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Praxiskolumne Ein köstliches Gefühl, finanziell unabhängig zu sein!

Autor: Dr. Frauke Gehring

Unsere Kolumnistin freut sich, dass sie als Ärztin trotz angenehmer Rente so viel dazu arbeiten darf, wie sie will. (Agenturfoto) Unsere Kolumnistin freut sich, dass sie als Ärztin trotz angenehmer Rente so viel dazu arbeiten darf, wie sie will. (Agenturfoto) © iStock/FG Trade; MT
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Unsere Kolumnistin hat ihren Rentenausweis erhalten. Deswegen aufhören zu arbeiten und in „rentnerbeige Starre“ verfallen? Auf keinen Fall!

Da liegt er nun, mein Rentenausweis, und schaut mich nüchtern an: „Du hast deine erwartete Lebensarbeitsleistung erbracht und kannst ab jetzt dem Tod entgegendämmern“, scheint er mir teils freundlich, teils etwas höhnisch zu sagen. Nun bestimme immer noch ich über mein Leben, und so werde ich das tun, was ich mir längst vorgenommen habe: Noch zwei Jahre in der Praxis weiterarbeiten, es sei denn, ich erkranke schwer, oder jemand in der Familie braucht dringend meine Hilfe. Eine Nachfolgerin ist erst am fernen Horizont zu sehen, der beste Ehemann von allen steht noch gute zwei Jahre im Geschirr, und ich bin ja auch noch recht „rüs­tig“, wie man uns Rentner/innen so gerne nennt, wenn wir noch nicht am Rollator gehen.

Ich bin tatsächlich etwas früh dran, weil mein Versorgungswerk in der glücklichen Lage ist, seine weiblichen Mitglieder schon mit 63 zu berenten, wenn die Ehemänner auf Witwerrente verzichten. Es gab für uns keinen Zweifel, dass wir dies dankend annehmen würden, denn es ist ein wirklich köstliches Gefühl, finanziell unabhängig zu sein. Natürlich kann ich nicht von jetzt auf gleich das Stethoskop in die Ecke pfeffern (das erlaubt mein Gemeinschaftspraxisvertrag überhaupt nicht), aber dennoch bin ich von einer großen Last befreit.

Obgleich da natürlich eine gewisse Zwiespältigkeit aufkommt und ein bisschen Melancholie: „Das soll jetzt alles gewesen sein?“ Natürlich habe ich schon vorher etwas spöttisch von mir gesagt, dass ich ein Auslaufmodell sei, und ja, es gab schon Patient/innen, die sich fragten, ob ich in dieser Situation überhaupt noch als Hausärztin für sie infrage käme. Aber natürlich bin ich innerlich der tiefsten Überzeugung, dass ich die perfekte Mischung aus Erfahrung und noch gut erhaltener Schaffenskraft biete, und darum die optimale Hausärztin bin.

Beinahe, jedenfalls. So, wie eine alte Dame sich noch fragt, ob sich ein neues Kleid in ihrem hohen Alter noch lohne, habe ich mich manchmal bei der Frage ertappt, ob es sich noch lohnt, eine neue Fertigkeit oder auch nur ein neues Gerät zu erwerben. Ich merke, dass mein Nervenkostüm etwas dünner geworden ist und meine Geduld keineswegs mit dem Alter zugenommen hat – im Gegenteil. Die Frage „Warum tu’ ich mir das eigentlich alles noch an?“ hat sich schon vor Erhalt des kleinen weißen Ausweises regelmäßig in mein Hirn geschlichen. Hauptsächlich, wenn der Coronawahnsinn unsere Praxis zum Ächzen brachte, entweder durch Überlastung oder dadurch, dass der dünne Firnis der Zivilisation brüchig und der Umgangston deutlich ruppiger geworden ist.

Glücklicherweise ist unsere Praxis kürzlich umgezogen und es weht ein erfrischender Wind des Neuanfangs durch meinen Alltag. Erst war ich traurig, weil ich mich von meinen vertrauten Möbeln trennen musste, die meinen Praxisalltag 24 Jahre begleitet hatten und mir so ähnelten: Mit deutlichen Abnutzungserscheinungen, aber doch noch ganz ansehnlich. Aber jetzt freue ich mich doch, dass alles neu und modern ist! So lasse ich die Melancholie ziehen wie unsere alten Räume und freue mich über einen Neubeginn, der so ganz im Gegensatz zu meinen Endzeitgedanken steht.

Was haben wir Mitglieder der ärztlichen Versorgungswerke doch für ein Glück: Wir können eine angenehme Rente beziehen und dürfen dennoch so viel dazu arbeiten, wie wir wollen! Dazu gibt es zig Möglichkeiten, bei Bedarf auch außerhalb der eigenen Praxis ärztlich tätig zu werden, und letztlich werde ich auch ohne das niemals in rentnerbeige Starre verfallen. Daran werden mich hoffentlich meine Enkel/innen, aber mit Sicherheit auch meine vielen Hobbys hindern. Jetzt aber verstaue ich den Rentnerausweis erst einmal tief in meiner Börse und freue mich darauf, noch eine ganze Weile meine Praxisgeschichten mit Ihnen zu teilen!

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