikt“? Die TelMedV regelt vieles, aber nicht den Knoten in meinem Magen, wenn der Bildschirm der einzige Zeuge ist.

So, wo liegt die Wahrheit? Telemedizin ist weder der Messias noch der Antichrist – sie ist der chaotische Verwandte, der auf Familienfeiern mal den besten Witz erzählt, mal dir den Rotwein überschüttet. Die Pros überwiegen, wenn wir die Technik klug einsetzen, in hybriden Modellen, wo Präsenz den Einstieg mit gründlicher klinischer Untersuchung macht und Video die Feinabstimmung. Oder bei weniger schweren Erkrankungen eben andersherum. 

Wir brauchen Schulungen für uns und die Patientinnen und Patienten, bessere Software-Standards – und vielleicht ein Gesetz, das WLAN als Grundrecht deklariert. Denn am Ende des Tages (oder des Videos) geht es um die Menschen: jene, die geheilt werden wollen, und uns, die wir das mit Herzblut und Hotspot machen.