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Es gibt sie noch, die wunderbare Kollegialität

Autor: Dr. Jörg Vogel

Nie ohne mein Team: Wenn man als Arzt krank wird, ist es erleichternd sich in guten Händen zu wissen. Nie ohne mein Team: Wenn man als Arzt krank wird, ist es erleichternd sich in guten Händen zu wissen. © iStock/12963734
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Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker: Im Kampf für Gesundheit kommt ihre eigene meist zu kurz. Gut, dass sie sich gegenseitig auffangen.

Im Juli dieses Jahres lernte ich die medizinische Rettungskette mal aus eigener Sicht kennen. Es war ein Unfall: Ich wurde als E-Bike-Fahrer von einem Pkw-Kombi umgefahren. Zur Schuldfrage nur so viel: Ich hätte mich wahrscheinlich als Autofahrer auch nicht kommen sehen.

Dann ging alles ganz schnell. Der Notarzt überredete mich freundlich, aber bestimmt, mit ihm in die Notaufnahme zu fahren, obwohl ich bei mir selbst kein Schädel-Hirn-Trauma diagnostizierte – ich war in hohem Bogen auf die Knie gestürzt und hatte nur eine Schürfung an der Stirn. Die Oberärztin in der Rettungsstelle kam sofort zu mir und schloss das Schlimmste aus. Nach Entlassung humpelte ich zur ambulanten Chirurgie nebenan. Dort brach die Ärztin ihre Mittagspause ab und hatte Zeit für den verletzten Kollegen. Wundversorgung und Ausschluss knöcherner Verletzungen. Jedoch Verdacht von Bänderverletzungen im linken Kniegelenk.

Mit dem Taxi ging es weiter in die Radiologie, und auch dort sofortige ärztliche Hilfe: ein MRT nebst Überstunde des Radiologen und des Personals für mich (obwohl man sonst oft Monate auf so eine Untersuchung wartet). Auch der orthopädische Kollege schob mich am nächsten Tag noch dazwischen – so kurz vor seinem Urlaub – und versorgte meine Innenbandanrisse mit einer Orthese. Ich kann hier einfach nur Danke sagen für so viel ärztliche Solidarität.

Vor vielen Jahren hatte ich ähnliches schon einmal erlebt. Mein Schwiegervater erkrankte damals an einem metastasierenden Aderhautmelanom. Innerhalb von zehn Tagen verfiel mir dieser wunderbare und bis dahin kerngesunde Mensch unter den Händen. Ich konnte nichts tun. Verzweifelt und weinend saß ich an seinem Krankenbett und verstand die Welt nicht mehr. Tagtäglich behandelte ich Menschen, die mit ihrer Gesundheit Schindluder trieben, wie Alkoholiker oder starke Raucher, und trotzdem uralt wurden. Und dieser großartige Mann mit seinem heimtückischen Tumor im Auge hatte nicht die Spur einer Chance.

In diesem Moment kam die Visite ins Krankenzimmer und der Chefarzt, ein Mann um die Siebzig, erkannte sofort: Kollege in Not! Er brach die Visite ab und versorgte mich in einem separaten Raum mit einer einstündigen kollegialen und warmherzigen Krisenintervention. Ich habe das nie vergessen und dachte später manchmal: Tja, eben noch alte Schule!

Längst weiß ich: Diese wunderbare Kollegialität besteht fort. Das hat mit „alter Schule“ nichts zu tun. Und ich handle ja selbst nicht anders. Dies gilt bei mir übrigens für jegliches medizinisches Personal, ob ärztlicher Kollege oder völlig überarbeitete Krankenschwester. Medizinisch Tätige gehören zu den gesundheitlich am schlechtesten versorgten Menschen. Wie oft ersetzt die Pille im Schrank den Gang zum Arzt!

Überarbeitung bis zur Selbstaufgabe im Pflegebereich. Völlig überlastete Apotheker, die täglich eine bisher nicht gekannte Mangelversorgung mit Medikamenten organisieren müssen. Facharztpraxen, die angesichts des Älterwerdens der Bevölkerung am Limit arbeiten und einfach keine Termine mehr anbieten können. Eine starke Fluktuation von Ärzten im Klinikbereich, die den Durchlauf dieser „Behandlungs­fabriken“ und die überbordende Bürokratie nicht mehr aushalten.

Und was macht unser Gesundheitsminister? Er präsentiert medienwirksam Apps, die das „Zuckerbuch“ oder den „Blutdruckpass“ ersetzen und die wir Ärzte dann sogar auf Rezept verordnen sollen. Na, da werden sich meine vielen älteren Patienten aber freuen! Angesichts dieses unglaublichen Niedergangs unseres Gesundheitswesens tut es gut, unsere innerärztliche Solidarität zu spüren. Sie ist wichtig, und wir sollten sie uns von niemandem nehmen lassen!

Und unserem IT-geilen Minister sei gesagt: Schon manche Frühform einer Demenz habe ich am plötzlich veränderten Ausfüllen eines „Zuckerbuches“ erst bemerkt!

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