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Dürfen Ärzte bei der Arbeit weinen?

Autor: Dr. Anja Braunwarth, Foto: fotolia, Photographee.eu

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Etwa die Hälfte aller niederländischen Äzte hat im vorausgegangenen Berufsjahr bei der Arbeit Tränen vergossen, ein Viertel erwischte es im Beisein der Patienten. Ist das unprofessionell oder doch Zeichen großer Empathie?

Naturgemäß werden Ärzte vielfach mit dem Leid ihrer Patienten konfrontiert oder sie müssen ihnen schlechte Nachrichten überbringen. Dazu kommen manchmal noch Gefühle des Versagens, wenn ihre Behandlungen fehlschlagen. All das kann mit heftigen eigenen Emotionen verbunden sein, die sich unter Umständen mit Tränenfluss entladen.

Wie häufig das passiert und wie die Betroffenen darüber denken, erfragten niederländische Psychologen bei 776 Ärzten jeglicher Fachrichtung via soziale Medien und mittels eines Onlinefragebogens.

Darüber hinaus äußerten noch 181 fortgeschrittene Medizinstudenten (in Holland „Coassistenten“) ihre Meinung zum Thema „Weinen im Job“. Auch jedem vierten Mann
flossen die Tränen. Mehr als die Hälfte der weiblichen und ein Viertel der männlichen Mediziner hatte im Jahr vor der Umfrage mindestens einmal während der Arbeit geweint.

Mitleid und Machtlosigkeit sind die Hauptgründe für Tränen

Der Anteil bei den Frauen lag damit gleichauf mit dem in einer österreichischen und australischen Untersuchung. Bei den Männer betrug dort die „Tränen-Quote“ 40 %. Ein Viertel der Teilnehmer gab an, im Beisein von Patienten Tränen vergossen zu haben.

Als Gründe wurden von den Kollegen vor allem Mitleid, aber auch Machtlosigkeit gegenüber dem Gesundheitssystem 
genannt. Die meisten Ärzte waren der Meinung, dass solche emotionalen Ausbrüche sie nicht als unprofessionell, unethisch oder gar lächerlich abstempeln – weder bei ihren Kollegen noch bei Patienten.

Viele wünschen sich zwar eine andere empathische Reaktion in belastenden Situationen, aber in der Regel setzen sie das Heulen ja nicht willentlich ein, sondern sie werden schlichtweg von ihren Emotionen übermannt.

Aus privaten Gründen zu 
weinen ist inakzeptabel

Weinen um und mit den Patienten ja, aber private Umstände oder beruflichen Druck bezeichnen die Mediziner als inakzeptable Gründe. Die Ansichten der Coassistenten sahen übrigens zum Teil ganz anders aus.

Die Mehrheit von ihnen denkt, dass solche Gefühlsäußerungen das Verhältnis zum Patienten beeinträchtigen können, zudem fürchten sie, dadurch negative Beurteilungen zu erhalten. Die Hälfte gab sogar an, dass sie bei betroffenen Ärzten an deren beruflicher Eignung zweifeln würden.

Quellen:

Kim Janssens et al., Medisch Contact 2015; 50: 2442-2444

Tony Sheldon, BMJ 2015;351:h6754

 

 

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