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Die Kanzlerin und die Tücken der Krankmeldung

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Innerhalb von drei Tagen muss im Krankheitsfall eine Arbeitsunfähigkeitsbescheingung beim Arbeitgeber vorliegen. Zeit für Reformen?

Unterstellen wir einfach mal, Angela Merkel ist die G7-Gipfelsause auf den Magen geschlagen. Was durchaus verständlich wäre. Als gute Gastgeberin musst du ja bei jedem Krautsalat deine Frau stehen. Und beim Weißwurstessen mit Seehofer konnte sie auch nicht klein beigeben. Der nutzt doch bekanntlich jedes Schwächezeichen der Kanzlerin, um für seine CSU wieder was rauszuholen. Unterstellen wir daher einfach, dass die Kanzlerin nach ihrer Rückkehr ins heimelige Berlin zu ihrem Hausarzt ging, auf die bayerische Küche schimpfte und sich mit Magengrummeln krankschreiben ließ.


Und jetzt die Quizfrage: Bei wem muss sie ihre Krankmeldung einreichen? A) Beim Bundespräsidenten? B) Bei Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales (Welche dies flugs an ihren Parteifreund Gabriel weitermelden würde)? C) Diese Information unterliegt der Geheimhaltungspflicht. D) Sie braucht keine Krankmeldung. Als Chefin entscheidet sie eh alles selbst.


Für Normalsterbliche ist diese Frage leichter zu beantworten. Spätestens binnen drei Tagen muss eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber vorliegen. Der kann sie aber auch schon vorher verlangen. Was sich jetzt so simpel anhört, kann in der Praxis manchmal ziemlich problematisch sein. Denn so mancher Patient will nicht einsehen, dass es sich bei der AU um ein Dokument handelt. Er glaubt, kurz anzurufen genüge, und er kann sie abholen lassen. Andere wiederum kommen erst, nachdem sie wieder gesundet sind, weil ihr Arbeitgeber jetzt doch noch ein „Attest“ möchte. Denen ist schwer klarzumachen – gerade weil sie vielleicht ehrlich und verlässlich sind – dass ich kein Hellseher bin, der im Nachhinein Diagnosen stellen kann.

»Krankheit wird zur Variablen des
Terminkalenders«

„Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn Versicherte auf Grund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausüben können.“ So steht es in der Richtlinie dazu.


Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht nur ein Wortmonster, mit 32 Buchstaben. Sie ist eigentlich auch ein Dokument des Misstrauens. Ja, ich weiß! Die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers hängt schließlich dran, anschließend eventuell noch das Krankengeld von der Krankenkasse. Aber dennoch darf man auch die Kosten-Nutzen-Frage stellen, wenn sich ein Patient nur wegen eines gelben Zettels ins Wartezimmer schleppen muss. Selbiges ist auch bestens bekannt als die liebste Spielwiese der Bazillen. Würde er sich stattdessen ins Bett legen, wäre es besser für alle.


Mediziner der Uni Magdeburg haben daher jetzt den Vorschlag gemacht, diese Regeln aufzulockern. Ihrer Meinung nach sollte man sich wenigstens bis zu einer Woche selbst krankmelden können. Dieser Empfehlung zugrunde liegt eine Studie, an welcher sie drei Jahre lang arbeiteten. Die Magdeburger fanden dabei unter anderem heraus, dass Krankschreibungen maßgeblich für kurzfristige Besuche beim Hausarzt sind. Eine Verlängerung der Frist hätte also nur Vorteile. Weniger Bürokratie bedeutet für den Hausarzt mehr Zeit für Patienten. Diesen wiederum bleiben überflüssige Arztbesuche erspart.

»Braucht Frau Merkel eine AU-Bescheinigung?«

Dass so eine Regelung missbraucht würde, glaube ich nicht. Natürlich gibt es immer noch „Einzeltäter“. Solche etwa, die eine Krankmeldung verlangen, um sich eine Woche vor dem geplanten Urlaub schon mal zu entspannen. Oder der übliche Verdächtige will wieder mal krankfeiern, „weil im Betrieb gerade nichts los ist“, wie er bedauert. „Wer will schon nur blöd rumstehen“, fragt er mich mit müdem Augenaufschlag. Folge einer langen Disco-Nacht. Klar. Aber das soll er, bitte schön, alles seinem Arbeitgeber selbst erklären.


Die Zahl der AU-Tage nimmt statistisch seit einigen Jahren wieder zu. Das ist bei guter Konjunktur und rückläufiger Arbeitslosigkeit aber nicht ungewöhnlich. Es spricht nicht gegen eine hohe Arbeitsmoral. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass viele, gerade junge Menschen, sich nicht mehr die Zeit nehmen, eine Krankheit richtig auszuheilen. Vermutlich, weil sie auf Kollegen Rücksicht nehmen, oder um den Arbeitsplatz fürchten. Die Arbeitsmedizin hat einen eigenen Begriff dafür erfunden: Präsentismus. „Da sein müssen“ soll das wohl heißen. Krankheit wird so zu einer Variablen im Terminkalender. So wie Urlaub oder Fortbildung. Unberechenbarer zwar, aber sie hat sich gefälligst nach Möglichkeit den betrieblichen Erfordernissen unterzuordnen.


Wünschenswert ist diese selbstverordnete Anwesenheitspflicht keinesfalls. Die Konzentrationsfähigkeit lässt bekanntermaßen bei Krankheit nach. Die Unfallgefahr steigt damit an. Dazu kommt das Ansteckungsrisiko. Kürzlich war eine junge Lehrerin bei mir mit Bronchitis, Husten, Abgeschlagenheit. Alles vom Feinsten. Dummerweise hatte sie schon einen Schulausflug mit ihrer Klasse geplant. Daher sollte ich sie, bitte schön, vorher möglichst zügig kurieren. Und nein, krankschreiben lässt sie sich nicht. Auch wenn sie vielleicht im Bus die halbe Klasse ansteckt. Soll man Verständnis dafür haben? Ich glaube schon. Und vielleicht geht ja alles gut. Aber, ist es vernünftig?


Ach ja, und was ist mit Angela Merkel? Bräuchte sie jetzt eine Krankmeldung oder nicht? Wer Genaueres wissen will, müsste vielleicht im Bundeskanzleramt anrufen (030 18 400-0). In der Zeit der parlamentarischen Pause ist man sicher froh über ein bisschen Abwechslung im Sommerloch. Viel wichtiger aber ist: Bleiben Sie selbst arbeitsfähig!

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