Experten sagen Die Zukunft liegt in der Kooperation

Gesundheitspolitik Autor: I. Dürr

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Zum elften Mal trafen sich namhafte Experten aus dem Gesundheitswesen und der Gesundheitspolitik, um im niederbayerischen Deggendorf über die Zukunft der Gesundheitsversorgung in Deutschland zu diskutieren. Einig war man sich darin, dass die Weichen dafür in der laufenden Legislaturperiode gestellt werden müssen. Um die ambulante hausärztliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern, setzt man insbesondere auf dem Land ganz auf eine Ausweitung von alten und neuen Formen der ärztlichen Kooperation.

„Wir werden uns alle sehr anstrengen müssen, wenn wir den derzeit hohen Standard in der Gesundheitsversorgung in Deutschland weiter aufrechterhalten wollen“, mahnte die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml, gleich zu Beginn der Veranstaltung. Bayern tue alles, um diese Versorgung auch in der Fläche sicherzustellen. Allein in den letzten Monaten seien durch entsprechende Programme der Landesregierung 90 Niederlassungen gefördert worden. Dies zeige die hohe Wertschätzung, die die Landespolitik insbesondere den Hausärzten entgegenbringe. Für Kommunen werde es zunehmend zu einem wertvollen Standortvorteil, wenn ein Hausarzt im Ort ist.

Kooperation und Delegation

Auch der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer-GEK, Dr. Rolf-Dietrich Schlenker, macht sich Gedanken über die zukünftige ambulante Versorgung. Dass der hausärztliche Nachwuchs sich allein durch mehr Geld für eine Niederlassung in der Fläche motivieren lasse, glaubt er nicht. Vielmehr brauche es wohl auch Veränderungen in den Praxisstrukturen. Damit der Ärztemangel auf dem Land kompensiert werden kann, müsse man davon ausgehen, dass das Angebot im ambulanten Sektor sich mehr und mehr konzentrieren werde auf Kooperationsformen wie zum Beispiel Ärztehäuser oder auch Medizinische Versorgungszentren. Die Patienten müssten sich dann eben darauf einstellen, etwas weiter bis zum nächsten Arzt fahren zu müssen. Darüber hinaus müssten vermehrt nichtärztliche Berufsgruppen enger in die Versorgung miteinbezogen werden. Medizinische Fachangestellte oder Versorgungsassistentinnen (VERAH) könnten beispielsweise viel stärker die Aufgabe von Hausbesuchen übernehmen. Im niedergelassenen Bereich werde es also zu mehr Konzentration kommen, die durch ein erweitertes Aufgabenspektrum für andere medizinische Fachberufe ausgeglichen wird, so Schlenker.

Teamarbeit schafft Freiräume

Dass die Zeit des Landarztes als Einzelkämpfer allmählich abläuft, unterstreicht auch Dr. med. Max Kaplan, der Vizepräsident der Bundesärztekammer und Präsident der Bayerischen Landesärztekammer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Wenn man der Erwartungshaltung der jungen Ärztegeneration, die neben dem Beruf auch Zeit für die Familie und andere Aktivitäten fordern, gerecht werden wolle, dann müsse man neue Versorgungsformen kreieren. Die jungen Kolleginnen und Kollegen werden die hausärztliche Versorgung auf dem Land dann im Team machen, in Form einer Gemeinschaftspraxis oder eines regionalen oder lokalen Versorgungszentrums.

Warnung vor Klinikketten

In Ärztehäusern oder Medizinischen Versorgungszentren sieht Dr. med. Wolfgang Krombholz, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, grundsätzlich keine Bedrohung. Ärztekooperationen seien absolut in Ordnung. Das Instrument dürfe allerdings nicht missbraucht werden. So seien zum Beispiel Klinikketten nicht als Betreiber solcher Versorgungszentren erwünscht.

Einen medizinethischen Blick warf Prof. Dr. med. Georg Marckmann aus München auf das Thema Kooperation. Die vier klassischen medizin-ethischen Prinzipien sind:

  1. Wohltun (beneficence), d. h. den Nutzen für den Patienten optimieren,
  2. Nichtschaden (nonmaleficence), d. h. dem Patienten möglichst wenig Schaden zufügen,
  3. Respekt der Autonomie, d. h. die Patienten-Selbstbestimmung fördern und wahren,
  4. Gerechtigkeit, d. h. Nutzen und Lasten fair verteilen, auch gegenüber Dritten.

Egoismen überwinden

In Anbetracht der Herausforderungen an das Gesundheitssystem durch den demografischen Wandel und die wachsende Zahl Multimorbider und chronisch Kranker könnte Kooperation in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung von Nutzen sein und den medizinethischen Prinzipien dienen. Im ambulanten Sektor komme dem Hausarzt dabei die Koordinierungsfunktion zu. Unterstützung müsse er hierbei durch nichtärztliches Personal erfahren. Doch auch die Rolle der Patienten müsse gestärkt werden, sie sollten die Versorgung mehr mitgestalten können. Eingebunden werden sollten darüber hinaus auch professionelle und nichtprofessionelle Gruppen aus den Bereichen Pflege und soziale Betreuung.

Zentrale Voraussetzungen für eine gelingende Kooperation seien aber, so machte Marckmann deutlich, dass das Gesundheitspersonal bestens ausgebildet ist und dass berufspolitische Egoismen überwunden werden. Das Problem sei hier, dass viele Ärzte noch Angst hätten, Aufgaben abzugeben. Und das, obwohl sie eigentlich mehr als reichlich zu tun haben.

Förderung von neuen Versorgungsformen

Wer gute Ideen hat, wie die gesundheitliche Versorgung im Lande verbessert werden kann, der sollte sich jetzt zügig mit dem neu eingerichteten Innovationsfonds beschäftigen, riet Barmer-GEK-Vize Rolf-Dietrich Schlenker in Deggendorf. In diesem Fonds stehen schon für das laufende Jahr 300 Millionen Euro bereit, um innovative Projekte zu fördern. Die gleiche Summe ist dann auch in den nächsten Jahren bis 2017 im Topf. 225 Millionen Euro davon sollen für neue Versorgungsformen und 75 Millionen Euro für die Versorgungsforschung verwendet werden. Die Kriterien für die Vergabe der Fördergelder sollen vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt werden. Da diese Kriterien bislang noch nicht näher definiert sind, stünden die Chancen gut für alle Akteure im Gesundheitswesen, die jetzt rasch Anträge stellen. Die Barmer-GEK stehe hier für Kooperationen zur Verfügung, so Schlenker.


Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (17) Seite 26-28
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Hochkarätige Referenten in Deggendorf: Staatsministerin Huml (Bildmitte), rechts neben ihr Dr. Schlenker, ganz rechts Prof. Marckmann und ganz links Prof. von der Schulenburg Hochkarätige Referenten in Deggendorf: Staatsministerin Huml (Bildmitte), rechts neben ihr Dr. Schlenker, ganz rechts Prof. Marckmann und ganz links Prof. von der Schulenburg