
Einsatz im Sudan Eine Ärztin berichtet von ihrem Einsatz in den Nuba-Bergen des Sudan

Im Sudan spielt sich laut den Vereinten Nationen die größte humanitäre Krise der Welt ab. Im öffentlichen Bewusstsein ist der Konflikt dennoch in Vergessenheit geraten. Dabei hat sich die Situation zuletzt noch einmal drastisch verschärft: „Letztes Jahr waren regionsweise die Bäume leer, weil Menschen vor Hunger die Blätter gegessen haben“, berichtete die Allgemeinmedizinerin Monika Leyendecker, die bis vor wenigen Wochen in den Nuba-Bergen medizinische Hilfe leistete*. Sie war als Angestellte der Nichtregierungsorganisation Cap Anamur in dem Krisengebiet.
Krankenhaus wurde bombardiert
Die Nuba-Berge liegen an der Grenze vom Sudan zu dem seit 2011 politisch abgespaltenen Südsudan. Cap Anamur betreibt dort das Krankenhaus „Lwere“. Einst lag es in einem Tal, nachdem es jedoch vor 14 Jahren bombardiert wurde, verlegte man es in die Berge. Es besteht aus einfachen einstöckigen Gebäuden mit Wellblechdach und verfügt über 100 Betten sowie 95 Beschäftigte. „Wobei das in der Regenzeit nichts zu heißen hat, dann liegen zwei bis drei Patienten pro Bett“, schilderte die Ärztin.
Die Bedingungen, unter denen die Menschen in der Region leben, sind schlicht. Es gibt kein fließendes Wasser, kein Stromnetz, keine befestigten Straßen. Tagsüber wird es im Mai teils 48 Grad warm, nachts kühlt es nur auf 30 herunter. Saisonal wechseln sich Trocken- und Regenzeit ab. Der Regen bringe zwar die ansonsten staubig-kahle Region zum Grünen, erschwere jedoch das Vorankommen, berichtete die Ärztin. Sie zeigte ein Foto der zentralen Straße vom Sudan in den Südsudan. Man sieht darauf bloß einen Strom schlammigen Wassers, durch den ein Jeep pflügt. Die Strecke sei der Dreh- und Angelpunkt, um Personal, Medikamente und Marktgüter hinein- oder herauszubringen. Im letzten Jahr sei der Weg nicht unter drei Tagen zu bewältigen gewesen.
Unmittelbar vor dem Regen, am Ende jeder Trockenzeit, beginnt eine natürliche Hungerphase, an die die Bevölkerung laut der Ärztin gewöhnt ist. „Es gibt jetzt noch einzelne Mangos auf dem Markt zu kaufen, aber in zwei Wochen gibt es nichts mehr.“ Die Zahl der Fälle von Unterernährung steigt regelmäßig an, sie werden im Krankenhaus behandelt. Seit dem vorletzten Jahr hat sich die humanitäre Situation jedoch dramatisch verschlimmert, mit wenig Aussicht auf Besserung.
In der sudanesischen Hauptstadt Khartum brach 2023 ein Bürgerkrieg zwischen zwei rivalisierenden Gruppen des Militärs aus. Die Gewalt griff im ganzen Land um sich. Wie viele Menschen seitdem starben, ist laut Leyendecker ungewiss. Die UNO geht von mehr als 20.000 Toten aus, andere Schätzungen liegen bei bis zu 150.000. Rund 14 Millionen Menschen mussten fliehen.
In der Region Nuba leben regulär 2,7 Millionen Einwohner. Seit Kriegsbeginn kamen dort zusätzlich eine Million Binnenvertriebene an. Sie verteilen sich auf 15 Camps, deren medizinische Versorgung das Team von Cap Anamur gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen sicherstellt. Besonders herausfordernd sei die Medikation chronisch Kranker, die aus Städten mit standardisierter Medizin geflohen sind, erzählte die Ärztin. „Sie kamen mit einer wunderbaren Herzinsuffizienztherapie und wir standen da mit unserer Essential-Drug-List und haben versucht, der Dekompensation gegenzusteuern.“
Neben den üblichen Infektionskrankheiten, die auf engem Raum ausbrechen, sei das größte Problem Unterernährung. Durch die hohe Zahl der Vertriebenen wäre eigentlich mehr Nahrung erforderlich gewesen, doch die Ernte 2023 war schlechter als sonst. Hinzu kamen eine Heuschreckenplage und die Inflation. Das Hauptnahrungsmittel, die Hirsesorte Sorghum, sei kaum noch bezahlbar gewesen, so die Ärztin. „Es nahm apokalyptische Züge an.“
Unterernährung geht mit vielen Komplikationen einher
Die Zahl der unterernährten Kinder stieg rasant, sodass das Team die entsprechende Station des Krankenhauses ausbauen musste. Die Hilfskräfte sind dort mit beiden Formen der Mangelernährung konfrontiert, sowohl mit Marasmus als auch mit Kwashiorkor, das durch Hungerödeme gekennzeichnet ist. In der Therapie müsse man zahlreiche Komplikationen berücksichtigen, die schnell wieder zu einer Verschlechterung führen, selbst wenn es bis dahin gut aussah, betonte Leyendecker. So etwa eine gestörte Thermoregulation, Hypoglykämien, schwere Anämien, Dehydratation, Ulcus corneae und diverse Infektionen. Die Standardtherapie auf der Stabilisierungsstation dauere ein bis zwei Wochen, danach folge für mindestens ein Vierteljahr eine intensive Nachbetreuung mit vielen Wiedereinbestellungen, so die Referentin.
Sie würde gerne einen positiven Ausblick geben, schloss die Ärztin ihren Vortrag. Aber sie finde nichts, was auf eine Wendung zum Besseren hindeute. Die Regenzeit stehe unmittelbar bevor und die Organisationen warten auf ihre Lieferungen. Die Kliniken seien leer. Die Saaten von letztem Jahr, die dieses Jahr hätten ausgesät werden können, wurden vor Hunger bereits verzehrt. Völlig unerwartet haben sich zudem zwei Rebellengruppen zusammengeschlossen, schon bald könnte sich eine Frontlinie in die Nuba-Berge hineinverlagern. Und noch etwas habe dem Team vor Ort „den Boden unter den Füßen weggerissen“, berichtete Leyendecker: das Ende der Unterstützung durch die US-Entwicklungshilfebehörde USAID. Zwei große Organisationen, die zwei der Flüchtlingslager betreuen, hätten 60–80 % ihres Personals entlassen müssen. Obendrein hat die Hungerzeit begonnen.
* Vortrag war am 4. Mai 2025
Quelle: 131. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin