DEGAM Ein Glücksfall

Gesundheitspolitik Autor: Ingolf Dürr

Mit einem Festakt in der ehrwürdigen Frankfurter Paulskirche, der Wiege der deutschen Demokratie, startete die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) nicht nur in ihren 50. Jahreskongress unter dem Motto "Tradition bewahren – Aufbruch gestalten – Hausärzte begeistern", sondern feierte auch ihren 50. Geburtstag und erlebt gerade ihre besten Jahre seit der Gründung.

Hat der Praktische Arzt überhaupt noch eine Zukunft in Anbetracht der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin? Diese Frage stellten sich die Gründer der DEGAM vor einem halben Jahrhundert. Und sie kamen zu der Überzeugung, dass die Hausarztmedizin nur dann bestehen kann, wenn sie auch wissenschaftlich erforscht und untermauert wird. Das sollte die vornehmste Aufgabe der DEGAM sein.

Generalisten sind immer wichtiger

Inzwischen befindet sich die DEGAM in ihren besten Jahren, stellte Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach fest, der nach 6 Jahren sein Amt als Präsident der Fachgesellschaft satzungsgemäß abgibt und nicht wieder gewählt werden konnte. Nicht nur dass es heute an 30 von 37 Medizinischen Fakultäten einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin gibt, stimmt ihn zuversichtlich, sondern auch, dass die Mitgliederzahl in seiner Amtszeit rasant auf mehr als 6.300 angewachsen ist und vor allem jüngere Ärzte vermehrt ihre Heimat in der DEGAM suchen. Die hat mit ihren Kompetenzzentren für Allgemeinmedizin, Weiterbildungsverbünden, der Nachwuchsakademie oder Tagen der Allgemeinmedizin auch Einiges erreicht für die jungen Ärzte. Und mit der Förderung der Weiterbildung im § 75a SGB und damit endlich einer klinikadäquaten Vergütung für Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin ist Gerlach seinem Ziel eines Rund-um-sorglos-Pakets für die Weiterbildung zum Allgemeinarzt schon sehr nahe gekommen. Generalisten sind und werden immer wichtiger für unser Gesundheitssystem, so lautet Gerlachs Credo.

Sorge um Masterplan Medizinstudium 2020

Besorgt zeigt sich Gerlach allerdings bei der Frage, ob es noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird, den Masterplan Medizinstudium 2010 unter Dach und Fach zu bringen. Die darin vorgesehene Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium durch ein Pflichtquartal in der ambulanten Medizin im Praktischen Jahr sowie der Installierung der Allgemeinmedizin als obligates Prüfungsfach im Staatsexamen sei zwar nicht mehr strittig, aber in der Kultusministerkonferenz hake es dafür an anderen Punkten wie der Landarztquote, der Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze oder der Refinanzierung der Maßnahmen. Hier spricht sich die DEGAM dezidiert gegen eine Landarztquote aus, bei der sich junge Menschen schon vor dem Studium für rund 16 Jahre darauf festlegen müssten, später in der Allgemeinmedizin und möglichst auf dem Land zu arbeiten. Das sei ganz einfach nicht lebenspraktisch und schlimmer noch, man diskreditiere damit die Tätigkeit als Landarzt, so Gerlach. Denn es könne schnell der Eindruck entstehen: Nur die Deppen müssen aufs Land. Ein solches Negativimage für den Hausarzt auf dem Land wäre nicht wünschenswert. Und auch die gestandenen Hausärzte dürften ihren Beruf nicht immer wieder schlechtreden, warnte der scheidende DEGAM-Präsident Gerlach. Sie müssten vielmehr ein positives Bild der Hausarztmedizin abgeben.

Gerlach hofft daher, ebenso wie der als Festredner geladene Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Dr. Lutz Stroppe, dass der Masterplan Medizinstudium 2020 bald verabschiedet und dann mit dem jetzt vorhandenen Schwung auch realisiert wird, denn sonst drohe nach der Bundestagswahl im nächsten Herbst wieder eine längere Zeit des Stillstands. Man dürfe hier keine Zeit mehr verlieren.

Von "Scheinriesen" und "Scheinzwergen"

Auch Stroppe sieht die 50 Jahre DEGAM als eine Erfolgsgeschichte, die unbedingt weitergeschrieben werden müsse. Denn davon würden alle profitieren. Für den Staatssekretär ist die DEGAM nicht nur eine besondere Fachgesellschaft, er bezeichnet sie sogar als einen Glücksfall für das Gesundheitssystem. Denn die DEGAM sei neben ihrem hohen wissenschaftlichen Anspruch auch so nahe wie keine andere Fachgesellschaft an der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Und bei ihrer Aufgabe, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern, habe die DEGAM schon viel geleistet. Für die Zukunft, und damit meinte er konkret die nächste Legislaturperiode, gelte es nun, die Sektorengrenzen in der Versorgung zu überwinden.

Zum Abschluss des Festaktes ergriff Prof. Dr. Erika Baum das Wort. Sie präsentierte nicht nur die umfangreiche Festschrift zum DEGAM-Jubiläum, die das Bild des Wegs zur Professionalisierung des Fachs Allgemeinmedizin auf höchst spannende und unterhaltsame Weise nachzeichnet (mehr dazu auf den folgenden Seiten in diesem Heft), sondern sie stellte auch die Frage, wie es weiter geht mit der DEGAM. Themen gibt es hier genügend, sei es die Nachwuchsförderung, die Versorgung multimorbider Patienten, der Schutz der Patienten vor Überversorgung oder die Digitalisierung der Medizin. Frau Prof. Baum sieht aber vor allem die Realisierung der Zukunftspositionen der DEGAM als ein wichtiges Ziel. Für sie muss die Allgemeinmedizin das Kernfach im Medizinstudium werden und der Generalist Vorrang vor dem Spezialisten haben. Noch sähen die Spezialisten oft wie "Scheinriesen" aus, so Baum: Je näher man ihnen kommt, desto kleiner erscheinen sie. Bei den Allgemeinärzten sei es umgekehrt: Bei näherer Betrachtung erkenne man, dass diese "Scheinzwerge" eine große Arbeit leisten. Frau Prof. Baum ist bewusst, dass für die Umsetzung der DEGAM-Zukunftspositionen noch dicke Bretter zu bohren sein werden. Aber sie wird daran einen großen Anteil haben, denn am Abend des Festaktes wurde sie im Rahmen der Mitgliederversammlung zur neuen Präsidentin der DEGAM gewählt.

Dr. Ingolf Dürr

Erste Frau an der Spitze der DEGAM

Mit Prof. Dr. Erika Baum übernimmt die erste Frau für die nächsten 3 Jahre das Amt der DEGAM-Präsidentin. Prof. Baum ist aktive Hausärztin in Biebertal (Hessen) und ehemalige Leiterin der Abteilung Allgemeinmedizin an der Universität Marburg. Bereits seit 2010 war sie Vizepräsidentin der DEGAM gewesen. Als neue Vizepräsidentin wurde Prof. Eva Hummers-Pradier (Göttingen) gewählt. Prof. Martin Scherer (Hamburg) wurde von den Mitgliedern als Vizepräsident im Amt bestätigt. Prof. Stefan Wilm (Düsseldorf) bleibt Schatzmeister, neue Schriftführerin ist PD Dr. Anne Simmenroth (Göttingen). Sie übernimmt die Aufgaben von Prof. Norbert Donner-Banzhoff (Marburg). Während Prof. Wilhelm Niebling (Freiburg) als Beisitzer bestätigt wurde, ist Dr. Johanna Eras (Nürnberg) erstmals als Beisitzerin Mitglied des geschäftsführenden DEGAM-Präsidiums.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (17) Seite 32-33
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Prof. Gerlach präsentiert stolz die 
Leistungsfähigkeit der DEGAM Prof. Gerlach präsentiert stolz die Leistungsfähigkeit der DEGAM
Prof. Dr. Erika Baum Prof. Dr. Erika Baum